# taz.de -- Vorratsdatenspeicherung: Warnung vor einem Dammbruch | |
> Die Kläger gegen das umstrittene Sicherheitsgesetz warnten vor einem | |
> Präzedenzfall. Die Justizministerin erschien nicht, die Bundesregierung | |
> versteckte sich hinter einem jungen Professor. | |
Bild: Unklar, ob die Menschen anständig über die Maßnahmen informiert sind. | |
"Herr Hirsch, kommen Sie ans Mikrofon, sonst wird Ihr Beitrag nicht | |
aufgezeichnet", mahnte freundlich ein Verfassungsrichter. Aber will | |
Burkhard Hirsch wirklich aufgezeichnet werden? Eigentlich war er ja nach | |
Karlsruhe gekommen, damit künftig weniger überwacht und gespeichert wird. | |
Doch dann lächelte er, ging zum Mikro und sagte: "Heute habe ich nichts | |
dagegen, es ist ja für einen guten Zweck." | |
Die Linksliberalen Burkhard Hirsch, Gerhard Baum und weitere zwölf | |
FDP-Politiker hatten in Karlsruhe Verfassungsbeschwerde gegen die seit zwei | |
Jahren geltende Vorratsdatenspeicherung erhoben. Sie wollen nicht, dass | |
alle Telefon- und Internetverbindungen vorsorglich registriert werden. | |
Ihre Mitklägerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, inzwischen | |
Justizministerin, war allerdings wegen des Rollenkonflikts in Berlin | |
geblieben. Beschwerdeführer waren außerdem 43 Bundestagsabgeordnete der | |
Grünen und acht im Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung (AK Vorrat) | |
organisierte Kläger um den Datenschützer Patrick Breyer. | |
"Die unbeobachtete und unbeobachtbare Kommunikation ist für die Demokratie | |
unerlässlich", erklärte gestern Meinhard Starostik, der Anwalt des AK | |
Vorrat, der auch die Massenbeschwerde formuliert hat, die von fast 35.000 | |
Bürgern unterstützt wurde. "Der Staat soll den Bürger schützen, aber er | |
muss ihn auch respektieren und darf ihn nicht ohne jeden Anlass wie einen | |
potenziellen Straftäter behandeln", sagte Burkhard Hirsch. | |
Hirsch warnte vor einem "Dammbruch". Bald könnte auch der Kauf von Flug- | |
und Bahntickets zwangsgespeichert werden, und die Mautdaten auf der | |
Autobahn würden ebenso dauerhaft aufbewahrt wie Videoaufnahmen in | |
Geschäften und auf Straßen. Hirsch gingen die Beispiele nicht aus, von der | |
Ausleihe von Büchern bis zum Absenden von Briefen - alles könnte künftig | |
vorratsgespeichert werden, um eventuelle Ermittlungen der Polizei zu | |
erleichtern. | |
Dagegen hatte die Bundesregierung gestern einen schweren Stand. Für die | |
eigentlich zuständige Justizministerin sprach ihre Staatssekretärin Birgit | |
Grundmann. Doch diese wünschte sich nur neue "Erkenntnisse" und verteidigte | |
die Vorratsdatenspeicherung mit keinem Wort. Damit stand der junge Berliner | |
Rechtsprofessor Christoph Möllers als Vertreter der Regierung letztlich | |
allein gegen drei Klägergruppen und die Mehrzahl der Sachverständigen. | |
"Der Regierung geht es nicht um eine flächendeckende Überwachung der | |
Bevölkerung", argumentierte Möllers, sie wolle nur sicherstellen, dass | |
Verbindungsdaten, die im Zeitalter der Flatratetarife nicht mehr zu | |
Abrechnungszwecken gespeichert werden, der Polizei weiter zur Verfügung | |
stehen. Entscheidend sei, dass nur im Verdachts- und Gefahrenfall auf die | |
Daten zugegriffen wird. | |
Möllers erinnerte daran, dass Karlsruhe die Nutzung von Verbindungsdaten | |
durch die Polizei bereits für verfassungskonform erklärt hat. | |
Peter Schaar, der Bundsesdatenschutzbeauftragte, kritisierte dies schon im | |
Ansatz. "Wenn Daten nicht mehr gespeichert werden, ist das aus Sicht des | |
Datenschutzes gut und sollte kein Anlass sein, nach einem Ersatz zu | |
suchen." Constanze Kurz vom Chaos Computer Club erinnerte daran, dass die | |
Positionsdaten von Mobiltelefonen noch nie zu Abrechnungszwecken | |
gespeichert wurden. "Wer ein Handy mit sich führt, trägt damit stets eine | |
Ortungswanze in der Tasche." | |
Auf der Richterbank war zunächst keine klare Tendenz erkennbar. Die | |
Sozialdemokratin Christine Hohmann-Dennhardt fragte mehrfach, ob es für den | |
Gesetzgeber überhaupt eine Grenze gebe, ab wann eine | |
Vorratsdatenspeicherung unzulässig werde – und erhielt keine Antwort. | |
Dagegen wollte der liberal-konservative Richter Michael Eichberger wissen, | |
ob es denn nach zwei Jahren Vorratsdatenspeicherung nachweisbare | |
Einschüchterungseffekte in der Bevölkerung gebe. Burkhard Hirsch konnte nur | |
mit der Gegenfrage antworten, ob die Menschen überhaupt ausreichend darüber | |
informiert seien. | |
Die Richter des Ersten Senats müssen nun entscheiden, ob die Speicherung | |
grundsätzlich zulässig ist, wobei es allerdings europarechtliche | |
Verwicklungen gibt. Außerdem werden sie prüfen, welche Behörden auf die | |
Daten zugreifen können, ob die Daten bei den Providern sicher vor | |
Missbrauch sind und ob die Telefon- und Internetfirmen für ihre | |
Investitionskosten zu entschädigen sind. Das Urteil wird erst in einigen | |
Monaten verkündet. | |
16 Dec 2009 | |
## AUTOREN | |
Christian Rath | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Überwachung | |
Schwerpunkt Überwachung | |
Schwerpunkt Überwachung | |
Schwerpunkt Überwachung | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Vorratsdatenspeicherung wird schwieriger: Richter löschen den Speicher | |
Das Verfassungsgericht erklärt das Gesetz zur Speicherung der Telefon- und | |
Internetdaten für verfassungswidrig. Alle gespeicherten Daten sind zu | |
löschen. Trotzdem bleibt Vorratsspeicherung möglich. | |
Umstrittene Vorratsdatenspeicherung: Entscheidung in Karlsruhe | |
Am Dienstag verkündet das Verfassungsgericht sein Urteil über die | |
Vorratsdatenspeicherung. Gegen die Erfassung der Verbindungsdaten hatten | |
Bürgerrechtler und Politiker geklagt. | |
Kommentar Vorratsdatenspeicherung: Habemus Bürgerrechtsbewegung 2.0 | |
Unabhängig vom Urteil zeigt die Verhandlung zu Vorratdatenspeicherung: Es | |
ist vollbracht. Die neue Bürgerrechtsbewegung hat schon jetzt Rekorde | |
gebrochen. | |
Vorratsdatenspeicherung: Lehrmeister für Europa | |
Soll das Bundesverfassungsgericht den Fall beim Europäischen Gerichtshof | |
vorlegen oder selbst entscheiden? Die Grünen und der AK Vorrat wollen, dass | |
Karlsruhe den EuGH konsultiert. |