# taz.de -- Werbung für den Volksentscheid zu Wasserbetrieben: Eine Frage des … | |
> Am Sonntag stimmen die Berliner über die Offenlegung der Wasserverträge | |
> ab. Die sind zwar weitgehend bekannt. Doch für viele Bürger geht es um | |
> mehr: um ein Votum für die staatliche Daseinsvorsorge | |
Bild: Da ist noch einiges im Fluss | |
Der Haifisch sperrt gierig das Maul auf, man sieht seine kleinen, scharfen | |
Zähne. Es fehlt nicht viel, und er verschlingt den tropfenden Wasserhahn | |
vor seiner Schnauze. Ein Euro-Zeichen blinkt in seinem Auge. Drumherum | |
läuft ein weißer Schriftzug auf blauem Grund: "Wasserprivatisierung? Nein | |
danke!" | |
Samstagmittag auf dem Karl-August-Platz in Charlottenburg. Sigrun | |
Görtemaker hat sich die Plakate mit dem Logo der Initiative Berliner | |
Wassertisch auf Brust und Rücken gebunden. Im Gegensatz zu dem gefräßigen | |
Fisch wirkt sie sehr freundlich, eine 70-Jährige mit lustiger Bommelmütze | |
aus dem Eine-Welt-Laden. Sie läuft auf dem Bürgersteig hin und her. | |
"Volksentscheid am 13. Februar! Bitte gehen Sie wählen!", ruft sie den | |
Passanten zu. Auch die Stimmung auf dem Markt ist alles andere als | |
bedrohlich: Die Charlottenburger kaufen frische Pasta oder | |
Käsespezialitäten, trinken Kaffee in der Sonne oder futtern Currywurst. Und | |
lassen sich im Vorbeigehen auch ein paar Info-Zettel in die Hand drücken. | |
In vier Tagen steht der dritte Berliner Volksentscheid an: Am 13. Februar | |
können die Bürger über die Offenlegung der Verträge zur Teilprivatisierung | |
der Wasserbetriebe abstimmen. 1999 hatte die große Koalition unter Eberhard | |
Diepgen (CDU) 49,9 Prozent der landeseigenen Wasserbetriebe verkauft. Um | |
einen möglichst hohen Preis zu erzielen, sicherte der Senat den Käufern | |
eine Gewinngarantie zu, die sich bis heute in steigenden Wasserpreisen | |
auswirkt. | |
Jahrelang waren die Verträge geheim - und konnten von der Öffentlichkeit | |
damit auch kaum bewertet werden. Kurz nachdem der Berliner Wassertisch im | |
Oktober 2010 die für einen Volksentscheid benötigten Unterschriften | |
eingereicht hatte, veröffentlichte die taz die ihr zugespielten Dokumente | |
im Internet. Wenig später stellte auch der Senat die Abmachungen ins Netz - | |
"mit sämtlichen Anpassungen und Änderungen", wie es hieß. | |
Mit der Veröffentlichung hat sich die Forderung des Volksbegehrens | |
erledigt, könnte man meinen. Das sagen jedenfalls Linkspartei, SPD und CDU. | |
Die Initiatoren vom Wassertisch sehen das anders: "Die können viel | |
erzählen, wenn der Tag lang ist," schimpft Sigrun Görtemaker. Die ehemalige | |
Sozialarbeiterin hat eine mädchenhafte Stimme. Aber wenn sie sich aufregt, | |
kann sie ziemlich energisch werden. Dann rückt sie das Kinn nach vorne und | |
betont jedes Wort. "Wasser gehört zur Daseinsvorsorge. Private Verträge | |
haben da nichts verloren. Das ist doch kriminell." | |
Diese Argumentation kommt bei vielen Marktbesuchern gut an. "Das Wasser | |
gehört doch im Grunde uns Steuerzahlern", sagt ein älterer Mann. Zwar sei | |
schon einiges veröffentlicht, weiß seine Frau. "Aber das soll ja wohl nicht | |
alles sein." In der Politik werde genug "gelogen und betrogen". Beide | |
wollen zum Volksentscheid gehen - und natürlich mit Ja stimmen. | |
Auch andere sind vom Anliegen des Wassertischs längst überzeugt. Eine junge | |
Frau mit weißen Ohrenschützern eilt an den Stand. Sie sagt, sie wolle nur | |
schnell unterschreiben. Görtemaker erklärt ihr, dass die | |
