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# taz.de -- Zizek und Assange in London: "Sie sind ein Terrorist"
> Für 30 Euro Eintritt: In London trafen sich die "zwei gefährlichsten
> Männer der Welt" - Wikileaks-Gründer Julian Assange und der Philosoph
> Slavoj Zizek.
Bild: Und dann werdet ihr alle geleakt: Julian Assange in London.
LONDON taz | Es ist eine Stimmung wie vor einem Popkonzert. Londoner stehen
ungeduldig in einer Schlange, die sich einmal um den ganzen Häuserblock
wickelt. Es liegt Neugierde in der Luft und auch eine unausgesprochene Form
von Nervosität.
Keiner von ihnen ist hier, um Musik zu hören. Dies ist die vielleicht
letzte Chance, Wikileaks-Gründer Julian Assange noch einmal live sprechen
zu hören, denn wenn alles schiefläuft, könnte er für lange Zeit hinter
Gittern verschwinden.
Der Austragungsort wurde angeblich zweimal geändert und nun in eine
plüschige Mehrzweckhalle tief im Londoner Osten verlegt. Im Saal, in dem
sonst Hochzeiten und Boxkämpfe stattfinden, leuchten die
Art-Déco-Verzierungen an den Wänden blau und der Samt der Bestuhlung
kaminrot.
Wochenlang ging diese Veranstaltung durch die Presse. Ihr voraus ging ein
paar Stunden zuvor ein privates Mittagessen zwischen einer Gruppe
Normalsterblicher und Assange. Delikat daran war vor allem der Fakt, dass
Assange diesen Lunch mit ihm als Stargast für mehrere tausend Euro auf Ebay
versteigert hatte, um seine Organisation zumindest ansatzweise von aktuen
Geldnöten zu befreien.
## Toben im Saal
Was erwarten sich Kulturwissenschaftler, politische Blogger, linksliberale
Rentner oder Kunststudenten für ihre 30 Euro von dem anschließenden
öffentlichen Gespräch? "Ich will die zwei gefährlichsten Männer des
Planeten zusammen sehen!", sagt einer. Assange im Gespräch mit dem
slowenischen Philosophen Zizek, dem "Elvis der Kulturtheorie".
Tatsächlich wird bereits nach der ersten Viertelstunde klar, dass die
Entscheidung, Zizek als Gesprächspartner einzuladen, der beste
Marketingcoup war, der Wikileaks überhaupt hätte passieren können. Seine
Hyperaktivität, in der jeder dritte Satz mit "Bullshit" endet, lässt sein
Lob für die Enthüllungsplattform noch viel kraftvoller dastehen.
"Sie sind ein Terrorist! Genauso, wie Ghandi auch einer war!" Toben im
Saal. