# taz.de -- Die 66. Filmfestspiele in Venedig: Lob der Frivolität | |
> Der diesjährige Beitrag von George A. Romero ist mal wieder ein | |
> Zombie-Film. Aber statt sie zu bekämpfen wollen die Lebenden die Untoten | |
> nun integrieren. | |
Bild: Der alte Mann und die Zombies: Regie-Veteran George A. Romero in Venedig. | |
Ob George A. Romero noch Zombie-Filme dreht, wenn er tot ist? "Survival of | |
the Dead", sein Beitrag zum Wettbewerb, bietet viele Möglichkeiten für | |
Sequels: "Children of the Dead" könnte eines heißen, am schönsten wäre | |
"Integration of the Dead". Denn in "Survival of the Dead", dem sechsten | |
Teil in Romeros Zombie-Zyklus, zögern die Überlebenden, sich die Untoten | |
per Kopfschuss vom Leib zu halten. | |
Stattdessen versuchen sie, die Zombies in ihre Welt zu integrieren. Da der | |
Schauplatz eine kleine Insel vor der Küste Delawares ist, ist dieses | |
Bestreben verständlich. Hier kennt jeder jeden, niemand möchte seine | |
Ehefrau, die eigenen Kinder oder die des Nachbarn niederstrecken. | |
Vom zeitdiagnostischen Furor, der Romeros Debüt "Night of the Living Dead" | |
(1968) kennzeichnete, ist ein milder Überdruss am Amerika der Bibeltreuen | |
und Hinterwäldler geblieben. In einer Szene macht ein Trupp von Rednecks | |
sich eine Freude daraus, afroamerikanische Zombies zu pfählen. Romero, | |
Freund der Poetic Justice, lässt sie nicht ungeschoren davonkommen. | |
Eine Prise Gender Trouble bringt er mit der Figur einer lesbischen Soldatin | |
ins Spiel, die auf den sprechenden Namen Tomboy, Rabauke, hört. Nachdem die | |
Schergen des Inselpatriarchen sie überwältigt haben, erklärt der alte Herr | |
der jungen Frau, wie die Ordnung auf Plum Island gewahrt wird: Die untoten | |
Kinder werden ans Bett gekettet, die untoten Frauen an den Herd, "wie es | |
sich gehört". | |
In einer anderen Szene erinnert sich Tomboys Vorgesetzter Crocket an seine | |
Kindheit in einer kleinen Stadt "in der hintersten Arschwindung von | |
Alabama": "Kleine Städte bringen kleingeistige Menschen hervor." Plum | |
Island untermauert Crockets These. Zwei Familien, die Muldoons und die | |
OFlynns, bekriegen sich stur und seit Generationen. Der Anlass für die | |
Fehde ist längst vergessen, trotzdem geht sie weiter. Am Ende stehen sich | |
Muldoon und OFlynn gegenüber, der Vollmond erhellt die Nacht, ihre Pistolen | |
sind gezogen, und man weiß: Dieses Duell wird niemals enden. | |
Cox gebastelte Welt | |
In seinem jüngsten Buch "Hollywood heute" schreibt der Filmwissenschaftler | |
Thomas Elsässer, Filme böten imaginäre Lösungen für reale Probleme. Wenn | |
man sich den Weg vom realen Problem zur imaginären Lösung verschlungen und | |
verworren vorstellt, findet man am Lido reichlich Anschauungsmaterial für | |
Elsässers These. In den Eingeweiden von "Survival of the Dead" etwa stößt | |
man auf die Sorge um die Provinzialität der USA. Und Alex Cox, dessen | |
jüngste Low-Budget-Produktion "Repo Chick" in der Orizzonti-Sektion läuft, | |
lässt die Gespenster der Finanzkrise durch sein durchgeknalltes Bastelkino | |
spuken. | |
"Repo Chick" ist fast vollständig vor dem Bluescreen entstanden, die | |
Figuren agieren vor nachträglich eingefügten Bildhintergründen; außerdem | |
hat Cox immer wieder mit Spielzeugautos und Modelleisenbahnen | |
vorliebgenommen, da er für echte Züge und Autos kein Geld hatte. | |
Die Hauptfigur, Pixxie de la Chasse, ist eine überzeichnete Paris Hilton. | |
Durch widrige Umstände sieht sie sich dazu gezwungen, als "Repo Chick" zu | |
arbeiten, das heißt: Zahlungsunfähigen die Besitztümer abzunehmen, Autos, | |
Wohnwagen, Häuser. Cox Film ist wie "Survival of the Dead" frivol, und | |
genau darin liegt die Qualität: Die Frivolität verhindert, dass man sich | |
von den realen Problemen niederstrecken lässt. | |
10 Sep 2009 | |
## AUTOREN | |
Cristina Nord | |
Cristina Nord | |
## TAGS | |
Horrorfilm | |
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