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# taz.de -- Terror-Prophylaxe: Ein Exit für Dschihadisten
> Sie kommen aus der Szene und kennen ihre Sprache: In London helfen
> ehemalige Islamisten, Radikale zu bändigen. Doch kann dieses Modell auch
> ein Vorbild für Deutschland sein?
Bild: Junge Muslime vor der Moschee am Londoner Finsbury Park, die seit Jahren …
In Islamabad begann Ishtiaq Hussain ernsthaft zu zweifeln. Er war durch
Saudi-Arabien und den Nahen Osten gereist, und kein Muslim, mit dem er
sprach, wollte etwas von der Idee eines islamischen Superstaates hören. Zu
guter Letzt saß er bei einem Korangelehrten in Pakistans Hauptstadt, und
der sagte ihm: "Junge, was du da glaubst, ist keine Religion. Das ist
Politik und außerdem ziemlicher Unsinn."
Dies war der Anfang von Hussains Weg aus der Hizb ut-Tahrir, einer
islamistischen Organisation, für die wegen ihres Antisemitismus in
Deutschland ein Betätigungsverbot gilt. Heute kämpft er zusammen mit
anderen Aussteigern in London bei der Quilliam Foundation gegen seine
früheren Gesinnungsgenossen. Ishtiaq Hussain berät Imame, wie sie mit
Islamisten umgehen. Er redet mit jungen Männern, die mit glänzenden Augen
vom Dschihad sprechen. "Ich kenne die Argumentation der Radikalen", sagt
der 32-Jährige, "ich versuche sie zum Zweifeln zu bringen."
Der Sohn pakistanischer Einwanderer ist ein Mann, wie er Deutschland
derzeit fehlt. "Wenn Aussteiger an der politischen Auseinandersetzung mit
Extremismus mitwirken, wäre dies sehr zu begrüßen", heißt es etwas trocken
aus dem Bundesinnenministerium. Ein ranghoher Verfassungsschützer erklärt,
wieso: "Männer, die aus dem radikalen Milieu kommen und dort
Glaubwürdigkeit genießen, kennen die Argumentation und können sie am besten
widerlegen. So jemanden wie die Quilliam-Leute würde ich mir auch
hierzulande wünschen." Bisher gibt es allerdings keinen deutschen Ishtiaq
Hussain.
Die Idee, ehemalige Extremisten könnten bei der Terrorbekämpfung helfen,
ist mehr als ein Gedankenexperiment. In den Sicherheitsbehörden wird über
Deradikalisierungsprogramme derzeit heftig diskutiert. Im August trafen
sich die Innenminister der unionsregierten Länder und sprachen darüber, ob
sich die Aussteigerprogramme für Rechtsextreme auch auf Islamisten anwenden
ließen.
Der Grund für diese Überlegungen ist einfach: Etwa dreißig deutsche
Dschihadisten sind laut Informationen der Washington Post seit Januar in
terroristische Ausbildungslager in Pakistan gereist Die kürzliche Häufung
von Videodrohungen gegen Deutschland legt nahe, dass zumindest einige mit
dem Auftrag für einen Anschlag zurückkehren werden.
"Und die Zahl der radikalisierten Muslime wird wachsen, solange die Kriege
in Afghanistan und Somalia andauern", sagt der Islam-Experte Guido
Steinberg von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik, "und solange
sich muslimische Einwanderer hierzulande benachteiligt fühlen müssen."
Bei Ishtiaq Hussain war genau dies der Fall. Er wuchs in einem wohlhabenden
Elternhaus auf, hatte als Teenager Freunde aus vielen Kulturen, auch weiße,
und war "eigentlich gut integriert", wie er selbst sagt. Dennoch war er wie
viele der etwa 20 Quilliam-Mitarbeiter regelmäßig Menschen begegnet, die
ihm bedeuteten, dass er nicht nach Großbritannien gehöre. Der Auslöser,
sich den Islamisten anzuschließen, war allerdings der Bosnienkrieg.
Den damals 16-Jährigen wurmte es, dass die Serben und Kroaten dort Muslime
töteten und der Westen nicht eingriff. "Mein Vater sagte, das sei eben
Politik und nicht zu ändern", erzählt Hussain. "Und der Imam riet mir zu
beten."
Dann kam Hizb ut-Tahrir in die Moschee. Eine Gruppe junger, sehr gebildeter
Männer, die die gleiche Rap-Musik hörten wie Ishtiaq und Klamotten trugen,
die auch ihm gefallen hätten. Sie wiederholten immer wieder zwei Dinge.
Erstens: Der Westen wolle die Muslime weltweit klein halten und greife
deswegen nicht in Bosnien ein. Und zweitens "wiesen sie uns darauf hin,
dass die bosnischen Muslime genauso blond und blauäugig waren wie die
Serben und Kroaten", sagt Ishtiaq Hussain, "und sie fragten uns: Wenn
Westler schon die Leute abschlachten, die genauso aussehen wie sie, was
glaubt ihr, werden sie dann eines Tages mit euch machen?"
Hizb ut-Tahrir bot einen Ausweg: Es brauche eine Revolution in den
muslimischen Staaten, und dann sollten die Grenzen zwischen ihnen fallen,
erzählten die jungen Männer. Der so entstehende muslimische Superstaat
würde mit seinen Armeen eingreifen, wenn irgendwo auf der Welt Muslime
bedroht seien. Ishtiaq Hussain war begeistert. Und trat der Organisation
bei.
