# taz.de -- Genderdebatte im Theater: Vorhang auf für das F-Wort | |
> Sind Männer im Theater noch ein Thema? Eine Ausstellung dokumentiert den | |
> Aufstieg der Regie-Frauen – und beim Theatertreffen gab es eine | |
> Feminismusdiskussion. | |
Bild: Frauenquote im Theater – oder Theater um die Frauenquote? | |
BERLIN taz | Als Felicia Zeller vor ein paar Monaten von der | |
Theater-heute-Redaktion um ein Statement zum Thema "Frauen im Theater" | |
gebeten wurde, kehrte die Autorin und Dramatikerin das Sujet nonchalant um | |
und schrieb ein paar lustige Zeilen darüber, ob "Männer im Theater" noch | |
ein Thema seien: "Nun, ich denke, ja." Ein cleverer Schachzug, um den | |
Aberwitz und die Gefahr einer solchen (Selbst-)Marginalisierung der Hälfte | |
der Menschheit vorzuführen. Wäre es nicht wahrhaft subversiv gewesen, das | |
Rahmenprogramm des Theatertreffens unter das Motto "Regie-Männer. Eine | |
bedrohte Art" zu stellen? | |
Tatsächlich hatte sich die Theatertreffenleiterin Iris Laufenberg einen | |
interessanten Zeitpunkt ausgesucht, um mit einer prominent besetzten | |
Diskussion im Haus der Berliner Festspiele noch einmal das Feminismus-Fass | |
aufzumachen. In diesem Jahr hat nämlich erstmals die Zahl der zum | |
Theatertreffen geladenen Regisseurinnen die Zehnprozenthürde übersprungen: | |
Karin Beiers kölnkritisches Jelinek-Oratorium "Das Werk/Im Bus/Ein Sturz", | |
Karin Henkels "Kirschgarten" und die Performance "Testament" vom Kollektiv | |
She She Pop brachten es zusammen auf einen Frauenanteil von 30 Prozent. | |
## 26 frauenfreie Jahrgänge | |
Zum historischen Vergleich: Zwischen 1964 und 2010 wurden 472 | |
Inszenierungen zum Theatertreffen eingeladen, davon waren aber gerade mal | |
34 von Frauen. Die erste kam 1980, nach 26 frauenfreien Jahrgängen. | |
Dass es auch schon vor 1980 jede Menge interessanter, eigensinniger und | |
erfolgreicher Regisseurinnen gab, zeigt Christina Haberliks Ausstellung | |
"Regie-Frauen. Ein Männerberuf in Frauenhand", die im Rahmen des | |
Theatertreffens in der Berliner Akademie der Künste eröffnet wurde. Die | |
Münchner Theaterwissenschaftlerin und Journalistin hat über 50 | |
Theatermacherinnen in vier Generationen sortiert - Pionierinnen, | |
Durchsetzerinnen, Angekommene und Regisseurinnen von morgen -, sie | |
interviewt und für den lesenswerten Katalog porträtiert. | |
Viele Namen sind prominent - unter den "Pionierinnen" etwa Helene Weigel, | |
Ruth Berghaus, Ariane Mnouchkine -, aber wer kennt die langjährige | |
Koblenzer Intendantin Annegret Ritzel oder die früh verstorbene Maria | |
Reinhardt? Ihre Geschichte(n) machen klar, was für ein strammer Wind ihnen | |
in der deutschen Männertheaterwelt entgegenblies. Ritzel berichtet über | |
ihre Ausbildung an der Münchner Otto Falckenberg Schule Mitte der 60er | |
Jahre: "August Everding war zu meinem Glück damals der Leiter der Schule | |
[…] ich durfte dann mit drei Männern als einziges Mädchen bei ihm | |
hospitieren. Aber er hat mir damals schon gesagt: ,Weibliche Regisseure | |
gibt es nicht - das werden Sie nie schaffen.' " | |
Auffällig ist, wie sich die Probleme gleichen, mit denen Regiefrauen bis in | |
die Gegenwart zu kämpfen haben: der (Nicht-)Vereinbarkeit von Familie und | |
Künstlertum, das als Berufung gilt und deshalb totalen Einsatz fordert, | |
sowie der selbstbewussten Ermächtigung zur Künstlerin. Sätze wie "Es kommt | |
nicht auf mich an, sondern auf das, was auf der Bühne zu sehen ist …" hat | |
Haberlik von ansonsten hochreflektierten Interviewpartnerinnen häufig | |
gehört. Dazu meint die - erfreulich sichtbare - Regisseurin und Intendantin | |
des Zürcher Neumarkt Theaters, Barbara Weber: "Frauen machen sehr gute | |
Inszenierungen an den großen Häusern und managen große Ensembles und | |
Apparate, aber tendenziell sind es verschwindend wenige Frauen. […] Ich | |
finde ja, dass das gesamte Theater auf männliche Machtführung ausgerichtet | |
ist. Manchmal muss man einfach sagen: ,so und so ist es' - aber diese | |
offene Suche, zu der Frauen eher tendieren, ist manchmal total | |
kontraproduktiv." | |
## Lieber Gutes tun | |
Tatsächlich sind Frauen in Theaterführungspositionen mit 15 Prozent | |
Intendantinnen immer noch stark unterrepräsentiert, und obwohl mindestens | |
ebenso viele Frauen wie Männer die Regieklassen der Schauspielschulen | |
absolvieren, sind insgesamt immer noch nur 29 Prozent aller Regieführenden | |
weiblich. Offenbar bleiben sie oft in den Hintergrund- und | |
Zuarbeiterinnenjobs hängen: In Dramaturgien und auf Regieassistenzstellen | |
