# taz.de -- Studie über linke Gewalt in Berlin: Autonome Rückzugsgefechte | |
> Die Straftaten der linken Szene konzentrieren sich auf den eigenen Kiez. | |
> Sind Autobrandstifter Opfer einer voranschreitenden Gentrifizierung? | |
Bild: Aufschäumendes Thema: Eins der abgefackelten Autos in Berlin | |
Autobrandstifter, mutmaßte Berlins Innensenator Ehrhart Körting (SPD) noch | |
im Sommer, seien "Verrückte" und "psychisch Kranke". Weil dies der | |
Opposition aber nicht reichte, musste Körting ein Gutachten zur Motivation | |
linker Gewalttäter in Auftrag geben. Die Ergebnisse liegen seit Mittwoch | |
(taz berichtete) vor. | |
Doch nicht nur auf den Innensenator war der Druck in den vergangenen | |
Monaten gewachsen, sondern auch auf den Polizeipräsidenten. Freilich | |
bemühte Dieter Glietsch bei der Vorstellung der Studie nicht den | |
Pschyrembel. Vielmehr sprach er von einer größer werdenden Kluft zwischen | |
Arm und Reich. Schon zuvor hatte der oberste Gesetzeshüter in einem | |
Interview mit der taz geraten: "Porschefahrer sollten nachts nicht in | |
Kreuzberg parken." | |
Durchgeknallte oder Opfer sozialer Spannungen? Von beiden Erklärungsmustern | |
ist in der Studie "Linke Gewalt in Berlin", die der Verfassungsschutz | |
erstellt hat, nicht die Rede. Offenbar bemühen sich die politisch | |
Verantwortlichen um eine Versachlichung der Debatte - und signalisieren | |
gleichzeitig, dass sie das Thema inzwischen ziemlich ernst nehmen. | |
Neu sind zwei Begriffe, die die bislang im Dunkeln gebliebenen Motive der | |
linken Gewalttäter aufhellen sollen: "Revierverhalten" und "verdichtete | |
Räume". Vor allem bei politisch motivierten Brandstiftungen und "gegen | |
rechts" gerichtete Straftaten, so der Bericht, spiele das "eigene Revier" | |
eine messbar größere Rolle als bei "demonstrationsbezogener Gewalt". | |
Hintergrund der Erkenntnis ist eine in der Studie vorgenommene | |
Verräumlichung der Straftaten sowie der Wohnorte der ermittelten Täter und | |
Verdächtigen. Demnach wurden von den 268 Autos, die zwischen 2003 und 2008 | |
laut Polizei aus politischen Gründen in Flammen aufgingen, 64 in Kreuzberg, | |
57 in Friedrichshain und 37 in Prenzlauer Berg abgefackelt. | |
Eine ähnliche Konzentration ergibt sich, so die Studie, auch bei den | |
Wohnorten: "Auf der genaueren Ebene der Ortsteile liegen Friedrichshain und | |
Neukölln (jeweils 17 Prozent) vor Prenzlauer Berg und Kreuzberg (jeweils 11 | |
Prozent). Auch die Wohnorte der Tatverdächtigen konzentrieren sich also auf | |
wenige Ortsteile." | |
Dass sich die linke Szene, darunter auch die Gewaltbereiten, in einigen | |
Szenevierteln konzentrieren, ist nichts Neues. Wohl aber die Konzentration | |
der Straftaten auf diese Viertel. Dahinter kann zweierlei stecken: eine | |
Entpolitisierung der radikalen Linken, die ihren Anspruch, im "Herz der | |
Bestie" zuzulangen, aufgegeben hat und nun vor der eigenen Haustür kehrt. | |
Und eine Konzentration der von Polizeipräsident Glietsch erwähnten sozialen | |
Spannungen auf ebenjene Quartiere. | |
Bei Letzterem gibt sich die Studie des Verfassungsschutzes vorsichtig. "Bei | |
Brandstiftungen wohnen 28 Prozent der ermittelten 18 Tatverdächtigen in | |
direkter Nähe zum Tatort." Die empirische Aussagekraft, heißt es, sei | |
"aufgrund der schwierig zu ermittelnden und daher nur in geringer Zahl | |
feststellbaren Tatverdächtigen jedoch an dieser Stelle gering". | |
Mehr Aufschluss gibt dagegen ein Blick auf eine Karte, in der sowohl | |
Straftaten als auch Wohnorte der Verdächtigen eingetragen sind. So | |
konzentrieren sich die Straftaten in Prenzlauer Berg auf die Hotspots der | |
Gentrifizierung - Kollwitzplatz und Kastanienallee. Die Wohnorte der | |
Verdächtigen hingegen liegen beiderseits der Bornholmer Straße. Ein | |
möglicher Hinweis also auf eine Verdrängung der Täter aus aufgewerteten | |
Vierteln. | |
Anders sieht diese Karte in Friedrichshain aus. Dort sind die Wohnorte der | |
Verdächtigen und die Orte der Anschläge weitgehend identisch. Anders als in | |
Prenzlauer Berg, so eine Erklärung, befindet sich der Besetzerkiez noch im | |
Vorstadium der Verdrängung. Das mag auch die Heftigkeit erklären, mit der | |
dort die linke Szene seit Jahren agiert. | |
Weitaus unangenehmer dürften Körting und Glietsch aber die Folgen einer | |
möglichen Entpolitisierung linker Gewalt sein. Wer die Scheiben einer Bank | |
einwirft, agiert im symbolischen Raum von Kiez und Kapital. Wer einen | |
Porsche anzündet, droht dem Besitzer als Individuum. | |
Körtings Gerede von "Verrückten" und "psychisch Kranken" ist also auch ein | |
möglicher Hinweis auf eine neue Etappe linker Gewaltgeschichte: die | |
zunehmende Personalisierung sozialer Konflikte. Der Druck auf die Politik | |
dürfte in der Zukunft wohl zunehmen. | |
Die Studie verweist aber auch auf politische Lösungen. Anders als in | |
Friedrichshain oder Prenzlauer Berg gibt es in Kreuzberg keine Gewalt gegen | |
rechts. Wo kein Problem ist, gibt es auch keine linken Straftaten. Nicht | |
nur der Innensenator und sein Polizeipräsident sind also gefordert, sondern | |
der ganze Senat. Eine soziale Mietenpolitik ist überfällig. | |
13 Nov 2009 | |
## AUTOREN | |
Uwe Rada | |
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