# taz.de -- Oppositionelle berichten aus Syrien: Eine Insel des Horrors | |
> Aus dem Land geflohene Menschenrechtler und Journalisten berichten in | |
> Kairo von der brutalen Verfolgung der Opposition. Aufgeben werde sie | |
> nicht. | |
Bild: Ihr Bruder wurde in Syrien ermordet: Frau an der libanesischen Grenze. | |
KAIRO taz | Werdet demokratisch oder eure Zeit ist abgelaufen, lautet die | |
neue Botschaft des US-Präsidenten Barack Obama an die Regierungen der | |
arabischen Welt. Um das zu unterstreichen, hat die US-Regierung am Mittwoch | |
Sanktionen gegen den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad und sechs | |
weitere hohe syrische Offizielle verhängt. Deren Guthaben in den USA soll | |
eingefroren werden. | |
US-Amerikaner, die mit diesen Personen Geschäfte machen, machen sich fortan | |
strafbar. Als Grund gab Obama "Angriffe auf Demonstranten, die Verhaftung | |
und Verfolgung politischer Aktivisten und die Unterdrückung demokratischen | |
Wandels" an, für die diese Gruppe verantwortlich gemacht wird. | |
Einer der syrischen Aktivisten, der nach Kairo geflohene Menschenrechtler | |
Ammar al-Kurabi, sieht die neuen US-Sanktionen zwar skeptisch, begrüßt sie | |
aber als politisches Signal. "Es zeigt, dass der Spielraum des syrischen | |
Systems enger wird und dass es isoliert ist", meint er. | |
"Die internationale Gemeinschaft könnte aber mehr unternehmen", sagt er. | |
Beispielsweise könnte der UN-Menschenrechtsrat aktiver werden. Einer | |
Mission dieses Rates sei die Einreise nach Syrien verweigert worden, und | |
bisher gebe es keine offizielle Reaktion darauf, klagt er. Bei 1.000 Toten | |
und 10.000 Verhafteten würde es auch langsam Zeit, dass sich der | |
Internationale Gerichtshof, ähnlich wie mit Gaddafi, nun auch mit Baschar | |
al-Assad befasst, fordert er. | |
Eine internationale militärische Intervention in Syrien lehnt der | |
Menschenrechtler strikt ab, das wolle weder das Volk noch die Opposition. | |
Al-Kurabi ist sich sicher, dass die Proteste weitergehen werden. "Es fließt | |
Blut, es gibt Tote, es wird gefoltert, die Menschen flüchten, sie werden | |
entführt. Es gibt tausende Verletzte, zerstörte Häuser, gestohlenes | |
Vermögen. Und trotz alledem macht das Volk weiter und fordert den Sturz des | |
Regimes", sagt er. | |
## Syrische Opposition in Kairo | |
Kairo und das revolutionäre Ägypten entwickelt sich langsam zu einem | |
Zentrum der syrischen Regimegegner. Einer der neu in Kairo angekommen Syrer | |
ist Ayad Eissa. Der Journalist hat vor zwei Wochen seinen Job bei einer | |
staatlichen syrischen Tageszeitung gekündigt, seine Mitgliedschaft im | |
syrischen Journalistenverband niedergelegt und ist in den Libanon | |
geflüchtet, wo er sich aber nicht sicher fühlte. | |
"Syrien hat sich in eine Insel des Horrors verwandelt. Er ist eine einzige | |
große Kaserne in allen Provinzen. Vor allem aber in Damaskus und Aleppo", | |
beschreibt er die Lage. Die Sicherheitskräfte besetzten jede Gasse. "Sie | |
gehen gegen jeden vor, der eine vom Regime abweichende Meinung hat. Sie | |
setzten Todesschwadronen ein, die keiner kennt", erzählt er. Besonders | |
dramatisch sei die Lage in der südsyrischen Stadt Deraa, wo gerade dieses | |
Woche ein Massengrab mit 28 Leichen entdeckt wurde. Das Militär hat sich | |
inzwischen aus der Stadt zurückgezogen, hat den Ort aber weiträumig | |
umstellt. "Was in Deraa passiert, das ist ein echtes Massaker. Wenn die | |
Belagerung einmal vorbei ist, wird die Welt Unglaubliches entdecken." | |
Der Propaganda des Regimes, dass die Sicherheitskräfte gegen bewaffnete | |
Banden oder gegen radikale Islamisten kämpften, glaubt, laut Eissa, keiner | |
in Syrien. Aber es gebe viele Syrer, die nicht das Regime unterstützen, | |
aber Angst vor einer unbekannten Zukunft hätten. Das beträfe vor allem die | |
religiösen Minderheiten, unter denen das Regime Angst vor einem | |
Bürgerkrieg, ähnlich wie im Irak, geschürt habe. | |
"Die Demonstranten antworten bei jedem ihrer Proteste mit dem Ruf nach | |
nationaler Einheit, um dieses Spiel zu entlarven", sagt er. Eissa hegt | |
keinerlei Zweifel, dass die Proteste weitergehen werden. "Wenn es das | |
Regime tatsächlich schaffen sollte, sie zu unterdrücken, dann wird das nur | |
eine begrenzte Zeit klappen", glaubt er. Danach würden die Proteste wieder | |
zunehmen, "denn das Regime hat Blut an den Händen und damit jegliche | |
Glaubwürdigkeit verloren". | |
19 May 2011 | |
## AUTOREN | |
Karim Gawhary | |
Karim El-Gawhary | |
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