# taz.de -- Die 66. Filmfestspiele in Venedig: Glückliche Frickler | |
> Heute: "Soul Kitchen" von Fatih Akin gegen Romuald Karmakars | |
> "Villalobos". | |
Bild: Regisseur Fatih Akin, umringt von seinen Stars. | |
Mit einem Feelgood-Movie im Gepäck reist Fatih Akin nach Venedig. Sein | |
Wettbewerbsbeitrag "Soul Kitchen" erzählt von dem Hamburger | |
Restaurantbesitzer Zinos (Adam Bousdoukos). | |
Als seine Freundin, offenkundig ein Kind der Elbchaussee, | |
Auslandskorrespondentin der Zeit in China wird, gerät Zinos Leben aus den | |
Fugen. Kaum hat er sich am Flughafen von ihr verabschiedet, sitzen ihm | |
Finanz- und Gesundheitsamt, ein Immobilienspekulant und sein an Spielsucht | |
leidender, inhaftierter Bruder Ilias (Moritz Bleibtreu) im Nacken. Als | |
reichte das nicht, treibt Akin Schabernack mit den Bandscheiben seines | |
Helden. Am Zustand von Zinos Rücken lässt sich im weiteren Verlauf des | |
Films verlässlich ablesen, ob der Schlamassel größer oder kleiner wird. | |
Akin inszeniert den Wechsel von Party und Kater, von Chaos und sich wieder | |
einstellender Ordnung hart am Rand der Klamotte. Wenn es im Gebälk der | |
Erzählung knirscht, hilft ihm der Soundtrack weiter. Dazu tragen neben | |
anderen Quincy Jones, Kool & The Gang und Mongo Santamaria bei. Die Figuren | |
zeichnet der Regisseur so schematisch, dass sie ausreichend komödiantischen | |
Mehrwert abwerfen, aber nicht vollständig im Klischee erstarren. | |
Manche Pointen sind bewundernswerter Nonsense, manche vorhersehbar. Birol | |
Uenel gibt den cholerischen Koch Shayn, der lieber seine Stelle im | |
Gourmetrestaurant verliert, als einem launischen Gast den Gazpacho warm zu | |
servieren. So trifft er auf Zinos, für den Kochen daraus besteht, | |
tiefgekühlten Fisch in die Fritteuse zu werfen. Shayns Art, Essen | |
zuzubereiten, ist konsensfähig. "Soul Kitchen" liefert die Filmvariante zu | |
den TV-Kochshows und weiß sich auf der sicheren Seite: Wer schließlich | |
wollte gegen gutes Essen etwas einwenden? | |
Karmakar und Villalobos | |
Romuald Karmakars Beitrag zur Orizzonti-Sektion hat mehr Substanz. | |
"Villalobos" porträtiert den DJ und Musiker Ricardo Villalobos. Villalobos | |
kam 1970 in Chile zur Welt; nach dem Putsch gegen Salvador Allende gingen | |
seine Eltern mit ihm nach Deutschland, in der Nähe von Darmstadt wuchs er | |
auf. Heute ist er als DJ, Musiker, Produzent und Labelbetreiber eine | |
herausragende Gestalt in der elektronischen Musik. Karmakar, der schon mit | |
"196 bpm" und "Between the Devil and the Wide Blue Sea" zu Techno forschte, | |
filmt Villalobos in langen, selten geschnittenen Einstellungen im Club, und | |
er begleitet ihn ins Studio, wo sich der Mann als glücklicher Frickler | |
erweist. Seine Faszination für Musik und Technik wird hier anschaulich. | |
Warum schätzt er Aufnahmen klassischer Konzerte aus den 50er- und | |
60er-Jahren so sehr? Weil damals nur ein Mikrofon zum Einsatz kam, sodass | |
der Zuhörer den Eindruck hatte, direkt hinter dem Dirigenten zu stehen. | |
Wenn heute mit vielen Mikrofonen gearbeitet wird, geht diese Verortung im | |
Raum verloren, obwohl sie so wichtig für das Erleben des Klangs ist. | |
Und warum haben die Lautsprecher in Villalobos Studio die Form eine Horns? | |
Weil sich so der Klang zunächst in einem eingegrenzten Luftraum entfalten | |
kann, statt gleich auf den ganzen Luftraum zu treffen. Die Membranen müssen | |
deshalb nicht so viel leisten, sie schwingen nicht so weit hin und her, was | |
bedeutet, dass sie leichter in ihre Ausgangsposition zurückfinden. Toll ist | |
die Szene, in der Villalobos versucht, ein Modulsystem mit unzähligen | |
Reglern, Kabeln und Knöpfen zu erklären. So viel wird klar: Das blinkende | |
System produziert noch dann Geräusche und Tonspuren, wenn Villalobos längst | |
den Raum verlassen hat. "Wie Metropolis" staunt Karmakar. | |
11 Sep 2009 | |
## AUTOREN | |
Cristina Nord | |
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