| # taz.de -- Gysi über Kriegeinsätze und Angeln: „Ich kann auch still sein“ | |
| > Gregor Gysi will die Linkspartei in den nächsten zwei Jahren | |
| > regierungsfähig machen. Kompromisse sind nötig. | |
| Bild: Zu den Kompromissen bei einer Regierungsbeteiligung kann für Gysi auch e… | |
| taz: Petri Heil, Herr Gysi! Wir haben gehört, Sie haben kürzlich zum ersten | |
| Mal geangelt. Was haben Sie denn gefangen? | |
| Gregor Gysi: Zwei Flundern, sechs Klieschen und dann noch einen … Wie | |
| heißen diese flachen Fische? | |
| Schollen? | |
| Richtig, eine Scholle. | |
| Gute Ausbeute. | |
| Ich hatte ja auch einen Angellehrer aus meiner Fraktion dabei, den | |
| Abgeordneten Jan Korte. Am besten fand ich aber, dass hundert Meter weiter | |
| richtige Profiangler standen, die gar nichts fingen. Die pirschten sich mit | |
| Neid im Gesicht immer näher an uns ran. | |
| Beim Angeln muss man still sein. Können Sie das? | |
| Ja, das kann ich auch. Es hat zwar eine Weile gedauert, bis ich von meinem | |
| inneren Stress runtergekommen bin, aber dann habe ich mich entspannt und | |
| gemerkt: Das ist der eigentliche Reiz. Die Leute angeln nicht wegen der | |
| Fische. Sie angeln, um zur Ruhe zu kommen. | |
| Herr Gysi saß also tiefenentspannt am Meer, hielt seine Angelrute und | |
| dachte über die Zukunft nach. Sie müssen schließlich eine Entscheidung | |
| treffen: Ihre Fraktion wählt im Herbst einen neuen Vorstand und möchte so | |
| langsam wissen, ob Sie noch mal kandidieren. | |
| Darüber denke ich nach. Aber wenn ich eine Entscheidung getroffen habe, | |
| informiere ich als Erstes einen Parteitag, nicht die Medien. Da bitte ich | |
| Sie um Verständnis. | |
| Am 7. Juni reden Sie auf dem Parteitag in Bielefeld. Dort verkünden Sie, | |
| wie es weitergeht? | |
| Kann sein. Vielleicht sage ich dort, dass ich nicht mehr kandidiere. | |
| Vielleicht aber auch erst auf dem nächsten Parteitag. Oder auf dem | |
| übernächsten. Spätestens mit neunzig ist aber Schluss. | |
| Bleiben wir in der Gegenwart: Wo steht die Linkspartei 2015? | |
| Auf der einen Seite haben wir erstaunlich viel erreicht. Uns ist es | |
| gelungen, eine bundesweite Partei zu installieren. Wir stehen bei 10 | |
| Prozent, und wir haben uns eine gesellschaftliche Akzeptanz erarbeitet, von | |
| der wir früher nicht mal zu träumen wagten. Es gibt kaum noch einen | |
| Unternehmertag, zu dem ich nicht eingeladen werde. Bei der chemischen | |
| Industrie, bei der Metallindustrie: überall soll ich sprechen. | |
| Und auf der anderen Seite? | |
| Wenn sich eine Partei mit dem Erreichten zufriedengibt, gerät sie schnell | |
| in Stillstand. Um das zu verhindern, muss sie neue Aufgaben suchen. Deshalb | |
| haben wir zum Beispiel im April auf einem Kongress über linke Politik der | |
| Zukunft diskutiert. 2017 kommen wir aber nicht über 10 Prozent hinaus, wenn | |
| wir sagen: Die Linke will ewig in der Opposition bleiben. Das ist | |
| irgendwann nicht mehr spannend. Wir müssen also ohne Anbiederung offensiver | |
| werden und deutlich machen, dass wir bestimmte Forderungen in einer | |
| Bundesregierung umsetzen können und wollen. | |
| Genau diesen Willen strahlt die Linkspartei aber nicht aus. Auf eine | |
| rot-rot-grüne Koalition arbeitet Ihre Fraktion nicht hin. | |
| Viele Leute schon, andere noch nicht. Das ändert sich aber. Wir haben | |
| nächstes Jahr fünf Landtagswahlen. In Berlin könnten wir wieder in eine | |
| Koalition kommen. In Mecklenburg-Vorpommern vielleicht auch, und wenn wir | |
| in Sachsen-Anhalt stärker werden als die SPD, haben wir 2016 vielleicht | |
| schon zwei Ministerpräsidenten. Dann drängt auch die Gesamtpartei, diesen | |
| Weg auf der Bundesebene ebenfalls zu gehen. | |
| Ach ja? | |
| Ja! Sie muss diese Verantwortung auch übernehmen wollen, weil die meisten | |
| ihrer Wählerinnen und Wähler darauf bestehen. | |
| Dann sollte die Bundespartei schleunigst ihr Verhältnis zum Regieren | |
| klären. Bis zur Wahl bleiben nur noch zwei Jahre. | |
| Mehr. Zwei Jahre und drei Monate. | |
| Wie sieht Ihr Fahrplan aus? | |
| Eine Partei merkt es, wenn der Stillstand beginnt. Dann werden die | |
| Mitglieder unruhig, und es entsteht ein Druck von unten. Deshalb wird der | |
| letzte Parteitag vor der Bundestagswahl beschließen, dass wir für eine | |
| Regierung zur Verfügung stehen. Da bin ich mir ziemlich sicher. Zusätzlich | |
| wird er aber überflüssige rote Linien für Koalitionsverhandlungen ziehen | |
| wollen, obwohl das Wahlprogramm reicht. Überflüssig deshalb, weil man | |
