# taz.de -- Theatertreffen 2011 in Berlin: Generationenkonflikte revisited | |
> Zum ersten Mal ist das feministische Performancekollektiv She She Pop zum | |
> Theatertreffen eingeladen, ausgerechnet mit einer Vätergeschichte - | |
> "Testament". | |
Bild: "Testament – Verspätete Vorbereitungen zum Generationenwechsel nach Le… | |
BERLIN taz | Als ich das erste Mal ein Stück von She She Pop sah, die | |
"Homestory" 2002, plagte mich Liebeskummer. Es gab nichts Besseres als | |
dieses Stück gegen diesen Frust. Selten fühlte ich mich so gut verstanden | |
in all den Nöten, allein durch den Tag zu kommen und sich ständig zu | |
irgendetwas motivieren zu müssen, wie von den sieben Damen der Gruppe She | |
She Pop und ihrem ins weibliche Kollektiv eingemeindeten Kollegen Sebastian | |
Bark. | |
Noch immer erinnere ich eine Szene, die den Wunsch, sich zu verkriechen, | |
und das Suchen nach Schutz vor all den Anstrengungen der Selbstdarstellung | |
wunderbar auf die Spitze trieb: Ab heute, verkündete die Performerin Ilia | |
Papatheodorou, "will ich nicht mehr haben, sondern nur noch sein". | |
Sie entschied sich für das Sein einer Bettdecke und führte die | |
anschließende Rede über ihre Erleichterung, sich nicht mehr für jeden Tag | |
eine Identität entwerfen zu müssen, aus einem Bettbezug heraus. | |
She She Pop waren zu diesem Zeitpunkt nicht gerade berühmt dafür, ihre | |
Zuschauer mit Verständnis zu verwöhnen. Im Gegenteil, etwas garstig zu sein | |
und den Zuschauer durch verschärfte Beobachtung, Beurteilung und auch | |
Bestrafung (wie etwa das Aufsetzen einer Arschmaske) etwas zu quälen, | |
spielte keine geringe Rolle im Ruf der Gruppe, die sich in den neunziger | |
Jahren in Gießen, im Fachbereich Angewandte Theaterwissenschaft der Uni, | |
gegründet hatte. | |
Man fürchtete sich sogar ein wenig vor ihren Performances. Das knallharte | |
Abrechnen mit der voyeuristischen Position, in der es sich der Zuschauer | |
bequem machen kann, gehörte zu den herausragenden Qualitäten ihrer Abende | |
wie "Live (ab 1999) und "Bad" (ab 2002). | |
"Dass wir sehr konfrontativ, direkt und diskursiv arbeiten, hat etwas mit | |
unserer Geschichte als Frauenkollektiv zu tun", sagt Ilia Papatheodorou, | |
die zusammen mit Mieke Matzke zum Interview gekommen ist. Es war die | |
Erfahrung des vergleichenden Blicks, des Beurteilt- und Eingeordnet-Werdens | |
als Frau und Künstlerin während eines studentischen Projekts, der für She | |
She Pop eine Initialzündung gab. | |
"Wer tanzt am besten, wer ist die Lustigste, wer ist die Dickste, wer hat | |
die größte Spontaneität - diesem voyeuristischen Blick sind Frauen viel | |
mehr als Männer auf der Bühne ausgesetzt. Um uns dagegen zu wehren, haben | |
wir im Zuschauerraum das Licht angemacht und zurückgeschaut." | |
Gerade weil She She Pop eine feministische Perspektive hochhält, ist es | |
umso überraschender, dass sie mit einem Stück, in dem sie mit ihren Vätern | |
auf die Bühne kommen und den Generationenvertrag in Augenschein nehmen, zum | |
Theatertreffen eingeladen sind. "Testament - Verspätete Vorbereitungen zum | |
Generationenwechsel nach Lear" wurde schon bald nach seiner Uraufführung im | |
Februar 2010 zu Gastspielen und Festivals eingeladen. Immer öfter mussten | |
die Töchter bei ihren Vätern anrufen und gemeinsame Termine klären. | |
