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# taz.de -- Als Korrespondent in Syrien: Katz und Maus in Damaskus
> Seit Beginn der Unruhen wird unserem Korrespondenten in Syrien die Arbeit
> nahezu unmöglich gemacht. Recherchen sind nur undercover möglich.
Bild: Mit Steinen gegen Panzer: Szene aus einem heimlich aufgenommenen Video be…
DAMASKUS taz | Um als ausländischer Journalist in Syrien arbeiten zu
können, bedarf es einer offiziellen Akkreditierung, die einen Monat vor
geplantem Reisedatum bei der syrischen Botschaft in Berlin eingereicht
werden muss. Vor Erhalt der Arbeitserlaubnis, die normalerweise ein
einmonatiges Einfachvisum beinhaltet, muss man seine Recherchethemen den
zuständigen Botschaftsmitarbeitern schildern.
Auch schon vor Beginn der aktuellen Unruhen, bevor, wie jetzt, keine
Journalisten mehr offiziell ins Land gelassen wurden, waren die Themen,
über die man als Ausländer schreiben durfte, äußerst beschränkt.
Gerne gesehen sind Berichte über die große Geschichte des Landes, die
historischen Bauten, die islamische Tradition, kulinarische Spezialitäten,
die nationale Einheit trotz konfessioneller Vielfalt und über den
Präsidenten als gerechten, visionären Modernisierer des Landes.
In einem einstündigen Gespräch klopfen die Mitarbeiter der Botschaft vor
Erteilung der Arbeitserlaubnis dazu noch die Haltung des Pressevertreters
zum Regime ab - natürlich darf man hier nichts Kritisches vorbringen,
sondern muss beweisen, dass man sich bereits im Vorfeld umfassend
informiert hat und den Anweisungen der Mitarbeiter des
Informationsministeriums in Syrien Folge leisten wird.
Kaum in Syrien angekommen, hat sich der Journalist bei der staatlichen
Stelle zu melden, seine lokalen Kontaktdaten einzureichen und steht ab
diesem Moment unter Beobachtung - und bekommt "Hilfestellung" beim
Recherchieren der im Vorfeld der Reise abgesegneten Themen. Deshalb arbeite
ich mit Unterbrechungen seit 2005 "undercover" in Syrien.
## Ein Geheimdienstarbeiter auf 153 Bürger
In einem Land, in dem auf 153 Bürger ein Geheimdienstmitarbeiter kommt,
birgt das natürlich ein Risiko, ermöglicht aber bessere
Recherchemöglichkeiten. Vor allem dann, wenn man, wie aktuell, mit
Oppositionellen, Aktivisten, Menschenrechtlern, Studenten und ganz normalen
Menschen auf der Straße sprechen muss.
Die Mitarbeiter der offiziellen Stellen nach Kommentaren zu befragen, was
ich als illegal arbeitender Journalist natürlich nicht darf, würde sich
ähnlich wie in allen anderen Ländern gestalten, in denen eine
Einheitspartei herrscht: "Vermeldung von höchster Stelle …", fertig, aus,
keine Diskussion. Sollte ich offizielle Kommentare brauchen, so finde ich
sie auf der Website der staatlichen Nachrichtenagentur ohnehin.
Bislang hat mich in Syrien anscheinend noch niemand gegoogelt, sollte dies
einmal passieren, so würde zumindest meine Tätigkeit als
Nahostkorrespondent bekannt. Und dass ich im besetzten Palästina war, somit
nie mehr nach Syrien, offiziell immer noch im Krieg mit Israel, hätte
einreisen dürfen.
Aus Syrien habe ich daher bislang immer unter Pseudonym berichtet.
Nachdem bereits im Februar auf einer Facebook-Seite der erste "Tag des
Zorns" in Syrien ausgerufen wurde, an dem sich unbeachtet von den deutschen
Medien zwanzig Menschen in Damaskus zum Protest versammelten und verprügelt
wurden, beantragte ich bei der Botschaft mein sechs Monate gültiges
Touristenvisum.
Die Reisevorbereitungen traf ich noch geflissentlicher als bei
vorhergehenden Reisen: keine Visitenkarten, keine Adressbücher, keinen
Presseausweis oder Aufnahmegeräte im Gepäck. Dafür Reiseführer, Lehrbücher
über arabische Kalligrafie, abgenutzte Arabisch-Vokabelhefte.
Das Foto einer arabischen Freundin im Portemonnaie, meiner angeblichen
Verlobten, für die ich vor der Hochzeit und der Konvertierung Arabisch
lernen müsse, um den Koran lesen zu können. So mein Cover, das ich auf
Hocharabisch vortragen und erläutern kann.
Ein kurzer Gefängnisaufenthalt, eine Ausweisung, wie es einem Team der
Nachrichtenagentur Reuters im März widerfuhr, wahrscheinlich auch eine
unbefristete Einreisesperre wäre die Konsequenz gewesen, falls sie mich
erwischen würden.
