| # taz.de -- CDU-Senator Czaja zu Flüchtlingen: "Die Turnhallen sind alle leer" | |
| > In Berlin müssen keine Flüchtlinge mehr in Hallen hausen, sagt der | |
| > zuständige Senator Mario Czaja. Er verteidigt das zuständige Landesamt | |
| > gegen Kritik. | |
| Bild: "Wir gewinnen mehr Einfluss auf die Qualität und die Kosten der Unterkü… | |
| taz: Herr Czaja, das Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) und | |
| sein Chef kommen aus den Negativschlagzeilen nicht heraus. Wie lange halten | |
| Sie noch an Franz Allert fest? | |
| Mario Czaja: Das Lageso und Herr Allert sehen sich seit dem Herbst | |
| verschiedenen Vorwürfen ausgesetzt. Im Kern geht es um die Frage, ob es | |
| unsachgemäßes oder rechtswidriges Handeln in der Vertragsgestaltung mit den | |
| Firmen Pewobe und Gierso gab. Dies haben wir sofort durch die interne | |
| Revision prüfen lassen. Ich hatte mich damals auch an den Rechnungshof | |
| gewandt; der aber lehnte zum damaligen Zeitpunkt eine Untersuchung ab, weil | |
| er der Auffassung war, dass es noch eine Vorermittlung seitens der | |
| Staatsanwaltschaft gebe. Der erste Bericht der internen Revision hat keine | |
| Anhaltspunkte für unsachgemäße Einflussnahmen gefunden. Aber es trat auch | |
| zutage, dass die Dokumentation des Lageso erhebliche Mängel hat, weshalb | |
| sofort ein zweiter Prüfauftrag an die interne Revision gegeben wurde. Zudem | |
| haben wir Wirtschaftsprüfer beauftragt. Das musste aber erst durch den | |
| Hauptausschuss und ordentlich ausgeschrieben werden. | |
| Dauert das deshalb so lange? Die haben ja erst angefangen. | |
| Die Prüfung läuft mit Hochdruck. Die Wirtschaftsprüfer haben | |
| Zwischenberichte gefertigt, Gespräche mit der Fachaufsicht und dem Lageso | |
| geführt und weitere Fragen gestellt. Sie haben auch darum gebeten, dass sie | |
| zur Vergleichbarkeit auch andere Verträge mit anderen Betreibern | |
| heranziehen können, um Analogien prüfen zu können. Dies ist auch der Grund, | |
| warum sie um eine Verlängerung des Verfahrens um zwei Wochen gebeten haben. | |
| Deshalb wird ein abschließendes Ergebnis der Wirtschaftsprüfer nicht Ende | |
| Mai, sondern erst Mitte Juni vorliegen. Das ist eine sehr zügige Arbeit. | |
| Und ich bin auch dankbar, dass der Rechnungshof seine Auffassung geändert | |
| hat und jetzt auch selbst prüfen will. | |
| Eine der jüngeren Skandale betrifft das Heim in der Haarlemer Straße in | |
| Neukölln, das für 8 Millionen Euro auf einem Grundstück gebaut wurde, das | |
| dem Land nicht gehört – und nun vielleicht wieder abgerissen werden muss. | |
| Was hat dieses zweifelhafte Objektmanagement für Konsequenzen? | |
| Zunächst: Auch die Haarlemer Straße ist ein Objekt, das von der Pewobe | |
| betrieben wird und damit Teil der verschiedenen Prüfungen ist. Eine | |
| Vorfestlegung, ob dort unsachgemäß gehandelt wurde, kann es auch hier nicht | |
| geben. Das Grundstück war zum damaligen Zeitpunkt kostenlos vom damaligen | |
| Eigentümer für zwei Jahre angeboten worden. Daher schloss das Lageso einen | |
| Nutzungsvertrag ab. Es gab meines Wissens zwischenzeitlich auch | |
| Verhandlungen darüber, dass die Pewobe das Grundstück vom damaligen | |
| Eigentümer kauft und das Heim über die zwei Jahre hinaus weiterbetreibt. | |
| Der Eigentümerwechsel zur Pewobe ist aber nicht zustande gekommen. | |
| Aber war das nicht von Anfang an alles sehr riskant? | |
| Das müssen letztlich die Prüfer beantworten. Aber wenn ich die | |
| Errichtungskosten durch die Anzahl der Plätze und der Tage teile, dann bin | |
| ich immer noch unter einem Tagessatz, den wir derzeit teilweise für Plätze | |
| in Hostels bezahlen. Wir wissen inzwischen, dass ein luxemburgischer Fonds | |
| neuer Eigentümer des Grundstücks ist. Und die Berliner | |
| Unterbringungsleitstelle (BUL) beim Lageso hat weiterhin das Interesse, | |
| dass wir diese Unterkunft auch über den 31. 12. 2015 hinaus betreiben | |
| können. | |
| Aber wie kann es sein, dass trotz allem die Firma Pewobe weiter mit | |
| Aufträgen bedacht wird? Etwa beim Rohrdamm in Spandau. Das Objekt hatte | |