## Wie viel kostet Elternliebe? | |
Hat dieser Erfolg She She Pop überrascht? Eigentlich nicht, meint Mieke | |
Matzke, denn schon als das Stück noch in der Konzeptionsphase war, merkten | |
sie, wie viel Identifikationspotenzial in dem Stoff drinsteckte. | |
"Vätergeschichten wurden uns von allen Seiten angetragen." "Testament" ist | |
aber gerade auch deshalb so beeindruckend geworden, weil es auch die | |
Probleme der Probenarbeit, den Zweifel und auch das Verfehlen von | |
Verständnis mittransportiert. | |
Diskussionen zwischen Vätern und Töchtern, die in der Probenarbeit das | |
Projekt zu sprengen drohten, wurden mitgeschnitten und werden den | |
Beteiligten jetzt über Kopfhörer wieder zugespielt: Wie sie die Worte leise | |
wiederholen, auf dem damaligen Standpunkt weiter beharrend oder ihn jetzt | |
doch aus einer anderen Distanz betrachtend, gehört zu den großartigen | |
Szenen des Stücks. So wird Denken hörbar, sichtbar und fühlbar. | |
Für die Performerinnen war es eine große Herausforderung, sich der Kritik | |
ihrer Väter an ihrer Kunst zu stellen. Das war auch gerade deshalb nicht | |
einfach, weil diese eben keine konservativen und autoritären Betonköpfe | |
waren, sondern eher bildungsbürgerliche 68er, die große Erwartungen in die | |
emanzipativen und sich selbst verwirklichenden Fähigkeiten ihrer Kinder | |
richteten. | |
Eigentlich, denkt man als Zuschauer oft, sind sich Väter und Töchter viel | |
näher, als sie selbst glauben. Aber weil gerade deshalb ihre Konflikte | |
nicht klischeehaft verhandelt werden, sondern detailliert und sehr konkret, | |
berührt die Ehrlichkeit der Positionen. | |
Für Spannung sorgt zudem, dass die autobiografischen Erfahrungen | |
gegengelesen werden mit Shakespeare, "King Lear", und der Geschichte des | |
alten Königs, der nicht damit zu Potte kommt, Macht und Reichtum an seine | |
Töchter abzugeben. | |
Diesen Stoff nutzen She She Pop, um vieles von dem anzusprechen, was mit | |
dem Älterwerden der eigenen Eltern auf jeden zukommt: Wer hilft, wenn sie | |
Unterstützung brauchen? Wie viel eigenes Leben ist man bereit in Fürsorge | |
um sie zu stecken? Wie schauen Geschwister auf die Teilung der elterlichen | |
Liebe und das elterliche Erbe? | |
Die Rechnungen (Wie viel kostet eine Stunde Elternliebe in Euro?) und | |
Fallbeispiele, mit denen She She Pop diesen Fragen nachgeht, wirken dabei | |
einerseits erheiternd, zumal der Duktus der Darstellung oft sehr trocken | |
ist. Sie beleuchten damit andererseits das Fehlen von Redeweisen, die nicht | |
für eine Seite verletzend sind, in diesen Fragen. | |
## Die Hemden der Väter | |
Zugute kommt She She Pop bei "Testament" auch ihre lange Erfahrung im | |
Aufbau von einfachen und doch komplex erzählenden Bildern. Am Anfang sind | |
kleine Kameras auf die Gesichter der Väter gerichtet und projizieren sie in | |
drei große Bilderrahmen: Schon ist der Duktus königlicher Repräsentation | |
hergestellt. Genau hier setzen später die Kinder Pappkronen auf und ziehen | |
sich die Hemden der Väter an, die auszuziehen für diese ein Akt der | |
Demütigung war. | |
Am Ende fassen die drei Bilderrahmen ein fast barockes Vanitas-Motiv aus | |
Tulpen und Äpfeln, unter dem sich Töchter, Väter und ein Sohn schichtweise | |
übereinanderlegen: eine Bestätigung ihrer Verbundenheit über alle | |
diskursiven Fragen hinaus; auch ein Vorgriff auf die Sterblichkeit, die sie | |
