# taz.de -- Netzaktivist über die Freiheit im Netz: "Wir haben eine Schlacht z… | |
> Der Internetaktivist Richard Stallman über die Bedrohung durch | |
> Unternehmen und Regierungen, die die Freiheit im Netz einschränken | |
> wollen. | |
Bild: Richard Stallman währen eines Interviews: "Große Unternehmen und die Co… | |
Richard Stallman ist nicht der Typ, der für ein Interview Haltung annimmt: | |
Die Schuhe hat er ausgezogen, so viele Knöpfe seines roten Hemdes geöffnet, | |
dass sein Bauch rauslugt, wenn er sich auf dem Stuhl zurücklehnt. Doch nur | |
ein oberflächlicher Betrachter könnte ihn einfach als Kauz, als Nerd abtun: | |
Der 58-Jährige ist nicht nur einer der ersten Hacker aus den USA, sondern | |
ein radikaler Vordenker der Freien-Software-Bewegung. Anfang der Achtziger | |
kündigte er einen gut dotierten Job, um ein freies Betriebssystem zu | |
entwickeln, und war maßgeblich an der Entwicklung des Betriebssystems | |
GNU/Linux beteiligt. Bis heute reist Stallman um die Welt und wirbt für die | |
Befreiung der Computernutzer aus den Fesseln der großen Software- und | |
Computerkonzerne. Ein Handy hat er nicht, weil er sich nicht ausspähen | |
lassen will. Sein Laptop ist ein besonderes Modell, das komplett mit freier | |
Software läuft. Coca-Cola? Boykottiert er - wegen deren Umgang mit | |
Arbeitern in Kolumbien. Bei einem Vortrag in der Berliner Akademie der | |
Wissenschaften am Vorabend wurde er vom Publikum frenetisch gefeiert. Doch | |
seine radikalen Thesen, dem selbst Streaming-Dienste wie Spotify nicht | |
geheuer sind, schmecken nicht jedem, insbesondere nicht der IT-Industrie. | |
taz: Herr Stallman, Sie sind Pionier und Veteran der | |
Freien-Software-Bewegung. Wie sehen Sie die Entwicklung im Netz? Wird dort | |
derzeit alles offener oder geschlossener, regulierter? | |
Richard Stallman: Diese Begriffe sind mir zu vage. Offen und geschlossen - | |
das sind Wörter, die ich nur im Zusammenhang mit Türen oder Fenstern | |
benutze. Mir geht es um die Freiheit von Internetnutzern. Das Internet | |
bietet uns Möglichkeiten, unsere Kommunikation und Zusammenarbeit zu | |
befreien. Aber es kann sich auch in ein System der Überwachung und Zensur | |
verwandeln, das das stalinistische Regime geliebt hätte. Und das ist es, | |
was Regierungen in diesen Tagen versuchen. | |
Wie genau äußert sich das? | |
Wir sehen, dass in Spanien Internetzensur eingeführt wird. Wir sehen, dass | |
in Frankreich, Großbritannien und Neuseeland Gesetze verabschiedet werden, | |
die die UN als einen Angriff auf die Menschenrechte verdammt haben. Wir | |
sehen, dass in den USA Internetzensur vorgeschlagen wurde. Und wir sehen, | |
dass Nicolas Sarkozy vorschlägt, etwas zu verhängen, das er die | |
"Zivilisierung im Internet" nennt. Das ist Zivilisierung im Stil der | |
Sowjetunion! Wo die Kommunikation der Menschen untereinander scharf | |
kontrolliert wird. Die typische Entschuldigung dafür ist der Krieg gegen | |
Sharing, also der Versuch, die Menschen davon abzuhalten, das Internet zu | |
nutzen, um Kopien von veröffentlichten Werken zu teilen. Natürlich sind die | |
Gesetze, die das versuchen, böse. | |
Warum? | |
Zum einen, weil ihre Methoden grausam sind. Sharing im Internet ist einfach | |
