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# taz.de -- Debatte EU-Flüchtlingsquote: Geschäftsmodell statt Pflicht
> Ein EU-Zuschuss für die Aufnahme von Flüchtlingen böte mehr Chancen als
> eine Quote. Zölle auf Warenhandel könnten die Kosten decken.
Bild: Hilfsbereitschaft: Mehr als 80.000 syrische Flüchtlinge wurden allein im…
Die Europäische Kommission hat es also gewagt, eine Mini-Quote für die
Aufnahme von Flüchtlingen auf den Weg zu bringen. Und prompt schreien sie
auf, die Briten und die Staaten Ost- und Mitteleuropas und auch natürlich
die Rechte in jedem anderen Land noch dazu. Es ist ja so bequem, wenn man
keine ausgedehnte Mittelmeer-Grenze hat.
Da kann man gleichzeitig sein gutes Gewissen vorzeigen und sich doch
aktueller Not verweigern. „Wir haben eine stolze Geschichte des Asyls“,
ließ Cameron bei seiner Ablehnung der Brüsseler Pläne verlautbaren.
Dies beinharte St.-Florians-Prinzip aufzubrechen, dürfte kaum durch Appelle
gelingen, sondern nur, wenn man die Kosten-Nutzen-Kalküle veränderte. Also
wenn man Nicht-Hilfe teuer oder Hilfe einträglich machte, und jedes Land
daran auch partizipieren kann.
Die EU sollte deshalb für jede Asylbewerberin, jede Person mit
Asylanerkennung, jeden nach internationalem Recht aufzunehmenden
Kriegsflüchtling ihre Mitgliedsstaaten mit einem festen und im Prinzip
kostendeckenden Zuschuss entlasten.
## Bafög für Flüchtlinge
Nehmen wir zum Beispiel 10.000 Euro pro Jahr und Person „Flüchtlingsgeld“
(in Deutschland etwa Bafög-Niveau). Gewährt werden sollte die Summe dafür,
dass eine angemessene Unterkunft und Ernährung gewährleistet wird, dass
darin ein Taschengeld für persönliche Bedürfnisse enthalten ist, dass eine
ausreichende Krankenversicherung garantiert wird.
An solchen nachvollziehbaren Kriterien könnten etwa in der
Gesundheitsfürsorge knausernde Staaten wie Deutschland auch erst einmal
scheitern und würden dann sicher ihre Regeln in die richtige Richtung hin
ändern, um nicht zu viel Geld aus Brüssel zu verlieren.
Der Zuschuss sollte auch nicht nach Berlin oder Rom oder Athen überwiesen,
sondern direkt an die Kommunen gezahlt werden. Denn an einem ganz konkreten
Ort werden die Flüchtlinge leben, und zwar mit der eingesessenen
Bevölkerung zusammen.
Zum Beispiel konkret 100 Flüchtlinge aufzunehmen, brächte jährlich der
Gemeinde eine Million Euro. Dazu kommen Jobs für die Heimherrichtung und
-betreuung und erhebliche Sekundäreffekte durch die Kaufkraft. Da kann man
sich schon vorstellen, dass manche Kommune mit prekärer Wirtschaftslage,
etwa in Griechenland oder auch auf dem Apennin, vielleicht sogar in
Brandenburg, das als nachhaltiges Geschäftsmodell sieht.
## Kurzfristige Notstandmaßnahme
Denn allein die Situation in Syrien und Umgebung dürfte schon dafür sorgen,
dass der Zustrom so schnell nicht abreist. 10.000 Euro pro Person ist bei
den vielen dafür berechtigten Menschen in der Summe nicht wenig. 1 Million
Flüchtlinge bedeutet dann beispielsweise Ausgaben von 10 Milliarden Euro.
Zum Vergleich: 2014 hatte die EU etwa 1,8 Millionen Flüchtlinge nach
UNHCR-Kriterien. Und der EU-Haushalt liegt bei um die 140 Milliarden Euro
jährlich.
Ganz kurzfristig in Form einer Notstandsmaßnahme könnte man ein
Flüchtlingsgeld wohl nur stemmen, indem alle Brüsseler Zuschüsse an
Mitgliedstaaten einheitlich um den Prozentanteil gekürzt werden, der
benötigt wird, die neue Flüchtlingshilfe zu finanzieren. Für Staaten, die
sowohl europäische Programmmittel „im Durchschnitt“ erhalten wie sie
MigrantInnen „im Durchschnitt“ aufnehmen, änderte sich in der Summe nichts.
Wegfallende Gelder könnten durch die Einsparung bisheriger Ausgaben für
Flüchtlinge intern kompensiert werden. Und die anderen Länder müssten ihre
ablehnende Flüchtlingspolitik eben überdenken.
Aber für eine langfristigere und der großen Herausforderung gegenüber
angemessenere Finanzierung muss das Budget der EU erhöht werden. Die
Europäische Union – stolz darauf, sich nicht nur als Wirtschafts-, sondern
auch als Wertegemeinschaft zu verstehen – könnte hier eine echte
Vorreiterrolle für eine weltweite Lösung einnehmen.
Denn nach Brüssel wandern nicht nur Teile der Mehrwertsteuer, sondern auch
die Zolleinnahmen an der Außengrenze. Die EU sollte deshalb auf alle
Importe einen kleinen zusätzlichen Zollsatz erheben – zum Beispiel mit
einem Prozent – und andere Länder in der Welt auffordern, ihrerseits das
Gleiche zu tun.
## Globale Kostenübernahme
Die EU könnte diese neuen Einnahmen nutzen, um die Kosten der
Flüchtlingshilfe zu decken, den Rest aber dem Flüchtlingshilfswerk der
Vereinten Nationen überweisen. Europa mag zwar subjektiv das Gefühl haben,
es sei das Hauptziel aller Migrationsbewegungen. Aber gemessen an seiner
Bevölkerung ist das Engagement sehr gering, wenn man es mit der Situation
etwa im Libanon, der Türkei oder in Jordanien vergleicht.
Es bedarf einer erheblichen Aufstockung des UNHCR-Budgets, um diese Länder
zu entlasten. Endziel wäre es, ein weltweites Recht auf Kostenübernahme für
Flüchtlinge zu etablieren, finanziert durch eine angemessene Steuer auf
grenzüberschreitenden Warenhandel und organisiert durch die Vereinten
Nationen, zum Beispiel mit 2 Prozent.
Was bedeutet das quantitativ? Die Importe der EU belaufen sich auf 1,8
Billionen Euro. Eine 2-Prozent-Steuer erbringt entsprechend 36 Milliarden
Euro. Weltweit liegen die Importe bei über 11 Billionen Euro, und global
zählt die UNHCR über 50 Millionen Menschen, die als Flüchtlinge zu
charakterisieren sind, darunter 18 Millionen grenzüberschreitend.
Eine Steuer auf Importe wäre auch ökologisch angemessen. Der internationale
Handel genießt das ökonomisch unsinnige Privileg, dass die Transportkosten
niedrig sind, weil Schiffsdiesel und Kerosin nicht angemessen besteuert
werden. Jede Klimarechnung weiß um die besonders schädlichen Wirkungen
dieser Stoffe. Fangen wir doch damit an, mit einem Flüchtlingszoll die
Globalisierung der Waren, die ihren Anteil haben an der Globalisierung der
Menschen, in Regress zu nehmen.
29 May 2015
## AUTOREN
Gerd Grözinger
## TAGS
Schwerpunkt Flucht
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Zoll
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