# taz.de -- Gangolf Stocker über Stuttgart 21: "Sie haben ein Vaterproblem mit… | |
> Der Vater der Proteste gegen Stuttgart 21 über interne Konflikte in der | |
> Bewegung, die Wertschätzung der Bevölkerung und die künftige Stuttgarter | |
> Marktplatzdemokratie. | |
Bild: Er hat nie geglaubt, dass Stuttgart 21 gebaut wird, sagt Bahnhofsverhinde… | |
taz: Herr Stocker, Sie sind in der Wahlnacht als Sprecher des | |
Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21 zurückgetreten. War das eine spontane | |
Entscheidung? | |
Gangolf Stocker: Ich habe die Kündigung am Tag vor der Wahl geschrieben, | |
aber dann das Wahlergebnis noch abgewartet. Wenn das anders ausgefallen | |
wäre, hätte ich das Schreiben wieder gelöscht. | |
Warum? Mit dem Sieg der Grünen ist das Aktionsbündnis doch fast an seinem | |
Ziel. | |
Ich denke schon über Stuttgart 21 hinaus. Wir haben eine Idee entwickelt, | |
für die ich gerade versuche, Partner zu gewinnen. | |
Worum handelt es sich dabei? | |
Wir streben an, dass sich die Stuttgarter regelmäßig auf dem Marktplatz | |
versammeln, um mit Politikern, aber auch mit Vertretern von Initiativen, | |
die das jeweilige Thema bearbeiten, für die Stadt wichtige Themen zu | |
diskutieren. Die Leute sollen debattieren und am Ende auch darüber | |
abstimmen. | |
Also Politik wie im alten Athen? | |
Ja, genau. Das Selbstbewusstsein ist in den letzten drei Jahren unheimlich | |
gewachsen. Die Leute wollen mitreden. Das versuchen wir jetzt zu | |
institutionalisieren. | |
Sie haben also die Nase noch nicht voll davon, sich in die Politik | |
einzumischen? Hat der Dauerprotest nicht zu sehr an den Kräften gezerrt? | |
Ein bisschen mehr Zeit für mich brauche ich schon. Und wenn die neue Idee | |
erst mal Gestalt angenommen hat, dann hätte ich auch nichts dagegen, mich | |
langsam zurückzuziehen. | |
Wollen Sie sich als Vater des Protests den Erfolg - vorausgesetzt, | |
Stuttgart 21 wird tatsächlich gestoppt - von anderen nehmen lassen? | |
Mein Bruder hat mir einen klugen Satz gesagt: Ein Mensch, dem es erst um | |
die Sache geht und dann um die Person, hat keine Chance gegen einen | |
Menschen, dem es erst um die Person und dann um die Sache geht. | |
Sie meinen Matthias von Herrmann, den Sprecher der sogenannten aktiven | |
Parkschützer? | |
Ja, auch. Aber der Mann ist eigentlich nicht mein Problem. Mein Problem ist | |
das Aktionsbündnis. Das hat sich selbst nicht ernst genommen. Die Leute | |
haben Entscheidungen getroffen und am nächsten Tag vergessen. | |
Ihnen wird Ähnliches vorgeworfen. So war die Rede von "Selbstherrlichkeit | |
im Ton eines Oberbefehlshabers". Und auch Sie hätten sich über | |
Entscheidungen hinweggesetzt. | |
Das mit dem Ton müssen andere beurteilen. Ich finde es aber schon typisch, | |
dass einige jetzt auf die Person Stocker abzielen. Sie haben so etwas wie | |
ein Vaterproblem mit mir. Aber zum Oberguru habe ich mich nicht gemacht, zu | |
dem haben mich die Medien gemacht. Die brauchten einfach ein Gesicht. | |
Demnach hätten Sie doch froh sein müssen, als die Medien das Gesicht | |
Matthias von Herrmann entdeckten. | |
Der wurde ja nicht entdeckt. Daran hat er selbst gearbeitet. Unter den | |
Parkschützern gab es Leute, die mehr Action wollten. Die Bereitschaft, | |
etwas zu tun, war unglaublich gewachsen. Das konnten wir mit dem | |
Aktionsbündnis aber nicht auffangen. Die Welle hatte uns einfach überrollt. | |
