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# taz.de -- Proteste in Spanien: Die Zelte gehen, die Wut bleibt
> In Madrid und den meisten anderen Städten wollen die Protestierenden ihre
> Zeltlager zum Wochenende auflösen. Aber ihr Terminkalender bleibt prall
> gefüllt.
Bild: Vom Camp in die Stadtteile: Protest in Madrid.
MADRID taz | Die müden Gesichter entspannen sich. Die erhobenen Arme mit
bewegten Händen, der stumme, aus der Gebärdensprache entliehene Applaus,
weicht echtem Beifall. Es ist geschafft. Mittwoch früh 0.45 Uhr: Die offene
Vollversammlung des Protestcamps an der Puerta del Sol im Herzen Madrids
hat einen Konsens erreicht. "Am kommenden Sonntag, den 12. Juni, wird das
Camp aufgelöst", beschließen über tausend Teilnehmer.
Nach vier Wochen wird die Bewegung 15M - so benannt nach dem 15. Mai, als
erstmals weit über 100.000 Menschen in ganz Spanien unter dem Motto "Echte
Demokratie Jetzt!" gegen die wirtschaftliche und politische Krise auf die
Straße gingen - ihre Arbeit in die Stadtteile verlegen. Das Camp wird im
Rahmen einer "festlichen Großkundgebung" aufgelöst.
Es waren fast vier Stunden Debatten über Zweifel, Nuancierungen und offene
Widersprüche. Immer wieder wurde abgestimmt. Doch der einstimmige Konsens,
der in Sol und auch bei den Stadtteilversammlungen und Arbeitsgruppen zur
Norm gehört, wollte sich einfach nicht einstellen. "Wir können nicht gehen.
Sol ist ein Symbol", lautete das Hauptargument derer, die weitercampieren
wollen. "Ohne dass wir mindestens ein konkretes Ziel erreicht haben, werden
wir nicht gehen." Sie schlugen vor die Einstellung aller Verfahren gegen
die Festgenommenen am Tag der ersten Großdemonstration in Madrid sowie der
versuchten Räumung des Camps in Barcelona zu fordern.
Immer wieder kreuzten zwei oder drei ihre Arme zu einem X. Totaler
Widerspruch, erneute Debatte. "Das kann nicht angehen. Einer kann tausend
blockieren. Warum haben wir uns dann eigentlich über die Franco-Diktatur
aufgeregt", murmelt ein Rentner, der in der hinteren Reihe steht.
## Ein buntes Häufchen bleibt
Seit Tagen arbeitete die Kommission der Versammlungsmoderatoren an einem
neuen Verfahren, um genau dies zu verhindern. Bisher ohne Erfolg.
Schließlich kam dann doch der goldene Wurf: "Die GenossInnen, die weiterhin
campieren wollen, legen auf der morgigen Vollversammlung einen Vorschlag
vor, wie das aussehen wird. Wird keiner dieser Vorschläge von der
Versammlung angenommen und jemand bleibt weiter hier, hat er nicht die
Unterstützung der Versammlung", lautet der zweite Teil des Konsenses.
Diejenigen, die bleiben wollen sind ein buntes Häufchen aus Linksradikalen,
Idealisten, Obdachlosen und einer Gruppe von Jugendlichen, die aus einem
Heim ausgebüxt sind.
In vielen anderen Städten nahmen die Vollversammlungen einen ähnlichen
ermüdenden Lauf. Jetzt steht fest: Diese Woche werden viele weitere Camps
aufgelöst. Überall sollen, wie in Madrid oder Barcelona auch, Infopunkte
auf den Plätzen bestehen bleiben. Große Vollversammlungen werden auch
weiterhin auf den bisher besetzten Plätzen stattfinden.
Der weitere Terminkalender ist bereits voll. Am Mittwoch Abend geht es vor
das spanische Parlament gegen das Gesetz, mit dem die Branchentarifverträge
zugunsten von in jedem Betrieb ausgehandelten Einigungen aufgehoben werden
sollen. Am Samstag ziehen die "Empörten" im ganzen Land vor die Rathäuser,
wenn dort die neuen Gemeinderäte ihren Platz einnehmen. Das Motto wird wie
bereits vor der Wahl vom 22. Mai sein: "Sie repräsentieren uns nicht."
Für den 19. Juni mobilisiert "Echte Demokratie Jetzt!" und die
Stadtteilversammlungen zu Großdemonstrationen in ganz Spanien gegen den
Eurostabilitätspakt. Und am 15. Oktober soll ein weiterer Protesttag
ausgerufen werden. "Dieses Mal europaweit oder gar weltweit", erklärt Fabio
Gándara, einer der Mitbegründer von "Echte Demokratie Jetzt!", am Rande der
Vollversammlung in Madrid.
8 Jun 2011
## AUTOREN
Reiner Wandler
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