sind Frauen mit 48,5 Prozent und 50,6 Prozent vertreten. Auch dass Anfang | |
April beim "Heimspiel"-Symposium der Bundeskulturstiftung in Köln mehr | |
Frauen als Männer im Publikum über Partizipationskunst, über die | |
künstlerische Arbeit mit Migranten, Jugendlichen oder anderen "echten | |
Menschen" nachdachten, passt ins Bild von der Theaterfrau, die - zugespitzt | |
- lieber netzwerkt und Gutes tut, als das eigene Künstlerego zu streicheln. | |
Gründe genug, um die Frage "Feminismus - heute ein Unwort?" noch mal in die | |
Runde zu werfen. Die von Thea Dorn moderierte Diskussion im Haus der | |
Berliner Festspiele machte sich mit Humor drüber her. Die Philosophin, | |
Schriftstellerin und Dramatikerin Marlene Streeruwitz, Jahrgang 1950, | |
stellte sich so liebenswürdig wie unironisch als Old-School-"Feministin mit | |
zusammengebissenen Zähnen und offenem Messer in der Tasche" vor und konnte | |
schon anhand ihrer eigenen Arbeitsbiografie belegen, dass die | |
Erwartungshaltungen alles andere als gleichberechtigt sind: "Ich werde | |
immer nur zu Feminismus angefragt, dabei bin ich auch in ganz anderen | |
Wissensbereichen kompetent." | |
Auch Kathrin Röggla (Jahrgang 1971), deren böser Bühnentext über die an der | |
medialen Ausschlachtung des Falls Natascha Kampusch "Beteiligten" zum | |
Theatertreffen geladen war, und Stefanie Lohaus (Jahrgang 1978), die als | |
Mitbegründerin der Zeitschrift Missy Magazine feministische Theorie mit | |
Popkultur zusammendenkt, mochten sich vom Feminismus noch nicht | |
verabschieden. Sie zuckten entsprechend zusammen, als Karin Beier (Jahrgang | |
1965), die fünfte im Bunde, die These aufstellte, dass Männer weniger | |
Multitasking-Talent als Frauen hätten und sich deshalb weniger Zeit für | |
ihre Familien nähmen - "das ist anscheinend ein biologischer Unterschied". | |
## Gier statt Feminismus | |
Überhaupt übernahm Beier ein bisschen die Kristina-Schröder-Rolle. Die | |
Intendantin, die dafür berühmt ist, dass sie jeden Tag um 16.30 Uhr das | |
Theater verlässt, um Zeit mit ihrer Tochter zu verbringen, vermied | |
beharrlich das F-Wort, erinnerte sich an das katholische Mädchengymnasium, | |
in dem sie zu einer "gewissen Gier" erzogen worden sei - und dazu, sich das | |
zu nehmen, was sie haben wolle. Sie provozierte durch Ablehnung der Quote | |
am faktisch gleichgestellten Schauspiel Köln: "Nur künstlerische Kriterien | |
zählen." | |
Die Erzählung von der Einzelfrau, die sich einfach nimmt, was sie haben | |
will, ist symptomatisch. Weibliche Erfolgsgeschichten liegen allein in | |
jederfraus Verantwortung, so könnte das postfeministisch-neoliberale Credo | |
lauten. Die Kehrseite dieser Sichtweise ist, dass auch das Scheitern nur | |
individuelle Ursachen hat - zu wenig Härte, Mut, Talent -, vor allem aber, | |
dass strukturelle Veränderungen weniger dringlich erscheinen. Mit der | |
schönen Feststellung "Die Karin Beier ist halt eine taffe Frau, die auch | |
andere taffe Frauen anerkennen kann. Auch wenn sie sich nicht Feministin | |
nennt" holte Streeruwitz die Kölner Überfliegerin aber doch wieder ins | |
gemeinsame Boot. Gleich darauf schlug sie listig den Bogen zu genau jener | |
Deregulierung der Gesellschaft durch Wirtschaft und Politik, die Männer und | |
Frauen gleichermaßen auf sich selbst zurückwerfe: "Das Thema find ich | |
interessanter!" | |
Vergangenen Sommer beschrieb der über 80-jährige ehemalige FAZ-Kulturchef | |
und Frankfurter Schauspielintendant Günther Rühle, ein echter Patriarch, | |
die Konsequenz aus Mauerfall und dem "Einbruch" der Frauen ins Theater: | |
"Seit zwanzig Jahren schwimmen und suchen wir, und ich hoffe, dass wir | |
jetzt so langsam wieder Boden unter den Füßen bekommen." Tatsächlich: Das | |
Theater hat sich verändert, seit immer mehr Frauen inszenieren, | |
konzipieren, kuratieren, Theater leiten und das weder besser noch | |
schlechter können als die Männer. Aber Rühle hat den entscheidenden Punkt | |
klar erkannt: Das autoritäre deutsche Stadttheater, diese abgeschottete | |
Hochkulturzone, ist auf dem Rückzug. Manche mögen das bedauern. Für andere | |
ist das Schwimmen und Suchen ein großes Abenteuer, dem man gar nicht Raum | |
genug geben kann. | |
"Regie-Frauen. Ein Männerberuf in Frauenhand", bis 12. Juni in der Akademie | |
der Künste in Berlin | |
Das gleichnamige Buch von Christina Haberlink, erschienen bei Henschel, | |
kostet 26, 90 Euro | |
24 May 2011 | |
## AUTOREN | |
Eva Behrendt | |
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Intendantin | |
Buchpreis | |
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