| # taz.de -- Mieter gegen Investor und Bezirksamt: Straßenkampf in Tegel | |
| > Seit einem Jahr schon protestieren die Bewohner der kleinen Siedlung am | |
| > Steinberg gegen ihre Verdrängung. Die politischen Mittel scheinen | |
| > ausgeschöpft zu sein. | |
| Bild: Im verbalen Clinch: Mieter Hartmut Lenz (l.) und der Reinickendorfer Baus… | |
| Der Showdown findet kurz vor Pfingsten auf offener Straße statt. Vor einem | |
| mit wildem Wein bewachsenen Häuschen trifft die Delegation aus Bezirksamt | |
| und Polizei auf zwei Dutzend wütende Nachbarn, die sich schwarze | |
| Protest-T-Shirts mit dem Aufdruck „Siedlung am Steinberg“ übergestreift | |
| haben. Ihr Wortführer ist Hartmut Lenz, Anfang sechzig, grauer Vollbart. Er | |
| will Baustadtrat Martin Lambert (CDU) zur Rede stellen. Der nämlich hat | |
| ihnen, den MieterInnen, schriftlich angedroht, die Plakate und Banner | |
| entfernen zu lassen, die in der kleinen Siedlung hängen. „Wir bleiben alle“ | |
| steht darauf, „Wer Mieter quält, wird abgewählt“ und seit neuestem auch | |
| „CDU + Lambert = Demokratieverbot“. | |
| Seit einem Jahr schon wehren sich die Bewohner der um 1920 erbauten | |
| Siedlung in Tegel gegen ihre Verdrängung durch den neuen Eigentümer – einen | |
| Investor, der die spitzgiebligen, denkmalgeschützten Häuschen luxuriös | |
| sanieren und unter dem Label „Stonehill Gardens“ als steuersparende | |
| Kapitalanlage an Besserverdiende weiterverkaufen will. Die Gebäude sind | |
| jahrzehntelang nicht saniert worden, lange gehörten sie der GSW, die stieß | |
| das Ensemble bald nach ihrer eigenen Privatisierung durch den rot-roten | |
| Senat ab. | |
| Für die Menschen, die zum Teil seit mehreren Generationen hier leben, ist | |
| das eine Katastrophe – zumal der Eigentümer sie per | |
| Modernisierungsankündigung versucht zu vergraulen. Die Kaltmieten würden | |
| nach Umbauten und Wärmedämmung regelrecht explodieren. Auch juristisch | |
| macht der Investor auf Mieter Druck, unter anderem wegen mutmaßlicher | |
| Verstöße gegen den Denkmalschutz. Dabei greifen die Sanierungsmaßnahmen | |
| selbst, das zeigt ein Musterhaus bereits,deutlich in die ursprüngliche | |
| Substanz der Altbauten ein. | |
| ## Ein Jahr Mahnwache | |
| Seit einem Jahr gehen viele Bewohner, alte und junge, auf die Straße. Sie | |
| haben eine Mahnwache angemeldet, bei der sie jeden Tag bis zum frühen Abend | |
| ihre Transparente und Poster aufhängen und in wechselnder Besetzung auf der | |
| Straße präsent sind. Von der Linken, den Grünen und auch der SPD haben sie | |
| viel Unterstützung bekommen, gegen den Baustadtrat sowie dessen | |
| Parteifreund und Bürgermeister Frank Balzer. | |
| Lambert und Balzer sagen sinngemäß: Wir bedauern die Situation der Mieter, | |
| aber dies ist eine privatrechtliche Angelegenheit, da sind uns die Hände | |
| gebunden. Die anderen Parteien wollen das nicht akzeptieren. Sie | |
| demonstrieren Solidarität mit den Steinberg-Leuten, aber alle politischen | |
| Karten sind inzwischen ausgespielt – vergeblich. | |
| Die letzte Hoffnung lag auf einem Rechtsgutachten, das die Grünenfraktion | |
| in der BVV zu der Frage erstellen ließ, ob für die mit 62 Wohneinheiten | |
| recht überschaubare Siedlung eine Milieuschutzsatzung infrage käme. Die | |
| Zuständigen im Bezirksamt verneinen das vehement. In der Sitzung des | |
| Reinickendorfer Bauausschusses am 30. April wurde schließlich klar: Auch | |
| das Gutachten wird nicht helfen. | |
| Der Autor, Rechtsanwalt Tim Stähle, äußert zwar die vorsichtige | |
| Überzeugung, dass die geringe Größe einer Anwendung des mietenpolitischen | |
| Instruments „Milieuschutz“ nicht im Weg steht- viel konkreter wird er aber | |
| nicht. Die CDU und das bezirkliche Stadtentwicklungsamt kontern unbeirrt: | |
| Selbst wenn die Bewohnerschaft komplett ausgetauscht würde – rein | |
| theoretisch natürlich -, könnte dies das Tegeler Sozialgefüge nicht spürbar | |
| beeinträchtigen. Auch würden dadurch keine öffentlich finanzierten | |
| Einrichtung, wie Schulen oder Kitas, obsolet. Aber nur solche belegbaren | |
| Fakten machen einen Milieuschutz laut Baugesetzbuch rechtssicher. Das | |
| trockene Fazit des Fachbereichsleiters Stadtplanung im Bezirksamt, Marius | |
| Helmuth-Paland: „Bevölkerung verändert sich. Das ist ein ganz normaler | |
| Prozess.“ | |
| Die Grünen, die in Reinickendorf eine Zählgemeinschaft mit der CDU bilden, | |
| scheinen den Fall inzwischen aufgegeben zu haben – auch weil die Mieter ein | |