und nützlich. Nur grausame Maßnahmen werden die Menschen davon abhalten, es | |
zu tun. Und zweitens: Diese Gesetze sind böse, weil ihr Zweck böse ist. | |
Sharing ist eine gute Sache. Statt nach Wegen zu suchen, wie man die Leute | |
davon abhalten kann, sollten Regierungen es legalisieren. Es sind einzig | |
private Interessen, die das stoppen wollen, nämlich die | |
Urheberrechtsindustrie. Große Unternehmen und die Copyright-Industrie haben | |
sich widerlicher Verbrechen schuldig gemacht. Zum Beispiel der Errichtung | |
von tyrannischen Gesetzen. Oder der Klagen, in denen sie Teenager zu | |
hunderttausenden Dollar verklagt haben. Sie verdienen es, alles zu | |
verlieren. | |
Also wird alles immer schlimmer? | |
Im Internet definitiv. Und zwar weltweit. Wir haben eine Schlacht zu | |
schlagen, wenn wir kein Internet à la Sowjetunion aufgezwungen bekommen | |
wollen. | |
Derzeit berichten Medien jede Woche über "große Hacks", als zum Beispiel in | |
G-Mail-Konten eingebrochen wurde … | |
Lassen Sie uns das doch bitte nicht Hacks nennen. Das ist Cracking. | |
Einbruch in Sicherheitssysteme. Hacking ist spielerische Cleverness. In dem | |
Fall, den Sie ansprechen, scheint die chinesische Regierung in die Rechner | |
von Dissidenten eingebrochen zu sein, um ihre G-Mail-Accounts zu knacken. | |
Das ist eine tyrannische Regierung, die Dissidenten unterdrückt. | |
Kann man diesen Vorfall in Zusammenhang stellen mit den Anonymous-Attacken | |
und den Angriffen auf die Sony-Webseite? Stehen wir am Beginn einer Ära, in | |
der Cracken und Hacken politische Instrumente werden? | |
Was Anonymous getan hat, das sind Proteste. Die sind legitim. Und politisch | |
sind sie bereits. Aber behalten Sie im Hinterkopf, dass diese Ereignisse | |
nur Teil einer größeren politischen Situation sind. Da gibt es den größeren | |
Zusammenhang, dass Sony die Computer ihrer Kunden sabotiert. Dafür sollte | |
ein Sony-Geschäftsführer ins Gefängnis wandern. Aber unsere Gesetze sind zu | |
geschäftsfreundlich - weil unsere Regierungen der Wirtschaft dienen. | |
Sie kritisieren, dass Sony per Update unterbinden will, dass seine Kunden | |
weiter GNU/Linux auf ihren Playstation-3-Konsolen laufen lassen. Ist es | |
eine adäquate Gegenmaßnahme, Sony Networks zu hacken? | |
Hängt ganz davon ab, was Sie genau meinen. Können Sie konkreter werden? | |
Ich meine, dass im April 77 Millionen Kundendaten verloren gegangen sind. | |
Ach so, wo sie die Server von Sony gecrackt haben und Daten abgezogen | |
haben. Wenn sie diese Daten jemals nutzen würden, um den Kunden zu schaden, | |
dann wäre das sehr falsch. Aber zusätzlich gab es ja auch die Proteste von | |
Anonymous auf den Webseiten von Sony. | |
Wie ist es mit anderen Anonymous-Aktionen? Befürworten Sie generell, was | |
sie tun? | |
Bei diesen Aktionen versucht ein Haufen Leute, die Webseite zu blockieren, | |
indem sie sie, so schnell sie können, aufrufen. So wie wenn eine | |
Menschenmenge zu einem Laden kommt und gleichzeitig versucht, durch die Tür | |
zu kommen. Das kann etwas nervig sein, aber man muss in Bezug dazu setzen, | |
was für schlimme Dinge dieser Laden getan hat. Die meisten Aktionen, von | |
denen ich gehört habe, befürworte ich mehr oder weniger. Aber ich kenne | |
