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# taz.de -- Debatte über Gentifizierung und miltanten Protest: Es brennt
> Bei einer Diskussion im taz-Café zeigt die linke Szene offen Verständnis
> für Brandanschläge auf Autos.
Bild: Ausgebranntes Auto in Berlin
Die Frau war aufgeregt. "Wenn man in Kreuzberg aufs Amt geht und über hohe
Mieten klagt, heißt es nur, dann zieh doch nach Marzahn." Der
Simon-Dach-Kiez in Friedrichshain sei "von MTV-Typen und Universal-Yuppies
mit Geld" überrannt worden. "Deswegen mussten andere wegziehen. Und jetzt
brennen die Autos", argumentierte die Frau. Beschädigungen von Luxusbauten,
erklärte dann ein Mann, "werden von mir persönlich hoch geschätzt". Denn er
sehe nicht das Problem, "dass Menschen, die viel Knete haben, sich nicht
frei in der Stadt bewegen können". Menschen ohne Geld hingegen würden von
Wachschutz, Polizei und Ämtern schikaniert.
Hunderte Autos wurden dieses Jahr bereits in Brand gesetzt. Die Polizei
ermittelte bisher weitgehend erfolglos und geht nun zunehmend rabiater
gegen Linke vor. Wer eine Ahnung davon bekommen wollte, warum die militante
Szene in Berlin Aufwind bekommen hat, war am Mittwochabend richtig im
rappelvollen tazcafé. "Wo brennts? - Gentrifizierung und wie man sie
bekämpfen kann" hieß die Diskussionsrunde, zu der die taz eingeladen hatte.
Und im Publikum überwogen unüberhörbar die Linksradikalen.
Auf dem Podium warnte Christoph Villinger, Protagonist der
80er-Jahre-Besetzerbewegung, davor, den Konflikt auf eine
Auseinandersetzung zwischen Radikalen und Polizei zu reduzieren. Die Angst
vor Verdrängung habe längst das akademische Prekariat erreicht. Eine
Freundin habe kürzlich davon geschwärmt, wie ein Mercedes gebrannt habe.
"Sie arbeitet bei einer regierungsnahen Organisation und ist
Steinmeier-Fan", so Villinger. Schon in den 80ern sei über Gewalt
diskutiert worden. "Wenn da nur 500 Punks auf dem Kudamm Schaufenster
eingeworfen hätten, wäre das folgenlos geblieben", sagte Villinger. Doch
die Hausbesetzer seien auf gesellschaftliche Resonanz gestoßen. Mit Erfolg.
Dass Brandanschläge die Debatte um Gentrifizierung anfachen, wollte auch
der Grünen-Abgeordnete Benedikt Lux nicht leugnen. Legitim sei das dennoch
nicht. Im Gegenteil. "Jedes brennende Auto ist kontraproduktiv", sagte Lux.
Das verunsichere die Bevölkerung und sei Wasser auf die Mühlen der
Konservativen bei CDU und Polizei.
Tim Laumeyer von der Antifaschistischen Linken Berlin (ALB) erklärte, dass
man die Anschläge als politisch begreifen könne, "mit dem Effekt, dass
Leute, die sich ein Loft kaufen wollen, dies nicht in Kreuzberg, sondern in
Prenzlauer Berg tun, wo schon Hopfen und Malz verloren ist".
Auch im Publikum fand sich kaum jemand, der vehement gegen Gewalt plädieren
wollte. "Ich kann die Wut verstehen", sagte beispielweise ein Frau, die
sich seit zehn Jahren für den linksalternativen RAW-Tempel in
Friedrichshain engagiert. Friedlich. Basisdemokratisch. Ohne Erfolg. Nun
reiße ein Investor eine der Hallen auf dem Gelände ab. "Das ist Gewalt
gegen Leute, die mit friedlichen Mitteln Politik machen", sagte die Frau.
Auch Hartz IV sei Gewalt, meinte eine andere. "Ich halte Gegenwehr gegen
strukturelle Gewalt für sinnvoll und legitim", sagte ein Mann und bekam
heftigen Applaus.
Radikal war auch der Streit über Baugruppen, bei denen die künftigen
Bewohner in Eigenregie neue Häuser errichten. Weil die schicken Resultate
meist mit Eigentumsbildung verbunden sind, werden sie von Kritikern als ein
Motor der Gentrifizierung angesehen. Der Bewohner eines solche Projekts
beklagte im taz-Café, dass es schon zu tätlichen Angriffen auf Mitbewohner
gekommen sei ([1][siehe Interview)]. Als er jedoch sagte, man werde
ausgegrenzt "wie 1933", ging sein Anliegen in Buhrufen unter.
Für Villinger sind Baugruppen akzeptabel, da sie für den Eigenbedarf bauen.
Ihr Erfolg lasse sich auch dadurch erklären, dass andere Möglichkeiten zum
Aufbau gemeinschaftlicher Hausprojekte vor zehn Jahren durch den Senat
abgeschafft wurden. Überhaupt plädierte er zum Rückgriff auf altbewährte
Mittel: Mietobergrenzen, sozialer Wohnungsbau für Familien.
Darin war er sich mit Benedikt Lux und Tim Laumeyer einig. Die
Erfolgsaussichten aber sind zweifelhaft. Der ALB-Sprecher jedenfalls geht
davon aus, dass die militante Linke "die Palette der Aktionen aus den
letzten zwei Jahren weiter anwenden wird".
20 Nov 2009
## LINKS
[1] /regional/berlin/aktuell/artikel/1/wir-moechten-in-dialog-kommen/
## AUTOREN
Gereon Asmuth
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