# taz.de -- Jugendproteste in Spanien: Marsch aufs Parlament | |
> In Madrid und über weiteren 80 Städten Spaniens zogen Protestmärsche | |
> durch das Land. Sie kämpfen gegen soziale Härten und Maßgaben der | |
> Europäischen Union. | |
Bild: Tausende demonstrieren in Madrid. | |
MADRID taz | Applaus, Umarmungen und immer wieder der Sprechchor: "Ihre | |
Krise bezahlen wir nicht!" Das war das Bild, das sich bot, als am Sonntag | |
kurz nach Mittag am Südtor der Madrider Altstadt, der Puerta de Toledo, | |
zwei der insgesamt sechs Märsche der Demonstration gegen den | |
Euro-Stabilitätspakt aufeinanderstießen. | |
Zehntausend kamen aus den westlichen Vororten und Dörfern der nahegelegenen | |
Berge. Ein andere unüberschaubare Menschenmenge kam aus den Schlafstädten | |
im Süden. Die ersten Protestierenden waren dort um neun Uhr früh | |
losgezogen. Sie hatten bereits 10 bis 15 Kilometer zurückgelegt, als sie in | |
der Altstadt ankamen. Überall auf dem Ring rund um die Altstadt | |
wiederholten sich diese Szenen. Aus über 30 Dörfern, Schlafstädten und | |
Stadtteilen marschierten die Menschen. Ihr Ziel: das von einem starken | |
Polizeiaufgebot abgeriegelte Parlamentsgebäude. | |
Zu den Märschen hatten neben ¡Echte Demokratie Jetzt! die sogenannten | |
Volksversammlungen aufgerufen, die in Folge der einmonatigen Besetzung der | |
Puerta del Sol, dem Platz im Herzen Madrids, in Stadtteilen, Vororten und | |
Dörfern entstanden sind. | |
Plakate zeigten auch Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Scheren in beiden | |
Händen. In Madrid mobilisierten außerdem Arbeiterkomitees, die nach dem | |
Generalstreik vergangenen September von linken Gewerkschaftskritikern in | |
einigen Arbeitervierteln ins Leben gerufen wurden. | |
Verschiedene linke Parteien, Gruppierungen sowie der Madrider | |
Regionalverband der größten spanischen Gewerkschaft CCOO hatten ihren | |
Mitgliedern empfohlen, sich den Demonstrationen anzuschließen. Embleme oder | |
gar Fahnen von Parteien und Gewerkschaften waren dennoch keine zu sehen. | |
## 40 Prozent der Jugend arbeitslos | |
Die Empörten verstehen sich als Bewegung von Bürgern. "Sie vertreten uns | |
nicht", heißt eine ihrer Parolen, die an Parlamentarier, Parteien und | |
Verbände gerichtet sind. | |
In einem ausführlichen Dokument kritisiert ¡Echte Demokratie jetzt! den | |
Euro-Stabilitätspakt, der am Mittwoch in Brüssel verabschiedet werden wird. | |
Er sei für die sozialen Einschnitte, die Gehaltskürzungen im öffentlichen | |
Dienst und die Einschnitte bei den Renten verantwortlich, die in Europa | |
angewandt werden. Dies sei "eine Politik zugunsten der Banken und | |
Finanzmärkte", die sich negativ auf die wirtschaftliche Entwicklung in | |
Ländern wie Spanien auswirke. | |
In Spanien sind knapp fünf Millionen Menschen ohne Arbeit. Das sind 20 | |
Prozent der aktiven Bevölkerung. Bei jungen Menschen ist die Quote mehr als | |
doppelt so hoch. "Jugend ohne Zukunft", war auf vielen Plakaten und | |
Transparenten zu lesen. | |
Es war ein festlicher, bunter Umzug, zu dem Junge, Alte, Studenten, | |
Rentner, Leute mit und ohne Arbeit und ganze Familien gekommen waren. | |
Anwohner jubelten den vorbeiziehenden Demonstranten zu. Je nach Umfrage | |
identifizieren sich 60 bis 80 Prozent der spanischen Bevölkerung mit den | |
Protesten der Empörten. | |
"Zehntausende, hunderttausende? Wir haben längst den Überblick verloren", | |
erklärt Jon Aguirre, einer der Gründer von ¡Echte Demokratie Jetzt!, der | |
den Protest gegen die Sozialkürzungen, Arbeitslosigkeit und jetzt den | |
Euro-Stabilitätspakt von Facebook auf die Straße gebracht hat. | |
"Vielleicht bringen wir es auf eine Million", meint er noch, bevor es | |
Richtung Parlament weitergeht, wo die Züge aus dem Süden und Westen auf die | |
aus dem Norden und Osten treffen sollen. Madrid war nur der Auftakt für | |
einen langen Sonntag. In über 80 Städten Spaniens waren für den Nachmittag | |
und Abend ebenfalls Protestmärsche angekündigt. In den meisten EU-Ländern | |
und selbst in den USA und Lateinamerika kam es zu Solidaritätsaktionen. | |
19 Jun 2011 | |
## AUTOREN | |
Reiner Wandler | |
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