# taz.de -- Brüssel will europaweite Netzsperren: "Wir opfern die Grundrechte" | |
> EU-Kommissarin Malmström fordert europaweite Netzsperren gegen | |
> Kinderpornografie. Die Piratenpartei in Brüssel ist schockiert und hält | |
> ihre Argumente für billige Politpolemik. | |
Bild: Internetsperren stoßen nicht nur in Deutschland auf massiven Widerstand … | |
BRÜSSEL taz | Der Streit darüber, ob man Internetbetreiber als | |
Hilfssheriffs einsetzen darf, geht in die nächste Runde. Während in | |
Deutschland FDP, Sozialdemokraten und Grüne laut darüber nachdenken, wie | |
das seit Februar geltende Netzsperren-Gesetz möglichst schnell wieder aus | |
der Welt geschafft werden kann, nimmt Brüssel einen neuen Anlauf im Kampf | |
gegen Kinderpornografie. | |
Die Mitgliedsstaaten sollen jetzt unter anderem sicherstellen, dass der | |
Zugang zu kinderpornografischen Seiten gesperrt werden kann. Sollte sich | |
Innenkommissarin Cecilia Malmström mit ihren Plänen durchsetzen, müssten | |
alle EU-Staaten die entsprechenden Maßnahmen umsetzen – auch Deutschland. | |
Der Richtlinienvorschlag fordert einen EU-weiten Strafrahmen von fünf | |
Jahren für leichte Vergehen und bis zu zehn Jahren für schwere Fälle von | |
sexuellem Missbrauch und sexueller Ausbeutung von Kindern. Strafbar soll | |
künftig auch das "grooming" sein, also Kinder über das Internet anzulocken, | |
sie vor Webcams sexuell posieren zu lassen oder kinderpornografische | |
Inhalte online zu betrachten. Pädophile Sextouristen sollen bei der | |
Rückkehr überall in der EU strafrechtlich verfolgt werden können. Die Opfer | |
sollen während der Verfahren besonders geschützt werden, indem ihnen die | |
Aussage per Video ermöglicht und ein kostenloser Rechtsberater zur Seite | |
gestellt wird. Für die Täter soll es maßgeschneiderte | |
Resozialisierungsprogramme geben. | |
Diese Forderungen dürften in den meisten Mitgliedsstaaten akzeptiert | |
werden. Doch die Internetsperren ansich stoßen in vielen Ländern auf | |
massiven Widerstand der Communities. Vor allem junge Nutzer sehen darin nur | |
einen ersten Schritt für umfassende Zensur im Netz. Entwürfe, die aus den | |
Geheimverhandlungen zum Antipiraterieabkommen ACTA nach draußen drangen, | |
bestätigen die Befürchtung, dass Provider zunehmend als Hilfspolizisten | |
dafür sorgen sollen, dass nur noch gesetzeskonforme Inhalte über ihre | |
Server verbreitet werden. | |
Internet-Experten haben schon beim deutschen Netzsperren-Gesetz Bedenken | |
angemeldet, da die Blockaden leicht zu umgehen sind. Besser sei es, die | |
Seiten einfach zu löschen. Innenkommissarin Cecilia Malmström kontert, dass | |
die Seiten meist außerhalb der EU ins Netz gestellt werden und oft mehrmals | |
am Tag die Adresse wechseln. Deshalb sei es schwierig, sie zu löschen. | |
Internetsperren hingegen könnten sehr wohl Wirkung zeigen. „Die meisten | |
Pädophilen sind schließlich keine Hacker. Sie wissen nicht, wie man die | |
Blockaden umgehen kann. Außerdem ist es wichtig, deutlich zu machen, dass | |
es ein Verbrechen ist, die Seiten zu nutzen. Wenn man die Provider dazu | |
zwingt, sie zu schließen, hat das auch abschreckende Wirkung.“ | |
Malmströms Landsmann Christian Engström von der Piratenpartei hält diese | |
Argumente für billige Politpolemik. „Ich war schockiert, als ich von den | |
Plänen der Kommission erfuhr“, sagte er der taz. Schließlich garantiere | |
Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention den freien Zugang zu | |
Informationen. „Europa hat schlimme Erfahrungen mit Zensur gemacht. Diesen | |
Weg sollten wir kein weiteres Mal beschreiten.“ Malmström habe sich als | |
Oppositionspolitikerin für Meinungsfreiheit eingesetzt. „Nun opfert sie die | |
Grundrechte, um politisch zu punkten.“ Allenfalls ein richterlicher | |
Beschluss könne eine Sperre rechtfertigen. Keinesfalls dürfe es dazu | |
kommen, dass Internetprovider auf der Grundlage einer Schwarzen Liste | |
Seiten sperren müssten. | |
Malmström, die selbst zwei Kinder hat, hält dem entgegen: „Hier geht es | |
nicht um Meinungsfreiheit sondern um ein enormes Verbrechen. Das Internet | |
darf kein sicherer Hafen für Kriminelle sein. Was in gedruckter Form oder | |
im Fernsehen verboten ist, darf auch im Internet nicht geduldet werden.“ | |
Wer diese Fotos gesehen habe, könne nicht tatenlos bleiben. Sie sei sich | |
der Unterstützung vieler Europaabgeordneter und vieler Mitgliedsstaaten | |
sicher. Sollte nur Deutschland die Richtlinie blockieren, würde das nichts | |
nützen. Nach dem neuen Lissabonvertrag entscheiden Rat und Europaparlament | |
jeweils mit Mehrheit über das neue Gesetz. | |
29 Mar 2010 | |
## AUTOREN | |
Daniela Weingärtner | |
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