| # taz.de -- Kretschmanns Regierungserklärung: Gründerzeitpathos in Stuttgart | |
| > Nachhaltiges Wirtschaften und eine andere Bildungspolitik: Der grüne | |
| > Ministerpräsident Winfried Kretschmann will bürgernah regieren. | |
| Bild: Während Kretschmanns Regierungserklärung litt einer besonders: Stefan M… | |
| STUTTGART taz | Knapp zwei Wochen nach seiner Wahl zum ersten grünen | |
| Ministerpräsidenten hat Winfried Kretschmann eine neue Gründerzeit | |
| ausgerufen. Mit den Bereichen Nachhaltigkeit, Energie- und | |
| Rohstoffeffizienz sowie Umweltverträglichkeit ließe sich "eine neue und | |
| tragfähige industrielle Basis für die Wirtschaft in Baden-Württemberg" | |
| schaffen. | |
| "Diese neue Regierungskoalition steht für eine neue Gründerzeit - als Weg, | |
| als Navigationsspur zu den Arbeitsplätzen der kommenden Jahrzehnte", sagte | |
| der baden-württembergische Landeschef am Mittwoch in seiner ersten | |
| Regierungserklärung. | |
| Die Erwartungen an den ersten grünen Ministerpräsidenten eines Landes sind | |
| hoch, und so hat Kretschmann seiner Antrittsrede mit diesen Worten Pathos | |
| verliehen. Gleichzeitig betonte er, wie er den historischen | |
| Regierungswechsel verstanden wissen möchte: "Baden-Württemberg steht keine | |
| politische Revolution bevor, sondern eine ökologisch-soziale Erneuerung." | |
| Inhaltlich begann Kretschmann mit dem gerade für Baden-Württemberg | |
| wichtigen Thema Automobil. Bereits vor seinem Amtsantritt hatte Kretschmann | |
| damit die erste große Debatte ausgelöst, weil er in einem Interview gesagt | |
| hatte, dass er sich für die Zukunft weniger Autos auf den Straßen wünschen | |
| würde. | |
| Dieses Mal setzte er im Jahre 1880 an. Nur die Weitsichtigen hätten damals | |
| geglaubt, dass eine Droschke auch ohne Pferde fahren könne. "Die Droschke | |
| wird, 100 Jahre nach den Pferden, nun Schritt für Schritt auch auf das | |
| Benzin verzichten - und diese Veränderung wird wohl auf längere Sicht kaum | |
| weniger einschneidend sein." | |
| ## Verzahnung von Ökonomie und Ökologie | |
| Kretschmann versuchte mit seinen Beispielen zu zeigen, dass eine Verzahnung | |
| von Ökonomie und Ökologie möglich ist. Dass eine Erneuerung Fantasie | |
| braucht, seine Zukunftsvisionen aber auch keine Spinnereien sind. Er | |
| betonte vor allem die Wirtschaftsstärke, die technischen Innovationen und | |
| die mit ihnen verbundenen großen Unternehmensnamen in Baden-Württemberg: | |
| "Wo, wenn nicht hier in unserem wirtschaftsstarken Land, können wir zeigen, | |
| dass Ökologie und Ökonomie nicht nur keine Gegensätze sein dürfen, sondern | |
| auch keine sein müssen, sondern sich gegenseitig befruchten." | |
| Das Leitmotiv Gründerzeit griff Kretschmann auch beim zweiten zentralen | |
| Thema auf: der Bildungspolitik. Die Koalition wolle "Innovationen in Form | |
| von Modellschulen zulassen, Gründergeist befördern und die Ideen in den | |
| Kommunen vor Ort, bei Lehrern, Lehrerinnen und Elternschaft nicht weiter | |
| behindern, sondern unterstützen und fördern." | |
| Insgesamt sprach Kretschmann knapp 75 Minuten, über weite Strecken ohne | |
| besondere rhetorische Brillanz. Laute Zwischenrufe aus dem Oppositionslager | |
| gab es vor allem beim Thema Finanzen. An dieser Stelle kritisierte | |
| Kretschmann seine Vorgängerregierungen. "Nach 58 Jahren CDU-Regierung steht | |
| das Land vor einem gewaltigen Schuldenberg", sagte er und warf der CDU vor, | |
| Lasten bewusst verschoben zu haben, um mit einer vordergründigen Optik des | |
| Haushalts gut dazustehen. Er verteidigte das Vorhaben seiner Regierung, die | |
| Grunderwerbssteuer von 3,5 auf 5 Prozent anzuheben und mit diesem Geld die | |
| Kinderbetreuung und frühkindliche Bildung zu fördern. | |
| ## Extrem hohes Quorum absenken | |
| Im Schlussteil seiner Rede griff der Ministerpräsident den die Ankündigung | |
| eines neuen Politikstils auf. Die Regierung werde mit den Bürgern in Dialog | |
| treten, zuhören und erst dann entscheiden. Damit hat Kretschmann abermals | |
| hohe Erwartungen geweckt. Der Regierungsstil und die stärkere Einbindung | |
| der Bevölkerung werden wohl die zentralen Punkte sein, an denen sich | |
| Grün-Rot die nächsten Jahre messen lassen muss. | |
| Im Zusammenhang mit mehr Bürgerbeteiligung wandte sich Kretschmann auch | |
| direkt an die CDU-Abgeordneten. Für Volksabstimmungen will Grün-Rot das in | |
| Baden-Württemberg extrem hohe Quorum absenken, was auch für das | |
| Dauerstreitthema Stuttgart 21 wesentlich wäre. Das geht aber nur mit einer | |
| Zweidrittelmehrheit des Parlaments, also mit CDU-Stimmen. "Mein | |
| eindringlicher Appell an Sie lautet: Überlegen Sie sich Ihre Haltung | |
| wirklich noch mal in aller Ruhe. Es geht nicht darum, uns den Gefallen zu | |
| tun. Tun Sie den Gefallen den Menschen in unserem Land." | |
| Die meisten Christdemokraten verzogen bei diesen Sätzen keine Miene, ein | |
| Abgeordneter lachte, andere schüttelten den Kopf. Am Donnerstag haben sie | |
| die Chance, bei der Aussprache im Landtag zu antworten. | |
| 25 May 2011 | |
| ## AUTOREN | |
| Nadine Michel | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Stuttgart 21 | |
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