Körperlich misshandelt wurden bislang nur syrische Journalisten,
verschwanden und wurden für Jahre inhaftiert. Syrien (Stand 2010) steht auf
Platz 165 von 175 Ländern in der von Reporter ohne Grenzen
zusammengestellten Liste der Pressefreiheit, rund 300 Blogger, Journalisten
und Autoren sitzen derzeit in Haft, weil sie zu frei geschrieben haben oder
ausländischen Medien unter ihrem echten Namen Interviews gegeben haben.
Ich befragte die erfahrenen taz-Kollegen nach vertrauenswürdigen Kontakten
zu alten Regimegegnern, vereinbarte mit meiner Partnerin in Berlin, mich
täglich zweimal zu melden, dabei einen bestimmten Sprachcode zu nutzen, den
ich im Falle einer Inhaftierung zu ändern hätte.
Falls ich gezwungen werden sollte, mich daheim zu melden, um den Verdacht
eines Verschwindens auszuschließen. Eine Liste mit Notfallnummern, von der
taz über Reporter ohne Grenzen bis zur Hotline des Auswärtigen Amtes und
der Deutschen Botschaft in Syrien und meiner Blutgruppe hinterlegte ich
ebenfalls, wie bei allen Reisen in Krisengebiete.
## Kontakte zu Ausländern unerwünscht
Als ich bei meinem Freund in Damaskus, der bereits oft illegal für
ausländische NGOs zu kritischen Themen gearbeitet hat, ankam, teilte er mir
mit, dass er alle Kontakte zu Ausländern, auch zu mir, abbrechen müsse.
Tage zuvor war er schon per Mail sehr wortkarg geworden. Zu groß war seine
Angst vor Repressalien, vor allem, da der Geheimdienst regelmäßig bei ihm
klopfte, um herauszufinden, ob und welche Kontakte zu Ausländern er hatte.
Arbeit mit ausländischen Institutionen oder Journalisten kann im
schlimmsten Fall als Spionage gedeutet werden, die mit jahrelangen
Haftstrafen oder sogar mit Hinrichtung verfolgt wird.
Ein anderer Freund, ein Regisseur mit Berufsverbot, nahm mich auf. Im Hotel
hätte ich meine Passkopie abgeben müssen, dafür ist meine Angst vor Google
zu groß. Ich hatte Glück: In meinem neuen Haus gingen viele engagierte
Studenten ein und aus. Sie nahmen mich mit zu einem der ersten friedlichen
kleinen Sit-ins an der Damaszener Uni.
Erzählten mir alles, was sie in den Studentenwohnheimen und auf dem Campus
mit dem Geheimdienst erlebten und baten mich, so vielen Europäern wie
möglich von ihrer Lebenssituation zu erzählen.
Wir hatten eine stillschweigende Übereinkunft, dass sie mich nicht fragten,
warum ich so viele Fragen stellte. Sie wollten offiziell nicht wissen, dass
ich Journalist bin, sie vertrauten mir aber, da ich bei einem
vertrauenswürdigen Freund, der mehrfach wegen seiner kritischen Tätigkeit
im Gefängnis war, wohnen durfte.
## Frauenrechtsarbeit scheint unbehelligt
##
Bei einem Bekannten, der offiziell eine Frauenrechtsorganisation betreibt,
sich inoffiziell aber seit Langem für die juristische Achtung und
Durchsetzung der Menschenrechte einsetzt, war ich erstaunt über die
Einladung in sein Büro.
"Die Geheimdienste haben gerade anderes zu tun, als meine kleine
Frauenrechtsarbeit hier zu observieren", teilte er mir mit und traf sich
fortan öfter mit mir, vermittelte mir auch Gesprächspartner. Da er seit
Monaten keine Kritik an seiner Arbeit durch die Behörden mehr erfuhr,
fühlte er sich sicher und unbeobachtet, im Gegensatz zu anderen
Oppositionellen, die nicht einmal am Telefon auf Englisch oder Deutsch mit
mir sprechen wollten.
Denn den alten Aktivisten ist nach Jahrzehnten der Repressalien und
Gefängnisaufenthalte klar: Wenn sie sich als dem Regime bekannte Kritiker
auch nur kurz und an vermeintlich sicheren Orten mit Ausländern treffen, so
werden sie im Anschluss zumindest Besuch vom Geheimdienst bekommen, der
dann alles über den Gesprächsinhalt und den Ausländer wissen will.
In der aktuellen Lage in Syrien gäbe es, da die staatlichen Medien
konsequent von einer ausländischen Verschwörung und einer gezielten
Medienkampagne gegen die Regierung sprechen, keinen Grund, sie nicht sofort
wieder zu inhaftieren.
*Der Autor schreibt unter Pseudonym
13 May 2011
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