| # taz.de -- Roman von Marlene Streeruwitz: Eitelkeit und Gartenlaube | |
| > Entwertete Autorinnen, verschwindende Bedeutung: In ihrem neuen Roman | |
| > gewährt die Autorin wortgewandte Einblicke in den Literaturbetrieb. | |
| Bild: Die Autorin bei der Verleihung des Bremer Literaturpreises 2012 | |
| Man darf gespannt sein. Die Longlist des nächsten Deutschen Buchpreises ist | |
| noch nicht raus; veröffentlicht wird sie am 13. August, eingereicht wurden | |
| 167 Romane, darunter bestimmt auch dieser hier – Marlene Streeruwitz’ | |
| bereits neunter oder zehnter Roman „Nachkommen.“. | |
| Ja, richtig, mit Punkt hinter dem Titel. Streeruwitz bleibt ihrem Hang zum | |
| Manierismus treu – was sich besonders in den kurzen Sätzen bemerkbar macht, | |
| die manchmal. Die sehr oft dort Punkte setzen, wo keine hingehören. | |
| Aber das macht nichts. Im Gegenteil: Vielleicht hat Streeruwitz’ | |
| Stakkatostil noch nie so gut funktioniert wie hier. Denn „Nachkommen.“ ist | |
| ein Wortrausch, eine Erzählung, die sehr, sehr nah an ihrer Hauptfigur, der | |
| jungen Buchpreisnominierten und Halbwaisen Nelia Fehn heranrückt; fast | |
| könnte man von einem stream of consciousness à la Schlusskapitel aus | |
| „Ulysses“ reden, wenn die Erzählhaltung nicht doch immer beim „sie“, a… | |
| beim personalen Erzählen bliebe. | |
| Erzählt wird die Leidensgeschichte einer 20-jährigen Jungautorin, die vom | |
| Begräbnis ihres Großvaters und Vormunds in Wien zur Buchpreisgala nach | |
| Frankfurt am Main jettet. Wir erleben die folgenden drei, vier Tage hautnah | |
| und umfangreich mit. Geboten wird der Einblick in den Literaturbetrieb, der | |
| sich hier so schwachbrüstig wie eh feiert und in seiner Eitelkeit selbst | |
| entlarvt. Aber auch die Realität drumherum wird durchlebt und | |
| durchreflektiert. | |
| ## Fußkrank in Athen | |
| Darüber hinaus finden noch zwei Romane in diesem hier Platz: der | |
| Familienroman der jungen Frau, die vor Kurzem ihre Mutter, ihrerseits | |
| Schriftstellerin, verloren hat, und jetzt ihrem lange abwesend gebliebenen | |
| Vater, einem Frankfurter Professor für französische Literatur, | |
| wiederbegegnet. Sowie die Mischung aus Liebesgeschichte und Politroman, der | |
| im Griechenland der Finanzkrise spielt und in Marios seinen Protagonisten | |
| findet: Nelias Freund, der fußkrank in Athen auf sie wartet. | |
| Auserzählt wird dieser Roman – oder sein Prequel – jedoch in einem | |
| gesonderten Buch, nämlich in „Die Reise einer jungen Anarchistin in | |
| Griechenland“ von – Nelia Fehn. Dieser Roman erscheint tatsächlich im | |
| Herbst, und es würde nicht wundern, wenn er ebenfalls für den Buchpreis | |
| nominiert werden würde. | |
| Geschrieben hat den natürlich die Streeruwitz selbst; es bleibt zu hoffen, | |
| dass ihr Verlag, S. Fischer, das angelegte Spiel mit den Identitäten | |
| konsequent mitmacht und darauf verzichtet, allzu deutlich auf den Klarnamen | |
| hinzuweisen. Vielleicht hat sich Streeruwitz für dieses zweite Buch ja | |
| sogar für einen anderen Stil entschieden. | |
| Aber bleiben wir bei „Nachkommen.“. Das, was am meisten an diesem Roman | |
| zieht, ist die Schilderung des Literaturbetriebs. Diese Schilderung trifft | |
| ziemlich genau: der Handel mit und die Entwertung von AutorInnen; die mit | |
| dem physischen Bedeutungsträger Buch verschwindende Bedeutung, überhaupt | |
| das Verschwinden und Verschwindenmachen von Literatur – das alles ist aufs | |
| Trefflichste erzählt. | |
| ## Gartenlaube und Kunsttheater | |
| Und auch, welche psychischen Folgen das alles haben kann. Im Kleinen wie im | |
| Großen: „Es war schon o.k., dass die Ereignisse nicht den Glanz bekamen, | |
| den man sich versprochen hatte. Das schien ja das Prinzip der Welt zu | |
| sein.“ | |
| Und nein, dieser Roman ist keine Satire, und „überzeichnet“ ist hier auch | |
| nichts. Das ist alles schon ganz wirklich genauso trist, wie es nacherzählt | |
| wird. Streeruwitz muss es wissen, sie stand selbst einmal auf der Shortlist | |
| (2011) und musste erleben, wie die bieder-genügsame Literatur unter sich | |
| blieb: „Vielleicht ging es überhaupt nur um ihre Mutter. | |
| Bei der hatte man ja auch ihre Kritik kritisiert, und diese Oldies wollten | |
| wieder Gartenlaube. Gartenlaube als neueste Literatur einer Zustimmung. […] | |
| Und die Leute an der Bar nach dem Preis. Die wollten nur die Vorführung. | |
| Die wollten Kunsttheater und keine Kunst.“ | |
| Dass die Figur der Nelia Fehn insgesamt etwas nachsichtig gezeichnet ist – | |
| geschenkt. Manchmal scheint sie zu sensibel für die kalte Welt, wie sie | |
| sich besonders in Mainhattan repräsentiert; dann wieder erscheint sie zu | |
| wütend. Aber das kann Geschmackssache sein. | |
| ## Die Preisverleihung als Literaturkränzchen | |
| Die Figur des Vaters, die Familienkonstellation, das Renitent-Politische, | |
| die Finanzkrise, das heutige Deutschland und das heutige Österreich – alles | |
| nachvollziehbar, alles gut getroffen, auch die feministischen und | |
| veganistischen Ansichten kann man nachvollziehen, auch wenn man anderer | |
| Meinung ist. | |
| Nelia Fehns verstorbene Mutter, Dora Fehn, war selbst eine | |
| Schriftstellerin, wie es heißt. Streeruwitz schreibt sich hier ihre eigene | |
| Genealogie; nur gewissermaßen rückwärts. | |
| Sie versetzt sich in eine schreibende Tochter, die sie selbst vielleicht | |
| gar nicht hat; während die schreibende Mutter längst unter der Erde ist. | |
| Diese Mutterfigur lässt oft an Gisela Elsner denken – die wiederum einen | |
| Filme machenden Sohn hinterlassen hat. Dessen Filme allerdings streitbar | |
| sind. | |
| Filme will Nelia Fehn aber keine machen. Obwohl die Literatur ja am Ende | |
| sei, wie sie während der minutiös und unerbittlich geschilderten | |
| Preisverleihung konstatiert: „Alles andere war wichtiger geworden. Und es | |
| ging um den Abstieg. […] Das hier. Das war alles schon lange vorbei. Das | |
| war eine Erinnerungsveranstaltung. Das war ein Literaturkränzchen.“ | |
| Die Hoffnung auf Besserung mitsamt Erfüllung liefert dieses Buch allerdings | |
| gleich mit. Vielleicht ja auch das kommende. | |
| 28 Jul 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Rene Hamann | |
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