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# taz.de -- Serie "Neue Ökonomie" (IV): Ein Selbstversuch auf dem Lande
> Kastration des Geldes: Es gibt vielfältige Versuche, sich dem
> kapitalistischen Verwertungsprozess und seinen Folgen zu entziehen. Imma
> Harms tauscht und gibt.
Bild: Imma Harms.
In Zeiten der Krise geraten die abseits gelegenen Lebensformen wieder ins
Blickfeld der Sehnsucht nach Subsistenz, nach Gegenmodellen zur
Erwerbsarbeit. Es gibt vielfältige Versuche, sich dem kapitalistischen
Verwertungsprozess und seinen Folgen so weit als möglich zu entziehen. Es
gibt Ansätze und Projekte, die ganz klassisch daran arbeiten, gegenseitige
Hilfe zu organisieren, solidarische Ökonomie zu praktizieren, gerechtes
Teilen zu realisieren. Und es gibt Überlegungen, sozusagen aus der
"digitalen Welt" (seit Ende der 90er-Jahren von "Oekonux" oder aktuell von
Ch. Siefkes), ob sich freie und kooperative Produktionsweisen, wie sie bei
der Entstehung von Freier Software wie Linux, Firefox, Wikipedia u.s.f.
praktiziert wurden und werden, auch auf eine neue Ökonomie, auf
gesellschaftliches Handeln übertragen lassen. Mit all diesen Möglichkeiten
freier, selbstorganisierter, selbstbestimmter und nicht profitorientierter
gesellschaftlicher Kooperation und Produktion beschäftigt sich Imma Harms
theoretisch beziehungsweise auch ganz praktisch, seit sie auf dem Lande
lebt.
Sie hat in ihrem früheren Leben als Stadtbewohnerin bereits eine Menge
ausprobiert. 1949 in Bochum geboren (beide Eltern waren Lehrer), studierte
sie nach der Schule kurz Theaterwissenschaften, danach Elektrotechnik und
Informatik, 1977 machte ihren Dipl. Ing. 1979 war sie Mitbegründerin der
technik- und sozialkritischen Zeitschrift Wechselwirkung in Berlin, von
1981 bis 1984 und von 1985 bis 1993 war sie Redakteurin bei der taz. Ende
der 80er-Jahre war sie aktiv in der autonomen Bewegung (Mobilisierung gegen
den IWF), traf ihren Freund und "politischer Ziehvater" wieder, Detlev
Hartmann (Vertreter des deutschen Postoperaismus, Autor von "Leben als
Sabotage"), 1992 bis 1997 studierte sie Philosophie an der FU Berlin. 1995
war sie Mitinitiatorin des Autonomie-Kongresses in Berlin. Seit 1996 macht
sie (teils zusammen mit ihrem Freund Thomas Winkelkotte) sehr genaue und
die Widersprüche umspielende Dokumentarfilme über Naheliegendes. (1989 über
den türkischen Mauergarten in Kreuzberg und die Frage, wie sich Eigentum
definiert; 2002 über ein antirassistisches Grenzcamp der autonomen Szene
Hamburg "Im Schatten der Zelte" oder auch "Passagen. 12 Geschichten von
Müll und Wert", die bei einem Arte-Themenabend liefen. Als Einzelarbeit
drehte sie unter anderem 100 Filmporträts der taz-Gründerinnen und
-Gründer). Seit 2006 schreibt sie in ihren taz-blog "Jottwehdeh"
Alltagsgeschichten und Essays. Seit 2008 ist sie im Gemeinderat und gab als
Vorstandsmitglied des örtlichen Kulturvereins Möhre die Gemeindezeitung
Ortszeit (für Möglin, Herzhorn und Reichenow) heraus. Sie und Thomas
Winkelkotte veranstalten seit Jahren Filmvorführungen auf dem Dorf, auch
auf einer Leinwand im See, nebst Feuerzauber.