Unterschriftensammlung vorbei ist und jetzt der Entscheid ansteht. "Diese | |
Geheimverträge sind doch allerhand. Natürlich stimme ich mit Ja", sagt die | |
Frau, bevor sie weiterläuft. | |
Kinderwagen werden vorbeigeschoben, Einkaufskörbe weggetragen. Einige | |
wenige wollen nicht angesprochen werden, sie schauen stur geradeaus. Doch | |
die meisten reagieren freundlich auf die Leute vom Wassertisch. Manch einer | |
nutzt die Gelegenheit für einen Plausch in der Sonne. So wird am | |
Karl-August-Platz nicht nur Berlins Wasserproblem abgehandelt. Es geht auch | |
um die S-Bahn, um die Finanzkrise und immer wieder um die da oben, die "eh | |
machen, was sie wollen". Ein Hochgewachsener erklärt in fränkischem | |
Dialekt: "Ich werde ganz sicher dafür stimmen. Diese neoliberale | |
Privatisierungs-Orgie hat mich schon immer aufgeregt." | |
Es ist diese Wendung ins Allgemeine, die der Abstimmung ihre Symbolkraft | |
verleiht, jenseits konkreter Auswirkungen. Ob eine per Volksentscheid | |
bewirkte Offenlegung der Verträge noch irgendwelche Erkenntnisse bringt | |
oder nicht - das ist für viele gar nicht der Punkt. Sie nutzen die | |
Abstimmung als Votum gegen Privatisierungen, für eine staatliche | |
Daseinsvorsorge, für eine Politik der Rekommunalisierung. Der Haifisch auf | |
dem Logo des Wassertischs trifft die Stimmung also ziemlich gut. | |
Kommt am Stand gerade niemand vorbei, der informiert werden will, | |
unterhalten sich die Aktivisten miteinander. Zu besprechen gibt es genug: | |
Ist die Gewinnverteilung nun bereits bekannt oder nicht? Was gibt es für | |
Möglichkeiten, gegen die Verträge vorzugehen? Die Materie ist derart | |
komplex, dass selbst Leute, die sich schon lange damit beschäftigen, den | |
Überblick verlieren. Diese Unschärfe macht die Abstimmung für Laien einmal | |
mehr zu einer Frage des Bauchgefühls. Zu einem Votum, bei dem man sein | |
diffuses Unbehagen über den Umgang mit dem Allgemeingut zum Ausdruck | |
bringen kann. | |
Für die Leute vom Wassertisch birgt die Aufwertung des Volksentscheids zur | |
Prinzipienfrage eine Chance zur Mobilisierung. Denn ihre größte | |
Herausforderung ist das Quorum: Im Gesetz steht, dass die Forderungen eines | |
Begehrens nur angenommen werden, "wenn die Mehrheit der Teilnehmer und | |
Teilnehmerinnen und zugleich mindestens ein Viertel der Stimmberechtigten | |
zustimmt". Der Wassertisch braucht also 612.000 Ja-Stimmen. Das ist viel: | |
Schon die ersten beiden Volksentscheide rissen diese 25-Prozent-Hürde. | |
Die Sonne wandert hinter die Häuser, Kälte kriecht in die Knochen. Nach | |
drei Stunden sind die Wassertisch-Leute durchgefroren. Einer erzählt, dass | |
nach der Unterschriftensammlung im Herbst die Wahlwerbung jetzt manchmal | |
etwas schleppend laufe. "Wir sind nicht viele und machen das alles | |
ehrenamtlich. Da gibt es schon Ermüdungserscheinungen." | |
Offenbar nicht bei Sigrun Görtemaker. Sie will über den Campus in Adlershof | |
ziehen und für den Volksentscheid mobilisieren. Mit einer Bekannten hat sie | |
sich außerdem für eine Tour entlang der Wilmersdorfer Straße verabredet. | |
"Ich tue das für meine Enkel", sagt Görtemaker. Es gehe schließlich um | |
nicht weniger als die Zukunft. "Die Verteuerung der Wasserpreise muss jeder | |
von uns bezahlen. Und das geht so weiter, wenn wir nichts dagegen tun." | |
8 Feb 2011 | |
## AUTOREN | |
Antje Lang-Lendorff | |
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