alle miteinander teilen. Das ist She She Pop und das ist Shakespeare at its | |
best. | |
Die meisten Mitglieder des Kollektivs sind heute um die vierzig. Zum | |
Interview brachte Ilia Papatheodouro ihren Sohn mit, ein Baby, mit; die | |
Betreuung von sieben kleinen Kindern muss inzwischen mit der Probenarbeit | |
koordiniert werden. | |
Dieser Doppelrolle als Mütter und Künstlerinnen galten in ihrer | |
Ratlosigkeit und Verzweiflung schon wieder lustige Szenen in ihrer | |
Performance "Sieben Schwestern", die "Testament" folgte. Expliziter als in | |
früheren Stücken stellten sie feministische Fragen. "Jetzt, wo wir eigene | |
Familien haben und die Konflikte mit den eigenen Partnern ins Haus geholt | |
haben, wo die Erfahrung des Streites, wer was und wann macht, mit den | |
Kindern und in seiner Arbeit, spielt das eine große Rolle", sagt Ilia. | |
Und Meike ergänzt: "Während wir "Sieben Schwestern" probten, fing die | |
Diskussion neu an: Wo stehen wir eigentlich? Kann man wirklich von | |
Errungenschaften reden, von erreichten Zielen? Oder warum stockt es auf so | |
vielen Ebenen, warum wird vieles verschleiert?" | |
She She Pop wollte nie ein eigenes Theater gründen, sie fühlen sich gut | |
aufgehoben zwischen ihren Koproduktionspartnern, Kampnagel aus Hamburg, dem | |
Hebbel am Ufer in Berlin und dem FFT Düsseldorf. Wichtig war ihnen dabei, | |
die Autonomie über ihr Kollektiv und ihre Projekte behalten zu können. | |
"Mit unserem Festhalten an einem feministischen Standpunkt und am Kollektiv | |
haben wir uns oft den Vorwurf eingehandelt, in den Siebzigern stecken | |
geblieben zu sein", erzählt Mieke Matzke, "aber heute ist wieder eine neue | |
Aufmerksamkeit und ein politisches Interesse an diesen Begriffen da, auch | |
an ihrem utopischen Potenzial. Im Kollektiv zu arbeiten meint auch, andere | |
Verbindlichkeiten zu schaffen, die mehr sind als Networking." | |
## "Nach Moskau, nach Moskau" | |
Apropos Utopie: In "Sieben Schwestern" tauchten drei der kleinen, noch | |
nicht schulpflichtigen Kinder in einem Bildfenster auf, so als würden sie | |
die ganze Zeit in einem Hinterzimmer des Theaters spielen. Am Ende wird | |
ihnen die Aufgabe angetragen, eine Utopie zu entwickeln. "Wenn man euch | |
fragt, wo ihr hinwollt, sagt ,nach Moskau, nach Moskau'", brachte Sebastian | |
Bark ihnen bei, packte sie in Anoraks und schickte sie los in dunkler Nacht | |
auf die Straße | |
Das war einerseits ein Zitat aus Tschechows "Drei Schwestern", auf das die | |
Produktion in ihrer Frage nach dem richtigen Leben immer wieder Bezug nahm. | |
Andererseits brachte das Bild der kleinen Kinder auf der nächtlichen Straße | |
die gegenwärtige Angst auf den Punkt, keine Utopien mehr zu haben, sich | |
Zukunft überhaupt nicht mehr positiv ausmalen zu können. Und damit die | |
Furcht, die eigenen Kinder tatsächlich einer furchtbaren Ungewissheit | |
auszusetzen. | |
Eigentlich ein ganz großes Drama - aber in ein so kleines Bild gepackt, als | |
ob diese pochende Sorge mit Macht kleingehalten werden müsste, um weiter | |
funktionieren zu können. Und in diesem letzten Endes doch genauen Verorten | |
eines vagen Denkens liegt eben die Kunst von She She Pop. | |
29 Apr 2011 | |
## AUTOREN | |
Katrin Bettina Müller | |
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Politisches Theater | |
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