An einem schönen Herbsttag fahren Elisabeth Kmölniger und ich, ohne zu
bemerken, dass wir einen Tag zu früh unterwegs sind, zügig Richtung
Oderbruch. Die Pflaumen hängen blausilbern und dicht in den alten Bäumen,
Äpfel bedecken wie abgeschüttelt den Straßenrand. Es ist ein seltsam
üppiger Herbst. Üppig an Früchten und Insekten. Der Künstlerhof
"Colaborative Gut Reichenow" liegt 50 Kilometer nordöstlich von Berlin, am
Rande des Oderbruchs im kleinen Dorf Reichenow-Möglin. Möglin hat etwa 300
Einwohner. Als Erstes zu sehen ist der weiße Turm des Schlosses. Ein
leichter Geruch nach Herbstfeuer und Schweinegülle liegt in der Luft. Das
Schloss ist weiß, im Tudorstil, mit Zinnen und Balustraden. Es ist heute
vor allem ein Hochzeitshotel, mit eigenem Standesamt, dient Hochzeitspaaren
und Hochzeitsnächten als unvergessliche Kulisse.
Vis-à-vis vom Schloss liegt ein einstöckiges schmuckloses Häuschen mit
rosafarbenem Rauputz, den Schlossbetreiberinnen ein Dorn im Auge. Zu
DDR-Zeiten war es Gemeindeverwaltung, Büro des Bürgermeisters und
Eier-Abgabestelle. Hier hat sich Imma ihr Refugium ausgebaut. Sie bewohnt
ein großes und stilles Arbeitszimmer mit Kamin, eine umfangreiche Küche und
zwei Räume mit Schlossblick. Der andere Teil des Hauses beherbergt den
Video-Club mit Club-Kino im holzgetäfelten ehemaligen Bürgermeisterzimmer,
ihr großes Film- und Videoarchiv zur Filmgeschichte (mit cineastischen
Spezialitäten) sowie ein Gästezimmer, eine gut ausgerüstete Werkstatt und
das Holzlager. Das Haus ist Bestandteil des Gutshofes mit Brennerei, der um
1900 errichtet wurde. Er war in der DDR LPG, wurde nach der Wende von
Berlinern erworben, in einen Trägerverein überführt und sehr gut ausgebaut.
Es gibt einen großen Proben- und Veranstaltungssaal, ein Gästehaus, ein
Vereinslokal mit Wochenendbetrieb, ein Amphitheater und viel Platz für
Gärten und Ausbau. Im ehemaligen, 120 Meter langen Rinderstall aus
Backstein befinden sich Studios, Ateliers und Werkstätten, bewohnt von etwa
40 Freischaffenden aus Westberlin, die teils in freundschaftlichen, teils
in Arbeitsbeziehungen miteinander verbunden sind. Hier lebt auch Immas
Freund, der Filmemacher Thomas Winkelkotte. Alle haben den Status von
Mietern, nur Imma ist Pächterin ihres Hauses.
Imma, die uns erst am nächsten Tag um 11 erwartet, bittet erstaunt, aber
mit umstandsloser Freundlichkeit ins Haus, improvisiert gastlich ein
Frühstück, erklärt, wie man mit dem Auftragen von einfacher Buttermilch
Fensterscheiben in blickdichte Milchglasscheiben verwandeln kann und
erzählt uns nach und nach die Geschichte ihrer jetzigen Existenzform:
"Ich hatte einfach Sehnsucht nach Neuland. Nach politischem Neuland. Und
ich habe das schon ein Stück weit hier gefunden. So verrückt das klingt.
Ich lebe jetzt seit circa zehn Jahren hier auf dem Land - also das ist
nicht mehr ,Speckgürtel', das ist wirklich schon Land. Und das hat
Konsequenzen für die Art, wie wir hier leben - wie ich hier lebe. Ich führe
auf dem Land eine ökonomisch vollkommen andere Existenz als in der Stadt.
Mit sehr wenig Geld. Ich habe im Grunde, ja also … als regelmäßiges
Einkommen nur einen minimalen Geldbetrag, den ich von einer Berliner
Wohnung kriege, die meine ist. Mit dem Betrag kann ich meine festen Kosten
hier bezahlen. Alles Weitere muss ich mir organisieren. Das geht meist.
Geldmäßig ist nämlich ein Tag in der Stadt so teuer wie eine Woche auf dem
Land. Wir können uns hier besser dem aggressiven Zweck entziehen, den Geld
verkörpert.