| zunächst ein anderer Betreiber dem Lageso angeboten, der aber keine | |
| Baugenehmigung bekam. Die Pewobe bekommt die Genehmigung, kauft das Objekt | |
| für ein Vielfaches des Werts, setzt die AWO als Betreiber ein – alles | |
| finanziert vom Steuerzahler. | |
| In Ihren Schilderungen treffen Sie eine Menge Aussagen, die ich zum | |
| jetzigen Zeitpunkt so nicht bestätigen kann. Die Unterkunft im Rohrdamm | |
| wurde der BUL angeboten, um sie von der Arbeiterwohlfahrt als | |
| Erstaufnahmeeinrichtung zu betreiben. Zu prüfen ist, ob die vereinbarten | |
| Tagessätze den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit entsprechen. Die Pewobe | |
| als Besitzer der Immobilie hat dann aufgrund der gestiegenen Zahl der | |
| Flüchtlinge angeboten, die Unterkunft schon vorzeitig als Notunterkunft zu | |
| betreiben. Dafür ist wiederum ein vorläufiger Tagessatz vereinbart worden, | |
| der nach Auskunft des Lageso im Rahmen des Üblichen liegt. All dies ist | |
| auch Bestandteil der Prüfungen. | |
| Es gibt auf Ihrer privaten Website einen sehr wohlwollenden Bericht | |
| darüber, dass die Pewobe eine neue Kita in Ihrem Wahlkreis | |
| Mahlsdorf-Kaulsdorf eröffnet. Wie nahe stehen Sie dem | |
| Pewobe-Geschäftsführer Helmuth Penz? | |
| Ich habe keinerlei Beziehung zu ihm. Das Grundstück für die Kita hat der | |
| Liegenschaftsfonds verkauft, und die Firma Pewobe war der Höchstbietende. | |
| Ich hätte mir auch gut und gerne einen lokalen Träger vorstellen können. | |
| Und ich habe nicht Herrn Penz angepriesen, sondern über die Kita | |
| informiert, die vor Ort dringend gebraucht wurde. | |
| Kommen wir zu Ihrem „Paradigmenwechsel“, der besagt, dass das Land künftig | |
| selber Unterkünfte bereitstellen will. Waren die Skandale um Pewobe der | |
| Grund? | |
| Im Sommer vorigen Jahres wurde nicht nur am Beispiel der Haarlemer Straße | |
| deutlich, dass das Angebot für Flüchtlingsunterkünfte am freien Markt immer | |
| kleiner wird, solange Immobilienangebot und Betrieb des Heims in einer Hand | |
| liegen. So war es zwar immer im Land Berlin seit dem Zweiten Weltkrieg – | |
| aber wir waren uns im Senat einig, dass dies nicht länger sinnvoll sein | |
| kann, sondern dass das Land selbst Immobilien ertüchtigen muss. So gewinnen | |
| wir mehr Einfluss auf die Qualität und die Kosten der | |
| Flüchtlingsunterkünfte. Denn in dem Moment, wo ich dem Betreiber sage, dass | |
| ich mit seiner Qualität nicht einverstanden bin, verliere ich die | |
| Immobilie. Darum gehen wir schrittweise einen neuen Weg: Wir bauen selbst | |
| auf eigenen Grundstücken Wohncontainer oder Häuser in modularer Bauweise | |
| und ertüchtigen bestehende, eigene Gebäude – um mehr Freiheit bei der | |
| Auswahl der Betreiber zu haben. Mein Ziel ist aber auch, in künftigen | |
| Verträgen zu einer Verabredung zu kommen, dass, solange ein Betreiber in | |
| einem Objekt nicht die Qualität erbringt, wir keine neuen Verträge mit ihm | |
| abschließen. Auch das war in der Vergangenheit so nicht der Fall. | |
| Geht es darum, private Anbieter vom Markt zu drängen? | |
| Ich möchte eine sehr gute Qualität der Flüchtlingsunterbringung in Berlin | |
| gewährleisten und dafür auf ein breites Angebot von Betreibern | |
| zurückgreifen können. Ich sehe, dass der Druck auf den Immobilienmarkt dazu | |
| führt, dass nur wenige Betreiber von Heimen gleichzeitig in der Lage sind, | |
| auch Immobilien zu ertüchtigen und damit Flüchtlingsheime anzubieten. Wenn | |
| wir selber Gebäude anmieten, ermöglichen wir auch, dass sich mehr freie, | |
| gemeinnützige Träger an der Aufgabe beteiligen können. Das wäre eine gute | |
| Entwicklung. Aber wir müssen ein diskriminierungsfreies Verfahren | |
| ermöglichen und können keine privaten Träger ausschließen. | |
| Bis auf die Containerdörfer kann man noch nicht viel sehen vom | |
| Paradigmenwechsel. Erst ein landeseigenes Gebäude, das in der Eschenallee, | |
| ist zum Heim geworden. | |
| Bauprojekte sind leider nicht kurzfristig zu stemmen. Das Lageso muss erst | |
| prüfen, ob die fraglichen Gebäude geeignet sind und ob sie wirtschaftlich | |
