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# taz.de -- Islamismus und politischer Extremismus: Die neue rote Gefahr
> Ob der Linksextremismus zur neuen Gefahr für die Demokratie wird und
> Deutschland Aussteigerprogramme für Islamisten braucht, diskutierten
> Geheimdienstler in Berlin.
Bild: Abgebrannte Autos in Hamburg.
BERLIN taz | Der deutsche Inlandsgeheimdienst will keine
Aussteigerprogramme für radikale Islamisten betreiben. "Wir sind nicht die
Institution, die sich aktiv an solchen Programmen beteiligt", sagte Heinz
Fromm, der Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz, am Freitag in
Berlin. "Wir haben eine beratende Funktion."
Fromms Behörde hatte an diesem Tag in der Bundesakademie für
Sicherheitsfragen das inzwischen 8. Symposium zum Thema Innere Sicherheit
veranstaltet. Dieses Mal sprachen die Mitarbeiter von Nachrichtendiensten,
Ministerialbeamte und Wissenschaftler im Berliner Bezirk Pankow über das
Thema "Gewaltbereiter Extremismus und Terrorismus im Zeichen der
Wirtschaftskrise. Eine Gefahr für die Demokratie?"
Eine der am häufigsten diskutierten Fragen war, ob es neben den Programmen
zur Bekämpfung des Rechtsextremismus auch solche gegen Linksradikalismus
und Islamismus geben müsse. Die Bundesregierung hat diese Vorhaben in ihren
Koalitiosnvertrag geschrieben, Initiativen gegen Rechts und Experten
kritisieren das scharf.
Auch in den Verfassungsschutzbehörden wird derzeit über Programme für
radikale Islamisten diskutiert.
Solche Programme seien eigentlich gar nicht Aufgabe des
Verfassungsschutzes, sagte Fromm in Berlin und äußerte sich dann doch dazu.
Seiner Ansicht nach, würden die Aussteigerprogramme für Neonazis nicht mehr
so viel genutzt. Wer bereit gewesen sei auszusteigen, habe dies inzwischen
getan. Deshalb sei der Zuspruch nicht mehr so groß.
Es sei grundsätzlich eine gute Idee, solche Programme für radikale Linke
und Islamisten anzubieten, allerdings könne man die Konzepte aus dem
Rechtsextremismus "nicht einfach auf andere Bereiche übertragen." Die
Distanz zum Staat sei in den einzelnen Milieus sehr unterschiedlich. Auf
Rechtsextremisten könnten staatliche Behörden zugehen, bei Menschen aus dem
islamistischen und noch mehr dem linken Spektrum sei dies aber sehr viel
schwieriger.
Auf die Frage, ob Verfassungsschutzchef Fromm Programme zur
Deradikalisierung von Islamisten generell befürworte, sagte er: "Ich weiß
noch nicht, ob ich dafür bin." In Großbritannien arbeitet der Staat
teilweise mit extremistischen Imamen zusammen, um gefährdete muslimische
Jugendliche vom Dschihad fernzuhalten. Ob dies auch in Deutschland so
kommen werde, sei eine wichtige Frage, die derzeit auch in seiner Behörde
diskutiert werde, sagte Fromm weiter. Das sei eine politische Entscheidung,
der Verfassungsschutz werde nur seine Expertise zur Verfügung stellen.
Das andere große Thema war das so genannte Abfackeln von Autos in Berlin.
Allein in diesem Jahr habe es laut Zählung der Polizei insgesamt 280
solcher Brandstiftungen gegeben - 130 davon politisch links motiviert,
sagte Claudia Schmid, die Verfassungsschutzchefin des Stadtstaates. Sie
stellte noch einmal die Studie ihrer Behörde zur linksradikalen Gewalt in
Berlin vor. Die Stadt sei mit 2.200 Radikalen die deutsche Hochburg des
Linksextremismus, etwa 950 davon gehörten dem autonomen Spektrum an.
Zudem habe die extreme Linke in diesem Jahr etwa 139 Gewalttaten verübt,
das sei sehr viel mehr als im rechtsextremen Spektrum mit 72 Gewalttaten.
Der Bielefelder Universitätsprofessor und Extremismusforscher Peter Imbusch
sagte dazu, dass man zur Zeit kaum etwas über den Werdegang und die
Radikalisierung linker Gewalttäter wisse - ganz im Gegensatz zu den
bekannten Biografien rechtsextremer Aussteiger. Wolle man etwas gegen
linksradikale Gewalt tun, müsse man sich mehr mit den Lebensläufen linker
Gewalttäter und der Frage nach den Gründen für deren Handeln befassen.
Insgesamt waren sich die meisten Teilnehmer einig, dass keine der drei
Ideologien derzeit von der Wirtschaftskrise profitiere, denn ein Großteil
der Menschen könne mit den hier angebotenen Lösungen einfach nichts
anfangen.
Allerdings waren nicht alle dieser Meinung. Markus Wehner von der
Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, welcher den Teil des Symposiums
zum Linksextremismus moderierte, sah eine "klammheimliche Unterstützung"
relevanter Bevölkerungsgruppen für linksradikale Autoanzünder und ihr
politisches Milieu. Heino Vahldieck, Präsident des Hamburger
Verfassungschutzes, sah dies ähnlich. Zudem bescheinigte er dem
Rechtsextremismus, so gut wie keine Unterstützung in der Bevölkerung zu
genießen.
Allerdings lassen aktuelle Studien zum Thema Rechtsextremismus -
beispielsweise vom Team des Bielefelder Soziologen Wilhelm Heitmeyer -
durchaus andere Schlüsse zu. Erst in der vergangenen Woche stelle Heitmeyer
eine Studie zu fremdenfeindlichen Einstelllungen in Europa vor. Ergebnis:
JedeR zweite Befragte stimmt den Aussagen "Es gibt zu viele Einwanderer"
und "Der Islam ist eine Religion der Intoleranz" zu. 43 Prozent der
Befragten halten Homosexualität für unmoralisch, fast ein Drittel geht von
einer "natürlichen Hierarchie zwischen schwarzen und weißen Menschen" aus,
ein Viertel unterstellt, dass "Juden zu viel Einfluss" haben.
Welche empirischen Belege es für die angeblich sehr hohe Zustimmung zur
Brandstiftung bei Autos gibt, ließen die Vertreter dieser These offen.
Auf die Frage der Veranstaltung nach der Gefahr für die Demokratie
antwortete Verfassungsschutzchef Fromm nach über sieben Stunden Symposium:
"Nein."
20 Nov 2009
## AUTOREN
C. Rath
D. Schulz
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