Ich hatte das Glück, einige Dinge realisieren zu können in meinem Leben.
Ich habe Anfang der 90er-Jahre eine Erbschaft gemacht und mir überlegt, was
mache ich mit dem Geld? Ich habe einige Projekte gesponsert, mir ein
Philosophiestudium bewilligt und vor allem Filme gemacht. Heute haben wir
das Filmemachen ein bisschen eingeschränkt, denn erstens muss man diese
katzbuckelnden Anträge schreiben, um an Geld - oder Gelder - zu kommen,
wird dann auch noch demütigend behandelt von Leuten, die einen Zipfel Macht
in der Hand halten. Zweitens kann man von hier aus dieses ,Networking' -
wie es jetzt heißt - nicht mehr so betreiben. Viele Jahre haben wir
versucht, hier vom Land aus die Verbindungen zu halten, noch Teil von
politischen Strukturen in Berlin zu sein. Thomas und ich waren zehn Jahre
Mitglieder in einem Videokollektiv, das ein Videoarchiv der linken Bewegung
unterhält und auch bestimmte Projekte gemacht hat. Aber das ist eben sehr
schwer, soziale Beziehungen aufrecht zu erhalten, die nicht ständig
gepflegt werden. Man fällt einfach aus vielen Sachen raus, die noch eine
persönliche Präsenz erfordern, und das wirkt sich natürlich auch auf die
Einkommensquellen aus. Aber es war ja nicht so, dass ich mich hier
asketisch mit reduzierten Bedürfnissen in ein Häuschen zurückziehen wollte,
ich wollte mich in meinen Bedürfnissen und Möglichkeiten neu organisieren,
zusammen mit anderen. Deshalb habe ich schon bald eine Sache intensiviert,
die mir sowieso immer stark entsprochen hat, nämlich zu gucken, wie man
sozusagen Subsistenz praktizieren kann. Also jetzt nicht als Einzelperson,
sondern im sozialen Austausch.
Auf dem Land gibt's da ja ganz andere Möglichkeiten zum Leben, auch wenn
auf dem Konto mal totale Ebbe ist. Beispielsweise haben Thomas und ich hier
befreundete Leute, ein altes Tierarztehepaar, mit einer Highländer-Herde.
Es sind 60 bis 70 Rinder mit wuscheligem, langem Fell und langen spitzen
Hörnern, die das ganze Jahr über fast wild im Naturschutzgebiet leben.
Zweimal im Jahr ist Viehtrieb, da helfen wir auch immer mit. Ich habe den
beiden den Vorschlag gemacht, einen Film über das Treiben zu drehen.
,Fleisch gegen Film' beziehungsweise ,Film gegen Fleisch'. Damit waren sie
einverstanden. Thomas und ich essen gerne Fleisch, aber nicht das aus dem
Supermarkt. An dem Tag, als der Viehtrieb war, bin ich dann auf dem Roller
und mit der Kamera losgefahren und habe gefilmt. Es hat Spaß gemacht.
Nachbarschaftliche Tauschgeschäfte sind ja nicht ungewöhnlich auf dem Dorf.
Was bei einem solchen Akt aber offen bleibt, ist das Problem der Bewertung.
Da sind wir gleich an einem Punkt, der von großer Bedeutung ist, denn bei
so einem Tausch auf dem Dorf musst du den Tauschwert nicht unbedingt
festlegen. Im Grunde muss man sich nur auf den Gebrauchswert stützen. Aber
schon auch darauf, dass demgegenüber der Wert deines Tauschgegenstands in
etwa bekannt ist, er ihn nicht zu hoch oder zu niedrig ansetzt. Nur, was
ist der Wert eines Filmes? Tausend, zweitausend Euro oder mehr? Das ist ja
ganz davon abhängig, wie und wo man ihn vermarktet. Also wie rechnen? Gut,
ich kann sagen, Minimum ist das Material oder die Arbeit, die ich
reinstecke. Aber auch das ist fragwürdig, denn wie viel ist meine Arbeit
wert?" Sie lacht.
"Es hat mir ja auch Spaß gemacht.