nicht alle. In jedem Fall muss man sich ansehen, welches Unrecht die getan | |
haben, gegen die protestiert wird. Und auf dieser Basis darüber urteilen. | |
Wie sehen Sie deren Proteste im Zusammenhang mit Wikileaks? | |
Ich habe das erste Mal von den Anonymous-Protesten gehört, als sie | |
anfingen, die mächtigen Institutionen anzugreifen, die an den | |
Distributed-denial-of-service-Attacken [Verweigerung von Diensten, Anm. d. | |
R.] gegen Wikileaks teilgenommen haben. Wikileaks hat etwas Heroisches | |
getan - hat uns die Verbrechen bis hin zu Mord gezeigt, die die | |
US-Regierung begangen hat. Daraufhin hat die US-Regierung beschlossen, | |
Wikileaks außergerichtlich zu brechen, sie zu stoppen. Indem man | |
verschiedene Internet-Institutionen unter Druck setzte, Wikileaks ohne | |
bestimmten Grund keine Dienstleistungen mehr zur Verfügung zu stellen. | |
Amazon verweigerte Wikileaks die Nutzung ihrer Server. | |
Registrierungsstellen cancelten die Domains von Wikileaks. | |
Zahlungsunternehmen wie PayPal, Mastercard und Visa weigerten sich, | |
Wikileaks Zahlungen zur Verfügung zu stellen. In diesem Kontext denke ich, | |
dass Protest ziemlich gerechtfertigt ist. | |
Man könnte auch zwischen Ihnen und Julian Assange Parallelen ziehen: Sie | |
reisten beide kreuz und quer durch die Welt, um die digitale Freiheit zu | |
predigen. Mögen Sie den Vergleich? | |
Da gibt es schon eine Parallele. Solange man die Verbindung zu Frauen außen | |
vor lässt - da gibt es keine Ähnlichkeiten. | |
Und worin bestehen die Ähnlichkeiten? | |
Assange hat sich einer Sache verschrieben und arbeitet immer weiter daran. | |
Er wird sich von nichts aufhalten lassen. | |
Sie kritisieren ja so ziemlich alle populäre Software und Hardware, von | |
Windows bis Apple, von Amazon bis Spotify. Sind Sie manchmal frustriert, | |
dass die Mehrheit der Nutzer trotzdem weiter diese Geräte und Software | |
nutzt? | |
Mir gefällt es natürlich nicht, dass wir die Nutzer noch nicht befreit | |
haben. Aber wir machen Fortschritte. Es ist jetzt möglich, einen Computer | |
zu nutzen, in dem die gesamte austauschfähige Software frei ist. In meinem | |
Rechner ist sogar das Bios, die Firmware, die das Betriebssystem startet, | |
frei. Darum habe ich mich für dieses Modell entschieden. | |
Das Problem ist doch, dass das noch immer ziemlich unbequem ist. | |
Das stimmt. Die Prioritäten der Leute sind falsch, weil sie schlecht | |
ausgebildet sind. Vor allem, weil die Medien ihnen ständig erzählen, dass | |
sie Bequemlichkeit haben können - aber nur selten über die Konsequenzen | |
sprechen, die die Nutzung von proprietärer Software hat. Über Freiheiten | |
nachdenken bedeutet, dass man gegen den Strom schwimmt. | |
Bei den Revolutionen in Ägypten und Tunesien haben Dienste wie Twitter und | |
Facebook Ruhm dafür erhalten, bei der Revolution digital mitgeholfen zu | |
haben. Ärgert Sie das? | |
Ich habe nichts gegen Twitter. Und ich kann erkennen, wie Facebook für gute | |
Zwecke eingesetzt werden kann. Auf der anderen Seite begeht man dort | |
ernsthaften Missbrauch. Ich würde sagen: Wenn du eine Revolution | |
organisieren willst - dann okay, mach weiter, benutz Facebook! | |
4 Jul 2011 | |
## AUTOREN | |
Meike Laaff | |
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