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# taz.de -- Leipziger Buchmesse: Die Messe der großen Lobreden
> Der erste Tag nach der Eröffnung der Buchmesse in Leipzig lädt zum
> entspannten Schlendern durch die Gänge ein. Preise werden verliehen,
> Autoren und Kritiker gelobt.
Bild: Wahl getroffen: Auf der Leipziger Buchmesse können sich die Besucher ins…
LEIPZIG taz | Eine Umkehrung des Gewohnten - auch dafür ist so eine
Buchmesse gut. Üblich ist, dass ein Schriftsteller einen Preis erhält und
ein Kritiker zu diesem Anlass die Laudatio hält. In Leipzig lief es am
Donnerstag umgekehrt. Die Literaturkritikerin Ina Hartwig (früher FR, heute
frei) erhielt also den Alfred-Kerr-Preis für Literaturkritik. Und die
Lobrede kam nicht von einem Kritikerkollegen, sondern von einem Autor:
Clemens Meyer.
Die traditionelle Verleihung dieses vom Börsenblatt des Buchhandels
verliehenen Preises ist immer etwas für Liebhaber. Sie findet eher im
kleinen Rahmen statt, wobei sich aus diesem Anlass Kleinverleger, Kritiker
und ambitionierte Pressefrauen gern treffen. Schließlich kommt es im
Buchbusiness nicht nur auf Umsatz, sondern auf kulturelles Kapital an.
Clemens Meyer nahm die Sache dann auch sehr ernst und gab alles. Direkt an
Ina Hartwig gewandt: "Das klare Leuchten deiner Texte hat mich regelrecht
berauscht."
Ina Hartwig hielt dann eine kluge, nicht auftrumpfende, aber doch
selbstbewusste Dankesrede - eine Verteidigung der Literaturkritik gegen
ihre Verächter und zugleich eine Selbstverpflichtung für die
Literaturkritiker: Kritik sei, so Hartwig, "als deutende Anerkennung des
schriftstellerischen Werkes" zuständig für die "Entfaltung der Literatur",
nicht für den Absatz der Bücher.
Na ja, bei dem Preis der Leipziger Buchmesse, der dann in einem viel
größeren Rahmen verliehen wurde, erwartet man sich von Verlagsseite, wenn
man ehrlich ist, durchaus auch Popularisierung und Absatz. Aber bei diesem
Preis zeigte sich der Betrieb etwas sperrig. Der Schriftsteller Clemens J.
Setz hat ihn im Bereich Belletristik bekommen (eine Besprechung fand sich
gestern in der Buchbeilage der taz), was schon wie eine Trotzreaktion der
Literaturkritik wirkt auf die vermeintliche Zumutung, ein Spaß machendes
und großartig geschriebenes Buch wie "Tschick" auszeichnen zu sollen. So
viel Talent Setz hat, manches an seinen Texten wirkt arg gewollt.
Der Preis für die beste Übersetzung ging, was unstrittig war, an Barbara
Conrads Übertragung von "Krieg und Frieden". Und der Preis für das beste
Sachbuch ging an den ehemaligen FAZ-Redakteur Henning Ritter und nicht zum
Beispiel an Karen Duves Buch "Anständig essen"; dieser Preis ist ein
Bekenntnis für eine leicht alt-knarzende und unbedingt beeindruckende
Gelehrsamkeit.
## "Schandfleck für Europa"
Am Mittwochabend war die Messe feierlich eröffnet worden. Der Übersetzer
und Autor Martin Pollack erhielt den Buchpreis zur Europäischen
Verständigung (ja, es gibt viele Preise hier in Leipzig!), fand deutliche
Worte für die politische Situation in der Ukraine und in Weißrussland
("Schandfleck für Europa"). Und Sibylle Lewitscharoff legte, ähnlich wie
Clemens Meyer, eine Laudatio-Performance hin, die sich gewaschen hatte.
Es war bislang tatsächlich ein bisschen die Messe der Autoren-Laudatios.
Jedes Wort einzeln betonend, wies Sibylle Lewitscharoff auf die
Dringlichkeit, gerade diesen Autor zu lobpreisen, hin und zugleich auf die
Seltsamkeit so einer Redesituation. Inhaltlich brachte sie Pollacks
historische Studien über die Auswandererbewegungen etwa aus Galizien um
1880 in die USA mit den aktuellen Migrationsbewegungen zusammen. Wer
Pollacks 2010 erschienenes Buch "Kaiser von Amerika. Die große Flucht aus
Galizien" noch nicht gelesen hatte, wollte das nach dieser Laudatio
unbedingt tun.
Vorher hatte Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung noch einen
würdevollen Dreh gefunden, um der Anteilnahme an den Katastrophen in Japan
und dabei vor allem an den Ereignisse in Fukushima Ausdruck zu verleihen.
Anstatt eine Standarderöffnungsrede zu halten, las er einen Abschnitt aus
Christa Wolfs nach Tschernobyl geschriebenem Buch "Störfall" vor. Diese
Geste, mehr konnte es ja auch gar nicht sein, wurde von allen anderen
Teilnehmern der Eröffnung mit Dankbarkeit aufgenommen.
18 Mar 2011
## AUTOREN
Dirk Knipphals
## TAGS
Büchnerpreis
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