| # taz.de -- Vorratsdatenspeicherung: Lehrmeister für Europa | |
| > Soll das Bundesverfassungsgericht den Fall beim Europäischen Gerichtshof | |
| > vorlegen oder selbst entscheiden? Die Grünen und der AK Vorrat wollen, | |
| > dass Karlsruhe den EuGH konsultiert. | |
| Bild: Johannes Masing, Hans-Jürgen Papier (Vorsitz), Christine Hohmann-Dennhar… | |
| Die Lage ist verzwickt. Weil die Vorratsdatenspeicherung auf einer | |
| EU-Richtlinie beruht, kann Karlsruhe sie nicht so ohne Weiteres kippen – | |
| selbst wenn die Richter dies wollten. | |
| Die Zwangsspeicherung ist eben kein deutscher Sonderweg, sondern wurde von | |
| den 27 EU-Staaten gemeinsam beschlossen. Zwar könnte Karlsruhe Korrekturen | |
| bei der Nutzung der Daten vorschreiben, denn hier hat die EU den | |
| Mitgliedsstaaten relativ freie Hand gelassen. Doch die Kläger wollen mehr. | |
| Sie halten schon die sechsmonatige Speicherung der Telekom-Verbindungsdaten | |
| für verfassungswidrig. Für die Überprüfung von EU-Rechtsakten ist jedoch | |
| nicht das Bundesverfassungsgericht, sondern der Europäische Gerichtshof | |
| (EuGH) in Luxemburg zuständig. | |
| Vier Möglichkeiten stehen dem Bundesverfassungsgericht nun offen. Wie sich | |
| Karlsruhe entscheidet, wird ein Musterfall für den Grundrechtsschutz in | |
| Europa. | |
| Wenn die Richter es sich ganz einfach machen wollen, dann könnten sie die | |
| Klagen, soweit die Speicherung (und nicht die Nutzung) der Daten betroffen | |
| ist, für unzulässig erklären. Damit aber rechnet niemand. Falls die Richter | |
| die Speicherung für (noch) vertretbar halten, könnten sie dazu im Urteil | |
| Ausführungen machen und ansonsten strenge Regeln für die Nutzung der Daten | |
| aufstellen. Eine Vorlage an den EuGH wäre dann aus Karlsruher Sicht | |
| entbehrlich. Ein kleiner Übergriff in die Kompetenzen der Luxemburger | |
| Kollegen wäre das freilich schon. | |
| Ein großer Affront wäre es dagegen, wenn das Bundesverfassungsgericht | |
| selbst die Speicherung für grundrechtswidrig erklärt. Dies hat gestern | |
| FDP-Mann Burkhard Hirsch vorgeschlagen und zwei mögliche Begründungen | |
| mitgeliefert. | |
| So könnte darauf abgestellt werden, dass der Grundrechtsschutz durch den | |
| EuGH generell unzureichend sei und deshalb Karlsruhe einspringen muss. Oder | |
| Karlsruhe würde die Vorratsdatenspeicherung als rechtsstaatlich so | |
| gravierend einstufen, dass die Identität des Grundgesetzes in Gefahr wäre. | |
| Beides ist nicht sehr überzeugend. Der EuGH macht im Großen und Ganzen gute | |
| Arbeit. Und wenn nur die Vorratsdatenspeicherung so schlimm ist, dann | |
| könnte man ja dennoch erst mal den eigentlich zuständigen EU-Gerichtshof | |
| darüber entscheiden lassen. | |
| Die anderen Kläger – der AK Vorrat und die Grünen – plädierten deshalb | |
| gestern für einen vierten Weg. Danach sollte Karlsruhe dem EuGH den Fall | |
| zur Prüfung vorlegen – mit einer geharnischten Begründung natürlich, warum | |
| man in Deutschland die Vorratsdatenspeicherung für verfassungswidrig halte. | |
| Meinhard Starostik vom AK Vorrat verwies auf das vielzitierte | |
| "Kooperationsverhältnis" beider Gerichte. Der Grünen-Abgeordnete Volker | |
| Beck formulierte etwas undiplomatischer: "Es könnte keinen besseren | |
| Lehrmeister für den EuGH geben als das Bundesverfassungsgericht." Sollte | |
| Luxemburg der Karlsruher Linie folgen, hätte am Ende ganz Europa etwas | |
| davon. Bisher hat Karlsruhe jedoch noch nie eine Entscheidung dem EuGH | |
| überlassen. | |
| Vielleicht kommt der Fall aber auch auf ganz anderem Wege zum EuGH. Das | |
| rumänische Verfassungsgericht hat vor wenigen Wochen ohne viel Federlesens | |
| die Vorratsdatenspeicherung für verfassungswidrig erklärt. Andere Staaten | |
| wie Österreich, Schweden und Griechenland haben das Gesetz auch noch nicht | |
| umgesetzt. Hier drohen Vertragsverletzungsverfahren durch die Kommission, | |
| die letztlich in Luxemburg landen werden. | |
| 16 Dec 2009 | |
| ## AUTOREN | |
| Christian Rath | |
| Christian Rath | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Überwachung | |
| Schwerpunkt Pressefreiheit | |
| Schwerpunkt Überwachung | |
| Schwerpunkt Überwachung | |
| Schwerpunkt Überwachung | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| EuGH urteilt zum Urheberrecht: Niemals zulasten der Pressefreiheit | |
| Pressefreiheit vor Urheberrecht – so lautet ein Urteil des EuGH. Im | |
| Rechtsstreit mit „Spiegel Online“ könnte Volker Beck dennoch gewinnen. | |
| Vorratsdatenspeicherung wird schwieriger: Richter löschen den Speicher | |
| Das Verfassungsgericht erklärt das Gesetz zur Speicherung der Telefon- und | |
| Internetdaten für verfassungswidrig. Alle gespeicherten Daten sind zu | |
| löschen. Trotzdem bleibt Vorratsspeicherung möglich. | |
| Umstrittene Vorratsdatenspeicherung: Entscheidung in Karlsruhe | |
| Am Dienstag verkündet das Verfassungsgericht sein Urteil über die | |
| Vorratsdatenspeicherung. Gegen die Erfassung der Verbindungsdaten hatten | |
| Bürgerrechtler und Politiker geklagt. | |
| Kommentar Vorratsdatenspeicherung: Habemus Bürgerrechtsbewegung 2.0 | |
| Unabhängig vom Urteil zeigt die Verhandlung zu Vorratdatenspeicherung: Es | |
| ist vollbracht. Die neue Bürgerrechtsbewegung hat schon jetzt Rekorde | |
| gebrochen. | |
| Vorratsdatenspeicherung: Warnung vor einem Dammbruch | |
| Die Kläger gegen das umstrittene Sicherheitsgesetz warnten vor einem | |
| Präzedenzfall. Die Justizministerin erschien nicht, die Bundesregierung | |
| versteckte sich hinter einem jungen Professor. |