Und da tauchte Matthias von Herrmann auf, der sich darum kümmern wollte. | |
Ich war damals sehr erleichtert, weil ich das gar nicht mehr geschafft | |
hätte. | |
Warum gab es dann so große Probleme? Sie hatten es anfangs scharf | |
kritisiert, dass von Herrmann in der Öffentlichkeit als Sprecher der | |
Parkschützer auftrat. Und intern führten seine Person und die Aktionen der | |
Parkschützer zu heftigen Auseinandersetzungen darüber, wie sich die | |
Bewegung ausrichten soll. | |
Wir hatten damals Absprachen getroffen, wie keine eigene Pressearbeit und | |
keine eigene Kasse. Die Truppe um Matthias von Herrmann hat aber im Nu | |
ihren eigenen Laden aufgemacht. Da habe ich mich wirklich verarscht | |
gefühlt. Die Parkschützer haben dann unsere Demos benutzt, um ihre eigenen | |
Aktionen durchzuführen. | |
Fanden Sie diese Aktionen denn gut? | |
Nicht, wenn sie nur symbolisch waren: Man schmeißt einen Bauzaun um, dann | |
kommt die Polizei und stellt ihn wieder hin. Hingegen haben Aktionen, wie | |
sich am Kran festzubinden oder das Dach zu besetzen, den Abbruch | |
tatsächlich verzögert. | |
Das heißt, Sie unterscheiden nicht danach, wie radikal eine Aktion ist, | |
sondern danach, ob sie nur symbolisch ist oder tatsächlich dem Ziel dient? | |
Sagen wir es anders: Sie muss für die Menschen nachvollziehbar sein. Meine | |
wichtigste Funktion war, den Protest offen zu halten, auch für ältere | |
Demonstranten. Dem Protest eine Form zu geben, dass die Leute, die zum | |
ersten Mal vorbeikommen, so begeistert sind, dass sie wiederkommen, auch | |
die Ängstlicheren. Aber Aktionen wie das Aufbrechen des Bauzauns waren bloß | |
Kräftemessen mit der Polizei. | |
Wie gut konnten Sie sich selbst mit der Bewegung identifizieren? Sie waren | |
lange Zeit Mitglied der DKP und später der PDS, und Sie arbeiten noch heute | |
mit der Linkspartei zusammen. Wie passt das mit dem Prototyp des | |
bürgerlichen Protests zusammen? | |
Früher habe ich immer gemeint, wenn man mit dem Volk auf einer Seite steht, | |
steht man auf der falschen Seite. Inzwischen habe ich die Leute schätzen | |
gelernt. Und ich habe gelernt, dass, wenn die Leute Informationen haben, | |
sie auch richtig entscheiden. | |
Das heißt, man muss das Volk nur informieren, dann hat man Erfolg? | |
Wir haben in Stuttgart acht, neun Jahre so gearbeitet. Wir haben nichts | |
anderes gemacht, als die Gegeninformationen zu Stuttgart 21 in die | |
Bevölkerung zu tragen. Das hat lange gedauert. Dabei habe ich auch gelernt, | |
dass das Gras nicht schneller wächst, wenn man daran zieht. Die Zeit hatten | |
wir glücklicherweise. Wenn die Projektträger ihren Zeitplan eingehalten | |
hätten, hätten wir keine Chance gehabt. | |
Sind Sie stolz, wenn Sie durch die Straßen gehen und denken, dass Sie dazu | |
beigetragen haben, dass sich die Stadt verändert hat? | |
Das macht mich schon stolz. Aber ich muss nicht vorne dran stehen. Wenn ich | |
jetzt doch irgendwann in der Versenkung verschwinde und mit mir Stuttgart | |
21, dann soll mir das eine stille Genugtuung sein. Dieses Gefühl, das | |
bleibt. Das kann auch der Ärger über andere Sachen nicht kaputtmachen. | |
Könnten Sie damit leben, wenn Stuttgart 21 doch gebaut werden sollte, | |
womöglich sogar unter einem grünen Ministerpräsidenten? | |
Ich habe nie einen Zweifel daran gehabt, dass das Projekt stirbt. Wirklich | |
nie. | |
17 Apr 2011 | |
## AUTOREN | |
Nadine Michel | |
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