| # taz.de -- Bürgermeister verbietet Bücher und Kunst: Venedig sehen und zensi… | |
| > Kinderbücher, die Homosexualität thematisieren, passen Venedigs | |
| > Bürgermeister nicht. Kritische Kunst genauso wenig. Deshalb: weg damit! | |
| Bild: Was in Venedig erlaubt ist und was nicht, entscheidet nur einer: Bürgerm… | |
| Luigi Brugnaro ist ein Bürgermeister, der sich kümmert. Erst seit zwei | |
| Monaten regiert der Mann aus dem bröckelnden Berlusconi-Lager Venedig, doch | |
| er schaffte es gleich dafür zu sorgen, dass in der Stadt an der Lagune ein | |
| anderer Wind weht. | |
| Dem Unternehmer, der nebenher auch noch Besitzer des örtlichen | |
| Basketball-Vereins ist, liegt es vor allem am geistigen Wohl seiner Bürger, | |
| beginnend bei den kleinsten. | |
| Die mussten, wie der entsetzte Brugnaro feststellte, in den letzten Jahren | |
| in den kommunalen Kindergärten ganz schreckliche Kinderbücher anschauen. | |
| Zum Beispiel das „Family Book“ von Todd Parr, in dem doch tatsächlich zwei | |
| Väter ihre Kinder aufziehen, oder das Märchen von den zwei Wölfinnen, die | |
| sich gemeinsam um ihr Junges kümmern. | |
| Zuviel für Brugnaro, der den ganzen Gender-Quatsch als erste seiner | |
| Amtshandlungen sofort aus den Kindergärten zu verbannen beschloss. „Von der | |
| vorherigen Linksadministration“ sei die gefährliche Literatur angeschafft | |
| worden, teilte er mit, und erstellte kurzerhand eine Liste von 49 | |
| Bilderbüchern, die auf den Venedig-Index für jugendgefährdende Schriften | |
| sollten. | |
| ## „Alle stammen von Mama und Papa ab“ | |
| „Kulturelle Arroganz“ habe die Linke mit der Verbreitung des subversiven | |
| Schriftguts bewiesen, donnerte er, sie „wolle „eine personalistische Vision | |
| der Gesellschaft“ verbreiten (damit meint er wohl: eine Vision, der zufolge | |
| jeder nach seiner und nicht nach Brugnaros oder des Papstes Facon selig | |
| werden darf), ganz ohne „die Familien zu fragen“. Natürlich nur bestimmte | |
| Familien allerdings: Auf Twitter ließ der Bürgermeister wissen, „alle | |
| stammen von Mama und Papa ab. Amen!“ | |
| Reichlich Hohn und Spott trug Brugnaro der gegenreformerische Eifer erst | |
| vor Ort, dann aus ganz Italien ein. Kurzerhand hatte er alles auf die Liste | |
| gesetzt, was irgendwie nach Abweichung klang, zum Beispiel das Bilderbuch | |
| „Unterschiedlich ebenso wie gleich“, in dem es um epileptische, autistische | |
| oder Kinder mit Down-Syndrom geht. | |
| Doch der Bürgermeister ist sich seiner Sache sicher. Vom Gender-Zeugs wolle | |
| „die Mehrheit“ nun mal nichts wissen. „Und wenn die Mehrheit beschließt, | |
| dass die Erde eine Scheibe ist, was macht er dann?“, fragte ein | |
| Kommentator. | |
| Einem der weltweit berühmtesten schwulen Väter, Elton John, dagegen war die | |
| Lust an Ironie vergangen. | |
| Vor ein einigen Tagen knöpfte er sich mit einem Instagram-Post Brugnaro | |
| vor, „den extrem blöd aussehenden Bürgermeister Venedigs“, der offenbar | |
| eine inklusive Welt nicht aushalte und nicht recht verstanden habe, dass | |
| „Familien mit Liebe zu tun haben“. Lieber sei der „flegelhaft bigotte | |
| Brugnaro“ im Namen der Intoleranz unterwegs. | |
| ## Volkserzieherischer Auftrag | |
| Den Stadtvater können die polemischen Breitseiten nicht aus der Ruhe | |
| bringen. Er ist nun mal von seinem volkserzieherischen Auftrag überzeugt, | |
| nicht nur für die Kleinen, auch für die Großen. Am 18. September sollte in | |
| Venedig die Ausstellung des Fotografen Gianni Berengo Gardin öffnen. Ihr | |
| Titel: „Monster von Venedig“. Ihr Objekt: Die Kreuzfahrtschiffe in der | |
| Lagunenstadt – seit Jahren ein hoch kontroverses Thema, fahren doch die | |
| Riesen oft genug direkt am Markusplatz vorbei. | |
| Berengo Gardins Bilder illustrierten das höchst eindrucksvoll – zu | |
| eindrucksvoll für Brugnaro. Er forderte eine „Ergänzung“ der Ausstellung … | |
| Tafeln, die die Pläne der Stadtverwaltung auf diesem Feld zeigen sollten. | |
| Von einer stadtregierungsfreundlichen Umgestaltung seines Konzepts wolle | |
| der Künstler jedoch nichts wissen und sagte seinerseits die Schau ab. | |
| Und wieder darf Brugnaro sich über große Aufmerksamkeit freuen. Diesmal war | |
| es der italienische Sänger Adriano Celentano, der aus der Haut fuhr. | |
| „Die Leute könnten denken, dass du etwas zu verbergen hast“, schrieb | |
| Celentano auf seinem Blog, als Antwort gab es einen belehrenden Tweet des | |
| immer pädagogisch aktiven Bürgermeisters: „Wir müssen die verschiedenen | |
| Sichtweisen darstellen!“ | |
| Eine echte Kunstschau ist mithin dann gegeben, wenn auch Brugnaros Version | |
| ausgestellt wird. Und wenn den Bürgern vom Vorschulalter an allzu | |
| verstörendes vorenthalten bleibt. | |
| 18 Aug 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Michael Braun | |
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