# taz.de -- Der grün-rote Koalitionsvertrag: Hauptsache Bildung | |
> Solide Finanzpolitik, behutsame Bildungsreform und ein offener Konflikt | |
> bei Stuttgart 21. So präsentiert Kretschmanns "Bürgerregierung" ihren | |
> Koalitionsvertrag. | |
Bild: Vorhang auf für Grün-Rot: Vorstellung des Koalitionsvertrags durch Winf… | |
STUTTGART taz | Die neue Landesregierung Baden-Württembergs will ihre | |
fünfjährige Legislaturperiode mit dem Selbstverständnis einer | |
Bürgerregierung antreten. Dies hat der designierte Ministerpräsident | |
Winfried Kretschmann (Grüne) am Mittwoch bei der Präsentation des | |
[1][Koalitionsvertrags] (PDF) erklärt. "Die Zeit des Durchregierens von | |
oben ist zu Ende", heißt es in der Präambel des Vertrags. "Für uns ist die | |
Einmischung der Bürgerinnen und Bürger eine Bereicherung." | |
Als wichtigstes Kernthema ihres Politikwechsels sehen Kretschmann und | |
Schmid die Reform der Bildungslandschaft. Der große Rundumschlag bleibt | |
allerdings aus. Kretschmann sprach davon, "behutsam" vorgehen zu wollen. | |
Der Grund ist mit einer anderen Stadt verbunden: Hamburg. Nachdem dort eine | |
Schar gut organisierter Konservativer die Bildungsreform zunichtegemacht | |
hat, scheut auch Grün-Rot in Baden-Württemberg den ganz großen Wurf. | |
Ziel ist, dass der Bildungserfolg künftig nicht mehr vom Geldbeutel der | |
Eltern abhängt. Doch verändert wird nur da, wo es die Beteiligten wollen. | |
Indoktriniert wird nichts. So sollen die Gemeinschaftsschulen ins | |
Schulgesetz geschrieben, aber nicht Pflicht werden. Dies kann man feige | |
nennen, weil Grün-Rot wider ihre Überzeugungen die große Reform scheut. | |
Oder aber klug, weil sonst womöglich jeder Ansatz im Keim erstickt würde. | |
## Keine neuen Schulden ab 2020 | |
Für den Landeshaushalt haben Kretschmann und sein designierter Vize Nils | |
Schmid (SPD) eine solide Finanzpolitik angekündigt. Ab dem Jahr 2020 dürfen | |
keine neuen Schulden gemacht werden. Dies schreibt die Schuldenbremse im | |
Grundgesetz für alle Bundesländer vor. Um den Haushalt über die | |
Einnahmenseite zu konsolidieren, ist die neue Koalition jedoch in weiten | |
Teilen auf Entscheidungen im Bund angewiesen. | |
Stellschraube auf Landesebene ist die Grunderwerbssteuer, die Grün-Rot um | |
1,5 Prozentpunkte auf dann 5 Prozent erhöhen will. Darüber hinaus jedoch | |
kann sich die Koalition lediglich in Berlin für Änderungen einsetzen, etwa | |
für eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes oder für die Erweiterung der | |
Gewerbesteuer, die nach dem Willen von Grün-Rot künftig auch von | |
Freiberuflern und Selbstständigen bezahlt werden soll. | |
## Streit über Stuttgart 21 nicht beigelegt | |
Auch der Streit über Stuttgart 21 ist mit dem Koalitionsvertrag noch längst | |
nicht beigelegt. Wie die Deutsche Bahn am Dienstag erklärt hat, sieht sie | |
rechtliche Probleme durch die geplante Volksabstimmung. "Die Ankündigung | |
der künftigen Regierungspartner, bis Oktober dieses Jahres eine | |
Volksabstimmung in Baden-Württemberg über Stuttgart 21 abhalten zu wollen, | |
ist in dem unverändert rechtsgültigen Finanzierungsvertrag für Stuttgart 21 | |
nicht vorgesehen", teilte die Bahn mit. Zu klären wird unter anderem sein, | |
wer die Kosten für einen Baustopp bis zur Volksabstimmung im Oktober 2011 | |
übernimmt. | |
Die baden-württembergische CDU erwägt sogar eine Klage gegen die | |
Volksabstimmung. "Es liegen klare Hinweise auf Verfassungsverstöße vor", | |
sagte CDU-Fraktionschef Peter Hauk den Stuttgarter Nachrichten. Deshalb | |
werde man eine Klage vor dem Staatsgerichtshof prüfen. | |
## ÖPNV soll massiv ausgebaut werden | |
Während sich die Grünen bei Stuttgart 21 nicht gegen die SPD durchgesetzt | |
haben, konnten sie zumindest beim zweiten großen Streit in der | |
Verkehrspolitik den SPD-Forderungen nach mehr Geldern für den Straßenneubau | |
weitgehend einen Riegel vorschieben. Neue Gelder soll es nur für den | |
Straßenerhalt geben. Gleichzeitig soll der öffentliche Personen- und | |
Nahverkehr massiv ausgebaut werden. | |
Einen gegenüber der eigenen Bevölkerung unpopulären Schritt wagt Grün-Rot | |