| Angebot des Bezirksamts nicht annehmen wollten: Dieses hatte die | |
| Mieterberatung Prenzlauer Berg GmbH damit beauftragt, einen Sozialplan für | |
| die Sanierung zu erstellen. Die organisierten Mieter sahen darin allerdings | |
| den Versuch, den Interessen des Investors ein soziales Mäntelchen | |
| umzuhängen. Sie lehnten sie es ab, gegenüber den Mieterberatern ihre | |
| wirtschaftliche Situation offenzulegen. „Der Generalverdacht ist nicht | |
| gerechtfertigt“, findet Grünen-Bezirksverordneter Andreas Rietz. Die | |
| Berater hätten im idealen Fall die Sanierungsvorstellungen des Eigentümers | |
| und die daraus folgenden Mietsteigerungen auf ein im sozialen Wohnungsbau | |
| übliches Maß herunterhandeln können. Allerdings: Auch so wären viele | |
| Bestandsmieten deutlich gestiegen. | |
| ## Flugblatt von der CDU | |
| Die CDU spielt mittlerweile ihre Rolle als Reinickendorfer Platzhirsch aus | |
| und macht mit Flugblättern gegen die Mietrebellen Front: „Liebe | |
| Reinickendorferinnen und Reinickendorfer“, heißt es da, „vielleicht haben | |
| Sie sich auch schon über die Proteste, Demonstrationen und aus Häusern | |
| hängende Transparente gewundert, die in Ihrer Nachbarschaft zu sehen sind? | |
| Was passiert dort, worum geht es?“ | |
| Es geht, so suggeriert es die unterzeichnende BVV-Fraktion der | |
| Christdemokraten, um renitente Menschen, die Hilfsangebote ausschlagen: | |
| „Man hat den Eindruck, dass die Protagonisten zwar einerseits eine | |
| Instandsetzung der Häuser haben möchten, aber andererseits nicht bereit | |
| sind, dafür ortsübliche Miete zu zahlen.“ Zu allem Überfluss hätten sie d… | |
| Bürgermeister und seinen Baustadtrat zum „Ziel für Beleidigungen und | |
| Unterstellungen“ gemacht. | |
| Ein „infames“ Flugblatt, findet Gilbert Collé, SPD-Fraktionschef in der | |
| BVV, „politisch und menschlich unanständig.“ Die CDU operiere mit unwahren | |
| Behauptungen: etwa, dass die Mieten nach Sanierung auf 900 bis 1.000 Euro | |
| steigen würden. In Wirklichkeit gehe es um doppelt so hohe Summen, wie aus | |
| einer bereits vorliegenden Modernisierungsankündigung hervorgehe. | |
| Auf der Straße hat sich Hartmut Lenz inzwischen vor Stadtrat Lambert | |
| aufgebaut und verlangt von dem, sein eigenes Schreiben laut vorzulesen, in | |
| dem er die Steinberg-Mieter dazu aufgefordert hat, die „rechtswidrige | |
| Plakatierung“ zu beenden. Die Transparente könnten nicht mehr geduldet | |
| werden, „auch vor dem Hintergrund, dass in diesen Tagen und Wochen die | |
| ersten Eigentümer/mieter in die sanierten Häuser einziehen werden.“ | |
| Offenbar fürchtet da jemand um den sozialen Frieden. | |
| Lambert liest den Brief natürlich nicht vor, er lässt sich auch sonst nicht | |
| provozieren. Verloren hat er an diesem Tag nämlich sowieso: Die | |
| Dauer-Protestler haben eine gültige Anmeldung, wie ihnen ein Polizeibeamter | |
| vor Ort bestätigt. An Bäume und Laternen dürften sie zwar nichts heften, so | |
| seine rücksichtsvolle Ermahnung, aber in den Vorgärten und an den Fassaden | |
| – kein Problem. „Das ist Ihr demokratisches Recht.“ | |
| Eine ältere und eine jugendliche Bewohnerin stehen am Rand und geben sich | |
| kämpferisch: „Natürlich machen wir jetzt weiter.“ Der politische Weg | |
| freilich scheint in der Sackgasse zu enden, und vor dem juristischen | |
| schrecken viele hier angesichts des übermächtigen Gegners zurück. Was | |
| bleibt, ist Aufbegehren. „Die müssen uns hier mit den Füßen voran | |
| raustragen“, sagt die ältere Mieterin. Der Satz ist schon fast zum Motto | |
| geworden in der Siedlung am Steinberg. | |
| 25 May 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Claudius Prößer | |
| ## TAGS | |
| Berlin-Tegel | |
| Luxussanierung | |
| Mieten | |
| CDU | |
| Reinickendorf | |
| Denkmalschutz | |
| Mieten | |
| Fußgänger | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Initiative will die Schiller-Oper retten: Investor gegen Denkmalschutz | |
| Seit Jahrzehnten verfällt die Schiller-Oper. Nun haben die Eigentümer die | |
| Befreiung vom Denkmalschutz beantragt. Anwohner sind dagegen. | |
| Gentrifizierung in Reinickendorf: Ein bisschen weniger Verdrängung | |
| Ein Mieter der privatisierten Steinberg-Siedlung in Tegel hat vor Gericht | |
| gewonnen. Gibt es Hoffnung für „Oma Annis“ Nachbarn? | |
| Unterwegs auf Berlins Straßen: Es läuft gut | |
| Eine Studie belegt: Die BerlinerInnen nehmen ganz langsam Abschied vom | |
| Auto. Stärker wird die Kombination von ÖPNV, Fahrrad und dem guten alten | |
| Zu-Fuß-Gehen. |