| seiner eigenen Verhandlungsdelegation trauen sollte. | |
| Mit SPD und Grünen sollten Sie aber vor 2017 reden. | |
| Wichtige Fragen der Politik können wir nicht erst in Sondierungen klären. | |
| Wir müssen jetzt mit Gesprächen beginnen. | |
| Sie treffen sich also mit Sigmar Gabriel zum Mittagessen? | |
| Die erste Reihe kommt später dran. Erst muss die zweite Reihe miteinander | |
| sprechen. | |
| Hinterbänkler von SPD, Grünen und Linken treffen sich seit Jahren in | |
| Denkfabriken. Bisher ist nichts herausgekommen. | |
| Hinterbänkler haben wir nicht. Ich meine Leute aus der höheren Ebene. Zum | |
| Beispiel jemand aus unserem sogenannten linken Flügel und jemand aus dem | |
| rechten Flügel der SPD. Die müssen ins Gespräch kommen und ausloten, welche | |
| Konflikte bestehen bleiben. | |
| Drängen Sie Ihre Fraktion zu solchen Gesprächen? | |
| Es gab schon interessante Gespräche. | |
| Und? | |
| Tut mir leid, ich habe Vertraulichkeit zugesichert. | |
| Wo sehen Sie die größten Konfliktpunkte? | |
| In der Steuerpolitik. | |
| Sind da keine Kompromisse möglich? Die SPD könnte Ihnen mit dem | |
| Spitzensteuersatz entgegenkommen, dafür verzichten Sie auf die | |
| Vermögensteuer. | |
| Wir brauchen aber Gerechtigkeit und Geld. Sie müssen sehen, vor welchen | |
| Aufgaben wir stehen. Wir haben einen solchen Investitionsstau, dass wir | |
| bald Brücken schließen müssen, weil wir uns die Sanierung nicht leisten | |
| können. | |
| Worüber könnten Sie sich schneller einigen? | |
| In der Außenpolitik. Im Ukrainekonflikt sogar eher mit der SPD als mit den | |
| Grünen. | |
| Ach ja? Die Sozialdemokraten stehen hinter den Russlandsanktionen, Ihre | |
| Partei will sie aufheben. | |
| Die Sanktionen schaden unserer Wirtschaft und bringen nichts. Außer dass | |
| sich Russland als größtes europäisches Land Schritt für Schritt nach Asien | |
| und Südamerika orientiert. Das werden wir noch teuer bezahlen. | |
| Aber irgendwie muss der Westen auf Russlands Aggressionen reagieren. Putin | |
| hat das Völkerrecht gebrochen, als er die Krim annektierte. | |
| Der Irakkrieg war auch völkerrechtswidrig und schlimmer. Hat unsere | |
| Regierung deshalb Sanktionen gegen die USA verhängt? Nein. | |
| Also Putin gewähren lassen? | |
| Ich sehe Putin auch kritisch, aber Sanktionen sind der falsche Weg. Sie | |
| spitzen den Konflikt noch weiter zu. Wir haben viele andere Optionen, aber | |
| die hätten wir beim Irakkrieg auch gegen die USA nutzen müssen: | |
| Staatsbesuche absagen, Kulturbeziehungen reduzieren, alles mögliche. | |
| Außenminister Gysi würde also einen Moskaubesuch absagen. Wie überzeugt er | |
| denn SPD und Grüne von seinem Kurs? | |
| Warten wir mal ab, wie die Situation in der Ukraine im Jahr 2017 aussieht. | |
| Auf jeden Fall würden wir in Koalitionsgesprächen für den Weg der | |
| Deeskalation plädieren. Die Gewerkschaften und die Wirtschaft hätten wir | |
| damit auf unserer Seite. Das könnte die SPD beeindrucken. | |
| Gibt es in der Außenpolitik Positionen, die die Linkspartei dauerhaft | |
| aufgeben müsste? | |
| Dauerhaft nicht. Aber klar ist, dass wir in einer Koalition nicht alle | |
| Ziele durchbekommen. | |
| Von Ihrem strikten Nein zu Kriegseinsätzen der Bundeswehr müssten Sie sich | |
| verabschieden. | |
| Es ist richtig, dass sich unsere Partei strikt gegen Kriegseinsätze | |
| ausspricht. Wir könnten aber darüber reden, um welche es vor allem geht. | |
| Das verstehen wir nicht. Sie wollen also Ihre Partei überzeugen, für | |
| Kriegseinsätze zu stimmen? | |
| Nein, aber generell werde ich meinen Leuten sagen: Wir haben nicht 50 | |
| Prozent der Stimmen, sondern 10. Wenn wir A, B und C erreichen, ist das | |
| eine riesige Menge. Ihr könnt nicht noch D, E und F bekommen. Hauptsache, | |
| wir setzen reale Veränderungen durch und verlieren nicht unsere Identität. | |
| Zu Kompromissen werden trotzdem nicht all Ihre Parteifreunde bereit sein. | |
| Stimmt, und ich kann sie verstehen. Hätte mir jemand im Jahr 1990 gesagt, | |
| dass ich einmal in die Bundesregierung soll, am besten noch als | |
| Verteidigungsminister – ich hätte ihm einen Vogel gezeigt. | |
| Würden Sie nicht eher das Sozialministerium übernehmen? | |
| Kann auch sein. Aber wissen Sie: Ich bin Generalist. Ich kann also über | |
| alles reden und muss von nichts etwas verstehen. | |
| 29 May 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Ulrich Schulte | |
| Tobias Schulze | |
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