mit der Ankündigung, die Festlegung allein auf Gorleben als Endlager für | |
radioaktive Abfälle aufgeben zu wollen. Im Koalitionsvertrag wird ein | |
ergebnisoffenes bundesweites Suchverfahren angestrebt. | |
## Endlagersuche auch in Baden-Württemberg | |
Damit könnte die Endlagerentscheidung auch auf Baden-Württemberg fallen. | |
Bislang hatten sich vor allem die süddeutschen Länder Bayern und | |
Baden-Württemberg geweigert, über einen Endlagerstandort bei sich auch nur | |
nachzudenken. | |
Über die insgesamt 83 Seiten umfassende Koalitionsvereinbarung stimmen am | |
7. Mai Sonderparteitage der Grünen in Stuttgart und der SPD in Sindelfingen | |
ab. Zuvor aber geht Kretschmann auf Bürgertour. In Stuttgart, Mannheim, Ulm | |
und Konstanz will er den Koalitionsvertrag erläutern. | |
27 Apr 2011 | |
## LINKS | |
[1] http://gruene-bw.de/fileadmin/gruenebw/dateien/Koalitionsvertrag-web.pdf | |
## AUTOREN | |
Nadine Michel | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Bildungspolitik in Baden-Württemberg: "Giftliste" für die Schulen | |
Baden-Württembergs Regierung will in den Schulen sparen und erntet damit | |
den Widerstand ihrer Unterstützer. Die GEW hat massive Proteste | |
angekündigt. | |
Eine Gemeinschaftsschule für Ravensburg: Ohne Noten. Ohne Sitzenbleiben. | |
Ravensburg will als erste Stadt in Baden-Württemberg die | |
Gemeinschaftsschule einführen. Sogar die CDU wird im Stadtrat dafür | |
stimmen. Wie war das möglich? | |
Debatte Gemeinschaftsschule: Pädagogik für das 21. Jahrhundert | |
In NRW wurde sie vorerst gestoppt, in BaWü darf sie nun kommen. Doch die | |
Gemeinschaftsschule wird von CDU-Dinosauriern torpediert - und | |
Erfahrungswerte fehlen. | |
Gemeinschaftsschule in Baden-Württemberg: "Die CDU muss ihr Dogma ablegen" | |
Das baden-württembergische Handwerk stellt sich klar hinter die grün-rote | |
Schulreform im Ländle. "Das ist auch unser Projekt", sagt Präsident Joachim | |
Möhrle. | |
Grün-Rot in Baden-Württemberg: Meilenstein für Homopolitik | |
Ehen auf dem Standesamt, Gleichstellung für Beamte, Aufklärung in der | |
Schule. Grün-Rot holt für Schwule und Lesben nach, was die CDU versäumt | |
hat. | |
Kommentar Rot-grüne Bildungspolitik: Streberland bleibt Streberland | |
Die neue Regierung plant in Baden-Württemberg die Schul-Empfehlung nach | |
Klasse vier abzuschaffen und Ganztagsschulen einzuführen. Das ist in | |
anderen Ländern längst passiert. | |
Ökowende für Ländle-Ökonomie: Weltmarktführer im Hirnschmalzen | |
Wie kann eine grün-rote Landesregierung die Wirtschaft Baden-Württembergs | |
ökologisch umbauen? Die Voraussetzungen dafür sind jedenfalls gut. | |
Koalitionsgespräche in Rheinland-Pfalz: Grüne wollen keine Brücken bauen | |
Große Einigkeit herrscht zwischen SPD und Grünen: Es soll mehr erneuerbare | |
Energie, mehr Kitas und mehr Gesamtschulen geben. Nur die Flußüberquerungen | |
entzweien. | |
Kommentar Grün-Rot im Ländle: Die vorsichtige Revolution | |
Das grün-rote Programm widerlegt all die konservativen Kritiker, die den | |
Weltuntergang im Ländle befürchten. Kühle Rationalität soll walten, damit | |
der Politikwechsel nicht scheitert. | |
Grün-Rot will Wahlalter doch nicht senken: 5 vor 12 noch rausgestrichen | |
Grüne und SPD wollten im Koalitionsvertrag eigentlich die Senkung des | |
Mindestalters für Kommunal- und Landtagswahlen auf 16 Jahre vereinbaren – | |
doch in letzter Minute wurde das revidiert. | |
Kretschmann will weniger PKWs: Aufschrei im Autoland | |
Müssen Porsche und Daimler massenhaft teure Luxuskarossen bauen? Der | |
designierte Ministerpräsident Baden-Württembergs stößt eine Debatte an – | |
und erntet Kritik. | |
Kommentar Grün-Rot in Baden-Württemberg: Viel mehr als ein Bahnhof | |
Grün-Rot wird vielleicht nicht Stuttgart 21 verhindern können. Aber der | |
Wählerauftrag ist erfüllt. wenn künftige Mammutprojekte nicht mehr an der | |
Bevölkerung vorbei geplant werden. | |
Grün-roter Koalitionsvertrag in BaWü: Ökologischer Umbau der Autoindustrie | |
Der erste grün-rote Koalitionsvertrag in Deutschland ist so gut wie fertig. | |
Über letzte Details soll bis Mittwoch in Stuttgart verhandelt werden. Die | |
wichtigsten Punkte. |