| herstellbar sind. Dann muss die BIM, der landeseigene | |
| Immobiliendienstleister, die Gebäude für uns als Bedarfsträger herrichten. | |
| Dabei muss öffentliches Ausschreibungsrecht beachtet werden. Private | |
| Anbieter können das natürlich schneller, die müssen nicht ausschreiben. | |
| Dieser Paradigmenwechsel ist enorm anstrengend, das weiß ich, und er | |
| funktioniert auch nur, wenn wir gleichzeitig auf landeseigenen Grundstücken | |
| schnellere Bauten errichten. Das waren zunächst die Wohncontainer und | |
| werden künftig die modularen Bauten sein. Auf diese Weise wollen wir 2016 | |
| und 2017 je 3.500 Plätze schaffen. Dank der Zusammenarbeit mit der | |
| Senatsverwaltung für Stadtentwicklung können wir im Herbst den Bau der | |
| modularen Häuser ausschreiben. Öffentliches Vergaberecht braucht seine | |
| Zeit, aber dafür hat das Land dann auch die Hoheit über die Immobilie, ist | |
| selber Eigentümer und kann dann unabhängig den Betreiber auswählen. | |
| Ganz langsam geht es auch mit der Bima, die Bundesimmobilien verwaltet. Sie | |
| hatten kürzlich geklagt, die Bima stelle Ihnen nur Schrottimmobilien zur | |
| Verfügung. Die Bima erwiderte, sie habe Ihnen zuvor andere, bessere Gebäude | |
| angeboten. | |
| Ich habe diese Aussage der Bima auch gehört, aber sie trifft leider nicht | |
| zu. Das Lageso hat mehr oder weniger dieselbe Objektliste zweimal bekommen, | |
| einmal mit einer Bewertung der Objekte und einmal ohne Bewertung. Sie | |
| können mir glauben, wenn darauf nur ein Objekt gewesen wäre, das nutzbar | |
| wäre, ich hätte es genommen. Aber auf diesen Listen sind nur Abrissgebäude, | |
| Freiflächen, Munitionsbunker, sogar der Flughafen Tegel und das Sommerbad | |
| Columbiadamm. Wir haben die Bima jetzt noch mal konkret nach vier Gebäuden | |
| gefragt, die bislang nicht auf ihrer Liste waren, darunter das | |
| Strahlenschutzamt in der Waldowallee und das Gebäude des ehemaligen | |
| Stasi-Beauftragten in der Otto-Braun-Straße. Ich habe demnächst auch ein | |
| Treffen mit dem Geschäftsführer der Bima. Aber diese Bima-Angebote der | |
| Vergangenheit haben den Ernst der Lage wirklich in keiner Weise | |
| widergespiegelt. | |
| Der Bund macht vielleicht lieber Geld mit Immobilien. Und das Land Berlin? | |
| Hat die hiesige BIM nicht auch andere Prioritäten, etwa Wohnungsbau und | |
| Höchstpreisverkauf? Fühlen Sie sich von SPD-Stadtentwicklungssenator | |
| Andreas Geisel genug unterstützt? | |
| Richtig ist, dass wir zu dem Zeitpunkt, als wir entschieden haben, auf | |
| landeseigenen Grundstücken zu bauen, nur ein extrem kleines Angebot vom | |
| Liegenschaftsfonds bekommen haben. Man bot uns zunächst lediglich 20 | |
| Grundstücke an. Aber man muss dazu wissen, dass das Land Berlin kurz davor | |
| mehrere hundert Grundstücke den städtischen Wohnungsbaugesellschaften zur | |
| Prüfung für den Wohnungsbau angeboten hatte. Die standen uns somit zu | |
| diesem Zeitpunkt nicht zur Verfügung. Auch die Bezirke haben zunächst | |
| gesagt, dass sie keine Grundstücke zur Verfügung stellen können. Aber bei | |
| den Verhandlungen zeigt sich dann immer, dass es noch Spielräume gibt. | |
| Insgesamt fühle ich mich von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung | |
| außerordentlich gut unterstützt. Wir sind eine wachsende Stadt, und in den | |
| großen Städten ist es schwieriger als im ländlichen Raum, | |
| Unterbringungsmöglichkeiten zu schaffen. Hamburg hat schon vor einem Jahr | |
| ehemalige Kreuzfahrtschiffe für die Unterbringung genutzt, München | |
| Oktoberfestzelte. Wir haben in Berlin temporär über die Wintermonate | |
| Menschen in Turnhallen unterbringen müssen … | |
| Es gibt doch noch ein paar Hallen, oder? | |
| Nein, die Turnhallen sind inzwischen alle leer gezogen. Das ist bei diesen | |
| steigenden Flüchtlingszahlen eine große Leistung des Lageso. | |
| 22 May 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Susanne Memarnia | |
| Alke Wierth | |
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| Soziales | |
| Mario Czaja | |
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