Solchen Prozessen könne Deutschland nicht allein mit schärferen
Überwachungsgesetzen beikommen, glaubt Guido Steinberg, der unter Rot-Grün
Terrorismusreferent im Kanzleramt war, und hat deshalb ein Buch
geschrieben. Darin fordert er, mehr auf Politik und weniger auf Repression
zu setzen - beispielsweise mit Programmen zur Deradikalisierung junger
Muslime, wie es sie in Großbritannien oder den Niederlanden schon gibt.
Ishtiaq Hussain und die Quilliam Foundation sind für Steinberg dabei
allerdings keine Vorbilder: "Hizb ut-Tahrir sind Extremisten, aber sie
lehnen Gewalt ab", sagt der Islamwissenschaftler. "In Deutschland haben wir
jedoch hauptsächlich ein Problem mit dem salafitischen Spektrum - dort
kommt fast jeder her, der wegen Terrordelikten auffällig wurde." Nur jemand
aus diesem Milieu genösse dort auch die Glaubwürdigkeit und den Respekt, um
etwas zu bewirken, glaubt Steinberg. Wenn es keinen solchen Aussteiger
gebe, dann kämen vielleicht salafitische Geistliche in Betracht.
Ishtiaq Hussain sieht das anders: "Die Beweggründe für meine
Radikalisierung unterscheiden sich von denen der Dschihadisten oft nicht
allzu sehr, sagt er. Hizb ut-Tahrir lehne Gewalt zwar öffentlich ab,
sympathisiere aber mit Selbstmordattentätern und dschihadistischen
Kämpfern. Und in den sieben Jahren, die er bei der Organisation war, für
sie in London Flugblätter verteilte und in Moscheen Gläubige ansprach, habe
er eines gelernt: "Letztendlich will Hizb ut-Tahrir ihre Ziele mit Kampf
erreichen, Gewalt wird nur so lange abgelehnt, wie man sich noch zu schwach
fühlt." In seinem Buch reißt Steinberg ein Gegenmodell zur Quilliam
Foundation an: Im Londoner Süden macht der salafitische Imam Abdul Haqq
Baker Sozialarbeit mit Jugendlichen, die Selbstmordattentäter in Israel als
Helden bezeichnen und die oft selbst gern so ein Held werden möchten. Der
Geistliche und seine Mitarbeiter spielen Fußball mit den Jungen,
veranstalten Seminare zum Islam, reden mit ihnen und hören ihnen zu.
"Baker hält radikale Muslime erfolgreich von Gewalt fern", sagt Peter
Neumann, der am Londoner Institut für Radikalisierungsforschung arbeitet
und den Imam regelmäßig besucht. Immer öfter kommen in den letzten Monaten
kleine Delegationen deutscher Sicherheitsbehörden vorbei und lassen sich
von Neumann zeigen, was Baker tut. Sie merken recht schnell, dass das
Projekt trotz seines Erfolgs problematisch ist.
"Was der Mann über Frauenrechte und Homosexuelle erzählt und
weitervermittelt, ist für uns nur schwer zu ertragen", sagt Neumann, "auch
die Demokratie lehnen viele salafitische Imame rundweg ab." Deshalb würde
in Großbritannien heftig diskutiert, ob staatliche Institutionen mit Leuten
wie Baker zusammenarbeiten sollten. Für die Deutschen sei so etwas bisher
schlicht unvorstellbar.
Der Radikalisierungsforscher prophezeit, dass diese Debatte dennoch auch
hierzulande geführt werden muss: "Will der Staat vorrangig die Gewalt
verhindern, arbeitet dafür mit Extremisten wie Baker zusammen und stärkt
sie damit?" Oder setze man auf Muslime aus gemäßigteren Milieus und gehe
damit das Risiko ein, gar nicht nahe genug an die Radikalen heranzukommen?
Doch nicht nur die Frage nach Quilliam oder Baker wird die deutschen
Terrorbekämpfer beschäftigen. "Um bei den Muslimen glaubwürdig zu wirken,
müssten diese Organisationen unabhängig vom Staat und den
Sicherheitsbehörden agieren dürfen", sagt Peter Neumann, "kaum jemand wird
einer Institution trauen, bei der er vermuten muss, dass sie eine
Zweigstelle des Innenministeriums ist."
Auch dafür ist Quilliam ein Beispiel. Die Stiftung wird von Spendern
finanziert, deren Namen man aus Sicherheitsgründen nicht nennen will - und
vom Innenministerium. "Einige islamistische Gruppen kritisieren uns dafür",
sagt Ishtiaq Hussain. Diese bekämen allerdings ebenfalls oft Förderung.
Peter Neumann wird deutlicher: "Die Stiftung hat ein
Glaubwürdigkeitsproblem, viele Imame wollen mit ihr nicht mehr
zusammenarbeiten."
Und das ist nicht alles: Als der britische Guardian vor wenigen Tagen
aufdeckte, dass das Innenministerium Präventionsprogramme dafür genutzt
hat, Muslime auszuspionieren, verteidigte die Quilliam Foundation die
Spähaktion. Einer ihrer Gründer sagte, er halte es moralisch für richtig,
den Sicherheitsbehörden die besten Möglichkeiten zu geben, Terroristen zu
stoppen. "Wenn man es so macht", sagt der eingangs zitierte
Verfassungsschützer, "dann kann man es auch gleich sein lassen."
20 Oct 2009
## AUTOREN
Daniel Schulz
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