Hier auf dem Land, da sieht man das noch genauer, dass es einfach nicht
geht, wenn alle nur ihrem eigenen Vorteil nachjagen. Es balanciert sich
nichts aus, wie Adam Smith meinte. Das ginge nur, wenn man eine
unerschöpfliche Ressource im Hintergrund hätte - als solche wird
normalerweise ja die Natur genommen -, aber dass es so nicht ist, das weiß
inzwischen jeder. Eine Ökonomie, die auf dem totalen Ausbeuten und
Rausschinden der Ressourcen aufbaut, die kann auf Dauer einfach nicht
funktionieren. Das ist logisch und ein einfaches Rechenexempel. Und das hat
mich dazu gebracht, sowohl auf theoretischer Ebene als auch auf der Ebene
von Experimenten, von Kontakten zu anderen Leuten und Ansätzen mal zu
gucken, nach Formen solidarischer Ökonomie. Einer Ökonomie, die eben anders
funktioniert. Auch zu sehen, wie man sich in seinen Bedürfnissen,
Fähigkeiten und Möglichkeiten mit anderen organisiert, konzentrisch
sozusagen.
Ich bin in verschiedenen Bereichen mit unterschiedlichen Ansätzen aktiv. Es
gibt zum einen diesen Bereich der Tauschökonomie, zwei Tauschmärkte oder
Tauschringe, hier im Oderbruch und in der Märkischen Schweiz, die ich mit
organisiere oder organisierte. Die gingen hervor aus einem Seminar über
Geld, Alternativwährung, Schrumpfgeldtheorie usw., veranstaltet hier von
der Kommune Klosterdorf, einer ökologischen Lebens- und
Arbeitsgemeinschaft. Diese Tauschmärkte haben dann aus verschiedenen
Gründen gekränkelt. Es ist ja so: Das Tauschäquivalent in der Stadt sind
meist Zeiteinheiten, denn das Prinzip ist Arbeitszeit gleich Lebenszeit.
Und eine Stunde ist eine Stunde! Auf dem Land ist das komplizierter, denn
man tauscht vorzugsweise Produkte oder Leistungen, deren Wert eingeschätzt
werden muss. Ich habe versucht, das zu reformieren, weil ich die Sache
wichtig finde. Ich habe zum Beispiel für alle, die zum Markt
zusammenkommen, eine ,Währung' gemacht", sie zeigt uns ein Kästchen, voll
mit bunten kleinen Plastikquadraten, "ich habe sie ,Rübel' genannt. Sie
werden nach Gebrauch, also am Schluss des Marktes, wieder eingesammelt. Die
sind nur als Interimsgeschichte wichtig. Es gibt auch eine Mitgliedskarte
für die ,Rübel-Union', namentlich ausgestellt. Wer Mitglied ist, der hat
Kredit in der Zeit zwischen den Märkten, hat Gutscheine, also eine Art
Wechsel, die er auch an Nichtmitglieder, von denen er etwas erhält,
weitergeben kann. Das ist noch in der Versuchsphase. Also diese beiden
Märkte haben längst nicht die explosionsartige Entwicklung genommen, wie
der Verschenkemarkt. Und jetzt versuche ich gerade mühsam, die Märkte und
Angebote über das Internet vorzubereiten.
Als Zweites mache ich hier auf dörflicher Ebene diesen sogenannten
Verschenkemarkt. Der wird organisiert von unserem Möhre-Kulturverein - bzw.
eigentlich von mir -, und zwar zweimal im Jahr. Die Handzettelchen für die
Ankündigung druckt mein lieber Freund Anton. Er lässt mir bei seinen
Druckerzeugnissen einen kleinen Streifen frei, wo ich die dann mitdrucken
lassen kann. Sie werden von den Kindern in die Briefkästen verteilt. Und
dann kommen wirklich die Leute aus dem Dorf, aus der ganzen Umgebung - also
vollkommen normale Bevölkerung - mit Wäschekörben voller Sachen. Es ist wie
ein Flohmarkt, aber eben ohne Geld. Das findet im Saal der Kneipe hier
nebenan statt. Es gibt einen hohen Umsatz von Sachen. Keiner geht weg, ohne
wieder etwas mitgenommen zu haben. Niemand! Hinterher rief mich letztens
eine Frau aus dem Dorf an und sagte, ich habe viel Dill usw. im Garten,
kann vielleicht jemand was davon brauchen? Es entstehen Kontakte und Ideen.
