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# taz.de -- Männlichkeit und Therapie: Das Geld reiten
> Marlene Streeruwitz beschreibt in ihrem Roman "Kreuzungen" einen in
> seiner Männlichkeit angegriffenen Mann - den Typus, der immer alles im
> Griff zu haben meint.
Bild: Wenn Männlichkeit ins Wanken gerät: Verstörungen aufspüren.
"Die Lilli" ist böse. Max, der Milliardär, leidet unter ihr. Lilli ist
seine Frau. Sie zerstört die Familie. Die Familie, die Halt gab, während
Max Geld verdiente. Die beiden Töchter, die nicht wachsen dürfen, weil sie
dann Frauen werden und ihre Unschuld verlieren. Die Geliebte, die sich nun
von ihm abwendet, seinen "kleinen Mann" nicht mehr in sich lässt. Über sie
sinniert der reiche Mann, während er sich von einer kindlichen Asiatin
reiten lässt, mit dem Rücken zu ihm, damit er sie nicht sehen muss.
Max ist allein. Einzig die Therapeutin steht ihm bei. "Die Dr. Erlacher war
seine Komplizin. Sie wusste das nicht. Sie konnte es nicht wissen, dass sie
dazu da war, dass er ihr gegenübersitzen konnte und alles in sich
vereinigen, während er ihr Leid klagte. Die Wut seiner Frau und das
Wachstum seiner Kinder."
In Marlene Streeruwitz neuem Roman "Kreuzungen." (wie immer bei dieser
Autorin mit Punkt im Titel) formt sich Max, aus dessen Perspektive
geschrieben wird, die Welt nach seinem Gusto; selbst die an sich banale
Feststellung, dass der Patient in seiner Therapeutin den besten Freund
erblickt, wird bei ihm zu einer Schöpfung - er hat sich eine Komplizin
geschaffen. Die, wie alle Frauen, nichts von ihrem Glück wissen kann. Max
lässt die Leute tun, was sie tun.
Und ist dabei in Sorge um seine Balance. Einzig das Geld garantiert ihm
Freiheit. "Man musste auf dem das Geld so sitzen wie auf einem Pferd." Er
reitet das Geld, und das Geld reitet ihn. Max flieht aus Wien, geht nach
Venedig, Zürich, London.
Er begegnet obskuren Künstlern, lässt sich ausnutzen (solange er die
Situation beherrscht), versucht mithilfe einer Heiratsvermittlerin eine
neue Familie zu gründen (um die alte zu ersetzen), spielt mit dem Gedanken,
Künstler zu werden, und wähnt sich von Konkurrenten verfolgt. Schließlich
findet er das Glück in einer "Schokobombe".
Streeruwitz zeichnet in ihrem Roman über die Geldjockeys den männlichen
Neid auf die Frauen nach, dem sie mit der Gestaltung ihrer Mans World zu
begegnen versuchen. Damit "die Lilli" ihm erklärbar bleibt, vermutet er
eine Affäre mit dem Scheidungsanwalt. Frauen machen ihn wütend. "Dieses
glattmatte Lächeln.
Diese Frauen saßen bei Chanterelles und lächelten auf ihre kleinen
Salätchen hinunter. Als hätten sie ein Geheimnis." Vor diesem Mann aber
können die Frauen nichts verbergen. Max wähnt alles in seiner Hand, die
Welt sieht er von sich am Zügel gelenkt. Zugleich allerdings ist er ein
Gehetzter.
Marlene Steeruwitz bedient sich bei der Wiedergabe dieser Weltsicht einer
abgehackten Sprache, die auf Überflüssiges verzichtet, verzerrt bleibt, die
Gedankensprünge imitiert und unvollständig ist: "Die Finger konnten alles.
Die griffen da hinein und weideten sich. Die feuchte Glätte. Dieses
Strotzen der Schleimhäute. Die Hitze, in die die Nägel zu krallen."Das ist
verstörend und selten sogar ein bisschen manieristisch.
Doch trotz dieser Sprache liest sich das Buch leicht weg, der Plot könnte
auch einer Schnitzler-Novelle entliehen sein. Allerdings bleibt die
Verstörung nachhaltig. Der in seiner Männlichkeit angegriffene Mann, der
seine Welt zu heilen sucht, indem er sie verklärt, ist ebenso wenig eine
Identifikationsfigur wie die Leute um ihn herum.
Streeruwitz weigert sich angesichts einer all ihre Mitglieder aufs Äußerste
bedrohenden Gesellschaft im Kapitalismus, irgendwelche positiv besetzten
Gegenfiguren anzubieten. Durch die Invektiven des Max wird seine Gattin,
die sein Spiel mitspielt, nicht besser, die junge englische Adlige, die ihm
die Heiratsvermittlerin andient, wird nicht sympathisch, weil sie Max
ablehnt.
Die Lebenswege, die sich hier kreuzen, führen zu keiner moralischen
Besserung der Figuren, Streeruwitz bietet keinen Weg zum Heil an. Vielmehr
sind die Leserin und der Leser durch die Exaktheit der Beschreibungen in
einer Weise abgestoßen, die - vielleicht - bei ihnen den Wunsch nach einem
Ausweg aus dieser Hölle befördert. Vielleicht. Streeruwitz nämlich will
keineswegs eine Lesehaltung erzwingen.
Der Verlag teilte mit, dass das ebenfalls für dieses Jahr angekündigte Buch
"Wie bleibe ich Feministin: Die Streeruwitz-Methode", in dem Strömungen
"vom Postfeminismus bis zum Eva-Prinzip" abhandelt werden sollten,
"zugunsten" dieses Romans verschoben worden sei. Kann denn, fragt man sich,
ein Roman einen aktuellen Essay ersetzen?
Die Stärke des Romans, dieser nicht dichotomisch argumentierenden
Literatur, ist ihre Überzeitlichkeit. Die Männerfigur aus "Kreuzungen." hat
lange existiert und wird, leider, noch lange existieren. Literatur, gerade
wenn sie mit einem solchen Können und Gestaltungswillen verfasst wird,
vermag diese Figuren genauer zu analysieren, als es Soziologie oder
Genderwissenschaften können.
Andererseits wäre diese Literatur ohne den Blick auf die neuere Forschung
nicht möglich. Dieses Zusammenspiel zeitigt ein Ergebnis, das ein Essay
nicht hätte erbringen können.
17 Oct 2008
## AUTOREN
Jörg Sundermeier
## TAGS
Gegenwartsliteratur
Österreich
Buchpreis
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