# taz.de -- Intime Performance auf Kampnagel: Das Altern an sich | |
> Die Mutter vergisst. Aber Ursula Martinez geht mir ihr auf die Bühne und | |
> erzählt auf Kampnagel Hamburg sensibel, was Familie bedeuten kann. | |
Bild: „A family outing – 20 years on“ von Ursula Martinez erzählt Famili… | |
Auf dem Sofa saß sie und plauderte mit ihren Eltern. Einen ganzen | |
Theaterabend lang. Es war die erste eigene Show von Ursula Martinez, | |
aufgeführt zunächst 1998 auf dem Edinburgh Festival, später ziemlich | |
erfolgreich sonst wo auf der Welt. Die drei erzählten Geschichten aus dem | |
(Familien-)leben, Alltägliches, Banales und Berührendes. So erfährt man. | |
Jetzt, 20 Jahre später, hat Martinez eine Fortsetzung der Geschichte | |
kreiert. Eine Fortsetzung, die nicht sie selbst, sondern tatsächlich das | |
Leben schrieb. „A Family Outing – 20 Years on“ heißt die Performance, die | |
sie während des Sommerfestivals auf Kampnagel uraufführt. | |
Ihre Mutter ist mittlerweile 83 Jahre alt und an Demenz erkrankt, ihr Vater | |
verstorben, erzählt Martinez gleich zu Beginn. Gegen die eigenen stetig | |
ergrauenden Haare arbeite sie mit Goldblondfärbung, ihr Beckenboden | |
schwächele zunehmend, und mittlerweile brauche sie eine Lesebrille. | |
## Der Lauf der Dinge eben | |
Das alles sei eben der Lauf der Dinge, seien die Zeichen der Zeit, | |
konstatiert die britisch-spanische Performerin lakonisch-heiter. Und damit | |
die Zuschauer einen Eindruck davon bekommen, wie die erste Show von „A | |
Family Outing“ aussah, projiziert Martinez im Hintergrund eine Aufzeichnung | |
der Originalperformance von damals. Jetzt habe sie also nur mehr ihre | |
Mutter mitgebracht, die manchmal vergisst, dass sie sich mittlerweile ihren | |
Text nicht mehr merken kann, und wieder ein Sofa. Ein anderes als damals, | |
aber mindestens genauso schrabbelig. | |
Zwei Generationen Frauen, eine Couch, die Wohnzimmer-Atmo suggeriert, und | |
zahlreiche, zum Teil verloren gegangene Erinnerungen: Dass aus diesem | |
Setting, das sich mit weit aufgerissenem Herz ins Private stürzt, kein | |
weinerlicher, privater Abend wird, liegt an der unfassbaren Kraft und | |
enormen Bühnenpräsenz der Performerin. | |
Mit fröhlicher, feiner Ironie und entwaffnender Ehrlichkeit erzählt sie von | |
ihren Eltern, ihrem Leben, ihrer Homosexualität, ihrer Schwester und den | |
Mühen des Theatermachens. Klug inszeniert sie Szenen aus dem Video | |
bewegungssimultan auf der Bühne nach, macht wie nebenbei die Gegenwart zum | |
Blueprint der Vergangenheit. Das Leben ist Spiel und Ernst zugleich. Ist | |
einsam, tragisch, fröhlich und vor allem endlich. | |
Tatsächlich müsste Martinez im Laufe des Abends weder Caldéron noch | |
Shakespeare zitieren, die Aktionen und Interaktionen mit ihrer | |
zerbrechlichen und verdammt zähen Mutter sind beredt genug. Zärtlich und | |
witzig, nachdenklich und melancholisch tauschen Mutter und Tochter | |
Erinnerungen aus, werfen einen Blick in die Vergangenheit – und Martinez | |
auch mal einen vorsichtigen in Richtung Zukunft. | |
Ihre Mutter hat sie mit Kopfhörern und Musik versorgt, als sie von ihrer | |
Angst erzählt und ihrer Sorge über das Fortschreiten der Demenz. Früher, | |
als sie Kind war, habe sie sich immer eine andere Mutter gewünscht, jetzt | |
wünsche sie sich, dass ihre Mutter wieder wäre wie früher. | |
## Die Asche ihres Vaters | |
Faszinierend, wie die ehemalige Forced-Entertainment-Performerin die | |
Gratwanderung zwischen Privatem und Allgemeingültigem schafft, wie ihre | |
Mutter zum zärtlichen Beispiel wird für das Altern an sich, wie sie dieser | |
eine sanft renitente Präsenz zugesteht, wie sie über sie und mit ihr | |
erzählt, sie zu Witzen und zum Tanzen (zu Gloria Gaynors „I Will Survive“) | |
anstiftet und ihr zum Schluss versöhnliche, sozialtherapeutische und – | |
beide wissen es ganz genau – nur vermeintlich authentische Worte in den | |
Mund legt. | |
Da findet kein Verrat, kein Ausstellen, kein Betroffenheitstheater statt. | |
Vielmehr verlinkt sich in „A Family Outing – 20 Years on“ tiefste | |
Menschlichkeit mit der professionellen Unterhaltungskunst einer | |
Kabarettistin. Diese schräge Fusion macht den Abend zu einem berührenden, | |
traurigen, lustigen und klugen Spiel über Lebenswahrheit und | |
Bühnenwirklichkeit, über Mütter und Töchter, über Tod und Vergänglichkeit… | |
begleitet von dem Lachen darüber, wie die Asche des Vaters im Staubsauger | |
landete. Was Ursula Martinez in dieser sehr besonderen Theaterstunde | |
gelingt, ist nichts weniger als die Verwandlung des Lebens in ein | |
Bühnenereignis. | |
23 Aug 2019 | |
## AUTOREN | |
Katrin Ullmann | |
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