# taz.de -- Aktivierung der Netzsperren: "Verheerender Ausblick" | |
> In den nächsten Wochen muss das Gesetz zur Netzsperre von den Providern | |
> umgesetzt werden. Michael Rotert von der deutschen Internetwirtschaft | |
> warnt vor Überregulierung und Offline-Politikern. | |
Bild: Kreativer Protest in Ulm gegen das von Ursula von der Leyen auf den Weg g… | |
Herr Rotert, Sie vertreten viele große Internet-Dienstleister in | |
Deutschland und müssen jetzt die Durchsetzung des neuen Netzsperrengesetzes | |
koordinieren. Beschäftigen Sie jetzt viele kleine Zensoren? | |
Michael Rotert: Vielleicht hätten die Politiker das so gerne, aber dem ist | |
natürlich nicht so. In der Tat musste aber das BKA als Listenersteller fast | |
schon überredet werden, die Sperreinträge nicht als Excel-Liste zu | |
schicken. Denn was wir brauchen ist ein verschlüsseltes Format, das die | |
automatisierte Übernahme ermöglicht. Da braucht auch keiner mehr in die | |
Listen zu schauen. | |
Und wer zensiert? | |
Als Zensoren könnte man die Listenersteller bezeichnen, aber hier gilt es | |
abzuwarten, bis die ersten Listen vorliegen. Dann wird sich sicher schnell | |
zeigen, von welcher Qualität die Einträge sind. Ich gehe davon aus, dass | |
die deutsche Liste, wie auch in den anderen Ländern in denen geblockt wird, | |
innerhalb kürzester Zeit im Netz zu finden sein dürfte. Übrigens warnt | |
selbst der Europarat vor Überregulierung und schleichender Zensur. | |
Im Netzsperren-Gesetz steht, dass so genannte Domain-Blockaden nur die | |
Mindestvoraussetzung sind. Dabei werden einzelne Adressen auf den | |
Sperrserver umgeleitet, was sich technisch sehr einfach umgehen lässt. Was | |
können die Nutzer noch erwarten, wenn die Sperrinfrastruktur einmal steht? | |
Die Forderungen liegen jetzt schon auf dem Tisch. In der Warteschlange | |
stehen wegen illegaler Downloads die Rechteinhaber, Glücksspiele, | |
Onlinespiele, rechtsradikale Server etc. Dabei muss man zwei Dinge sehen, | |
erstens: wer erstellt die Einträge und zweitens: über wie viele Einträge | |
reden wir hier. Die Anzahl der Einträge ist endlich, denn irgendwann geht | |
die Bandbreite in die Knie, weil das Netz nur mit Nachschauen beschäftigt | |
ist, ob der Eintrag umgelenkt werden muss. | |
Also lässt sich das Netz nicht sperren. | |
Letztendlich nicht. Der Ausblick ist allerdings erschreckend, denn wenn | |
semantische Verfahren einmal weiterentwickelt sind, kann auch nach | |
beliebigen Inhalten per Beschreibung gesucht werden. Allerdings sind die | |
Verfahren noch nicht für den Einsatz direkt im Datenstrom geeignet. | |
Zusätzlich muss natürlich dann auch die Infrastruktur überwacht werden, | |
damit ja nichts am Staat vorbeigeht. | |
Und das würde schon in der realen Welt nicht funktionieren. Nicht | |
auszudenken, wenn die Post auch alle Briefe kontrollieren müsste. Denn nur | |
dann ist ja die Forderung der Politiker erfüllt, dass die Onlinewelt der | |
Offlinewelt im juristischen Sinne entspricht. Auch müsste man aus den | |
Büchereien alle Bücher mit Bombenbauanleitungen entfernen, denn die darf es | |
auf dem Netz auch nicht geben. Schlüsseldienste müssen ebenso zumachen, | |
denn in der Onlinewelt sind Hackertools, auch wenn sie für Sicherheit | |
sorgen, verboten. | |
Wie viel müssen Ihre Mitglieder in die Sperrinfrastruktur investieren? | |
Ersetzt Ihnen das jemand? | |
Der Mitteleinsatz lässt sich so genau nicht bestimmen, denn es hängt | |
natürlich stark von der Netzinfrastruktur und Größe des jeweiligen | |
Providers ab. Wir gehen beim derzeitigen Umfang von einem dreistelligen | |
Millionenbetrag aus, der gerade in einer Finanzkrise zum Fenster | |
rausgeschmissen wird. | |
Zusätzlich werden Provider durch alle diejenigen, die Zensur nicht mögen | |
und deshalb auf andere Nameserver ausweichen, was jeder in seinem Rechner | |
einstellen kann, noch dadurch bestraft, dass Dienste von Nichtkunden | |
verstärkt genutzt werden. Natürlich will der Staat dies alles zum Nulltarif | |
und verweist hier wie bei allen anderen Maßnahmen auch bei den Providern | |
auf die Bürgerpflicht. | |
Trotz des heiklen Themas Kinderpornografie, das neben dem Terrorismus in | |
der Politik offenbar gerne als Totschlagargument verwendet wird, hat sich | |
die Netzcommunity massiv gegen das Sperrgesetz gewehrt. Genutzt hat es | |
wenig. Die Politik scheint das Internet noch nicht ernst zu nehmen. Denken | |
Sie, dass sich das in den nächsten Jahren ändert? | |
Genau dieses Thema und die Opfer für den Wahlkampf zu missbrauchen und | |
dabei mit den Sperren noch nicht einmal Opferschutz oder Täterverfolgung zu | |
bieten, ist eher eine Verhöhnung der Wähler, als solide und | |
bürgerfreundliche Politik. | |
Den missbrauchten Kindern ist nicht damit gedient, dass eine Frau von der | |
Leyen sich hinstellt und erzählt, wie wunderbar die Sperren funktionieren. | |
Mit jungen Abgeordneten wird sich aber sicher auch das Verhältnis zum | |
Internet mit der Zeit ändern. Nur heute weiß die Politik noch nichts mit | |
dem Internet anzufangen. Bestes Beispiel ist der aktuelle Wahlkampf: | |
Anstatt kreativ zu sein, stellen viele Politiker ganz platt nur das ins | |
Netz, was sie auch in gedruckten Prospekten veröffentlicht haben. | |
Die Netzcommunity fürchtet, dass die einmal errichtete Infrastruktur | |
missbraucht werden könnte, etwa zum Sperren anderer missliebiger Inhalte | |
vom Killerspiel über die Raubkopie bis hin zu politischen Inhalten. Teilen | |
Sie die Befürchtungen? | |
Dies ist zumindest jetzt schon die Forderung einiger Politiker, die noch | |
ein Wahlkampfthema suchen, obwohl das Gesetz sich ausschließlich gegen | |
Kinderpornografie richtet. Aber die Vergangenheit hat ja schon bei den | |
Daten der Autobahnmaut gezeigt, dass die Politik auf dem Standpunkt steht, | |
"was interessiert mich mein Geschwätz von gestern". Dies gilt insbesondere | |
für die Zeit nach der Wahl. | |
28 Jul 2009 | |
## AUTOREN | |
Ben Schwan | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Überwachung | |
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