Also das ist ein soziales Highlight inzwischen.
Dann gibt es die ,Projektwerkstatt auf Gegenseitigkeit', mit der wir in
gutem Kontakt stehen. Das ist ein Zusammenschluss von - sagen wir mal -
alten Kreuzberger Linken, die viel in Projekten aktiv waren." (PAG.
Stiftung, Verein und Netzwerk "Zur Entschärfung von Privateigentum. Die
Idee ist, Liegenschaften zu erwerben, mit dem Zweck, sie unentgeltlich an
Projekte zu verleihen, die solidarische Ökonomie praktizieren. Anm. G. G.)
"Die Gelder kommen von Spendern und von Erben. Eines dieser Projekte, das
nicht über das Tauschprinzip, sondern über das Prinzip gegenseitiger Hilfe
funktioniert, ist der Karlshof. Dort arbeiten wir auch zwischendurch mit.
Demnächst wieder als Helfer bei der Kartoffelernte. Sie praktizieren eine
nicht kommerzielle Landwirtschaft in Form kollektiver Subsistenz - schon im
dritten Jahr - und haben so eine Mischung aus Beitragsökonomie und
Schenkökonomie. Sie produzieren nicht für den Markt, sondern für den
Bedarf, für Leute, die Kartoffeln brauchen. Ihre Kartoffeln werden gratis
weitergegeben. Sie verschenken ihre Kartoffeln! Die demonstrieren ganz
radikal, dass man das Geldäquivalent gar nicht braucht. Alle arbeiten mit
gleichem und nicht profitorientiertem Interesse an einer gemeinsamen Sache.
Das Produkt geben sie kostenlos weiter. Das ist übrigens ähnlich wie bei
der Peer-Production, bei Open-Source-Entwicklungen oder der internationalen
freien Datenbank "Commons". Das sind eben solche ,utopischen' Ansätze, die
immer weitere Ideen stiften wollen.
Man muss aber diese vielen kleinen Blasen solidarischer Ökonomie schon auch
immer schützen, weil sie von Seiten der nichtsolidarischen Ökonomie
natürlich begehrt werden. Es gibt immer Interessenten, die das als
Ressource betrachten, die sich ausplündern lässt. Also das Gemeingut muss
vor Privatisierung und Inbesitznahme geschützt werden. Es ist also wichtig,
dass die Leute auch aktiver Bestandteil eines sozialen Netzwerkes sind.
Wenn ich hier zum Beispiel den Verschenkemarkt organisiere, wenn ich meine
Hilfe zur Verfügung stelle oder ein Seminar mache zu diesen Themen, dann
gehöre ich dazu. Bin Bestandteil des Netzwerks von Leuten, die sich um
solidarische Ökonomie kümmern. Und wenn ich von Leuten Mangold kriege, dann
koche ich für die einen Topf voll.
Gegenseitiges Schenken -notfalls auch Tauschen - und gegenseitige Hilfe,
gegenseitiges Zusammenarbeiten an einem Projekt, das ist es, um was es
geht. Die Leute übrigens, mit denen Thomas und ich hier zu tun haben, auch
politisch zu tun haben, also die sich im Rahmen dieser PAG befinden, die
sind mehr als eine Generation jünger als wir, sind Mitte bis Ende 20. Die
haben viel von der Frische der frühen Autonomen-Zeit in Berlin. Sie sind
furchtlos, aber mit einer viel größeren Zuverlässigkeit. Viele leben
natürlich auch von bescheidensten Mitteln. Letztlich ist jedes Projekt von
innerer Erosion bedroht. Denn wenn das Vertrauen darauf, dass auch der
andere auf seinen persönlichen Vorteil verzichtet, nicht mehr da ist, dann
schwindet die Großzügigkeit, mit der man sich gegenseitig Produkte und
Arbeitszeit schenkt. Das gegenseitige Vertrauen darauf, dass mir der
Vorteil des anderen genau so wichtig ist wie der eigene, dass ich das
Wohlergehen des anderen mitdenke, muss immer wieder neu gestiftet werden.
Denn das ist das Fundament für eine zuverlässige Tragfähigkeit.
