# taz.de -- Chodorkowski-Porträt im Berlinale-Kino: Wer ist dieser Mann? | |
> Cyril Tuschi versucht, "Khodorkovsky" in den Griff zu bekommen. Mit | |
> seinem Porträt des Oligarchen und Kulturförderers rollt er die | |
> zeitgeschichtliche Entwicklung Russlands auf (Panorama). | |
Bild: Was hat er hier vor? Mikhail Khodorkovsky. | |
"Das Chaos ist aufgebraucht, es war die beste Zeit" - mit diesem | |
Brecht-Zitat ließen sich die wilden 90er Jahre im postsozialistischen | |
Russland aus Sicht eines Oligarchen wie Michail Chodorkowski wohl bestens | |
resümieren. Im Chaos des Übergangs von Planwirtschaft zum Kapitalismus | |
stieg er vom Komsomol-Funktionär zum reichsten Mann Russlands auf. | |
Er war gerade damit beschäftigt, sein Image des ruchlosen Oligarchen in den | |
Ruf eines Wohltäters und Kulturförderers umzuwandeln, als er 2003 | |
festgenommen und wegen Steuerhinterziehung zu einer langjährigen Haftstrafe | |
verurteilt wurde. An der Figur Michail Chodorkowski lässt sich wie an | |
keiner anderen Person die zeitgeschichtliche Entwicklung Russlands | |
aufrollen und analysieren. Es ist also höchste Zeit, dass es einen Film | |
über ihn gibt. | |
Der deutsche Filmemacher Cyril Tuschi hat diese Aufgabe auf sich genommen; | |
diese Haltung liegt seinem Dokumentarfilm "Khodorkovsky" als ein wenig | |
irritierende Selbstinszenierung zugrunde. Sein Film erzählt die Biografie | |
Chodorkowskis nach, reiht eine Serie von Interviews mit Verwandten, | |
Weggefährten und anderen wichtigen Personen aneinander, zeigt | |
Archivmaterial und illustriert Schlüsselszenen der Ereignisse mit | |
Animationen. Das alles ergibt ein faszinierend vielschichtiges Bild. Ob | |
Chodorkowski "schuldig" ist oder ob seine Wandlung zum Wohltäter "ehrlich" | |
gemeint war - darüber maßt sich Tuschi dankenswerterweise kein Urteil an. | |
Diese neutrale Haltung wird über die Länge des Films aber zum Problem: | |
Einerseits setzt sich der Filmemacher als investigativer Reporter in Szene, | |
der allen Beteiligten unangenehme Fragen stellt; andererseits aber hakt er | |
in seinen Interviews weder nach noch widerspricht er dem, was ihm die | |
Protagonisten in die Mikrofone diktieren. Mit Chodorkowskis Sohn spaziert | |
er vor der Kamera herum, ohne auch nur zu versuchen, ihm beachtenswerte | |
Aussagen über seinen Vater zu entlocken. "Khodorkovsky" gehört zu jener | |
Sorte Film, in der die Einzelteile zunächst interessanter scheinen als das | |
Ganze. | |
Doch dann kommt gegen Ende des Films doch noch die große Sensation: Tuschi | |
kann seinen Protagonisten vor laufender Kamera im Gerichtssaal interviewen. | |
Die Aufnahmen lassen den Schluss zu, dass hier der Fragesteller aufgeregter | |
war als der Interviewte. Aber auch der Zuschauer ist trotz aller vorherigen | |
Informationen auf diesen Mann nicht vorbereitet. So unerwartet heiter, | |
entspannt und sympathisch ironisch antwortet Chodorkowski, dass sich alle | |
im Film aufgeworfenen Fragen noch einmal neu stellen. Wer ist dieser Mann - | |
und vor allem: Was hat er noch vor? | |
14.2., 16 Uhr, International; 15.2., 14.15 Uhr, CineStar 7; 16.2., 17.30 | |
Uhr, Cubix 7; 20.2., 15.30 Uhr, Colosseum 1. | |
14 Feb 2011 | |
## AUTOREN | |
Barbara Schweizerhof | |
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