Die Beschäftigung mit dem Essay von Marcel Maus über die Gabe hatte mich
dann zu der Überlegung gebracht, dass es gut wäre, Leute der
unterschiedlichen Projekte - die sich teilweise gar nicht persönlich
kannten - mal zusammenzubringen, um miteinander zu diskutieren über die
jeweiligen Ansätze. Ich habe dann eingeladen zu einem Seminar - genauer
gesagt, es waren zwei - über solidarische Ökonomie. Ich habe es an zwei
Samstagen gemacht. Am ersten waren sozusagen die gestandenen Leute da, die
alle eine lange Geschichte in Projekten haben, ganz viel wissen, auch,
woran solidarische Ökonomie scheitern kann. Und am zweiten Samstag waren
fast nur junge Leute da, die noch nicht so viel Erfahrung haben. Die
Straußberger zum Beispiel, die gar nicht mehr alle zusammenleben und
trotzdem ihre gemeinsame Ökonomie aufrechterhalten. Sie haben ein
gemeinsames Konto und treffen sich einmal im Monat. Ich habe mich erinnert
gefühlt an einen Orden. Auch die Leute vom Karlshof waren da und eine
Gruppe, die versucht, in Leipzig ein Projekt zu machen, ein Zentrum für
politische Aktionen gegen rechts und Rassismus usw.
Wir haben miteinander diskutiert. Es ging um die drei Spielarten von
Balanceökonomie, also Tauschökonomie, Beitragsökonomie und Schenkökonomie.
Es ging darum, das Theoretische auch noch mal im Zusammenhang mit der
jeweiligen eigenen Praxis zu betrachten. Und um die Notwenigkeit, dass
diese drei Formen ineinander geschachtelt und immer wieder vernetzt werden
müssen. Ich habe aber auch erklärt, dass ich persönlich die Schenkökonomie
bevorzuge. Denn problematisch bei der Beitragsökonomie ist zum Beispiel:
Wie ist zu gewährleisten, dass das gemeinsam erarbeitete Produkt später
dann auch allen zugute kommt? Und das Problem bei der Tauschökonomie ist,
dass sie quasi auf einem Vertrag basiert, dem, den Tauschwert richtig, das
heißt gerecht einzuschätzen. Weil die Festlegung des Tauschwerts aber in
der Regel am Marktwert orientiert ist, werden damit die Ungerechtigkeiten
der normalen Aneignungsökonomie in die Tauschbeziehung eingeführt. Die
Schenkökonomie hingegen orientiert sich ausschließlich an Bedürfnis und
Gebrauchswert. Sie geht von einem relativen Gleichgewicht des Gebens und
Nehmens aus. Das Tauschobjekt muss quantifiziert werden, die Gabe nicht.
Aus dem Tausch leitet sich ein Anspruch ab, aus dem Akt des Schenkens eher
eine Erwartung auf Erwiderung. Man schenkt, man hilft, man teilt. Ohne zu
fragen, wann und wie das zurückkommt. Das alles aber im Vertrauen darauf,
dass etwas zurückkommt. Vertrauen ist die zentrale Größe bei der
Schenkökonomie und Gerechtigkeit ist die zentrale Größe bei der
Tauschökonomie.
Schenken ist ein Weggeben, bedeutet Aufgeben des Eigentumsanspruchs. Das
scheint riskant und ist es auch. Aber das ist die Form, in der ich gern
leben möchte, in einer solchen Vernetzung mit anderen - auch, wenn nötig,
in einer konflikthaften Vernetzung. Jeder muss selbst seinen Weg aus dem
Sicherheits- bedürfnis finden, das Geld und Eigentum vermitteln, muss
sehen, ob er der Unsicherheit einer bescheideneren Lebensweise und dem
Verlust gesellschaftlicher Anerkennung Erfahrungen abgewinnen kann." Sie
lacht. Dann machen wir einen Spaziergang um den friedlich in seinem
Schilfgürtel glitzernden See herum und pflücken süße Pflaumen von den
Bäumen der ehemaligen LPG-Streuobstwiese.
25 Oct 2009
## AUTOREN
Gabriele Goettle
## TAGS
Kolumne Alles getürkt
Bremen
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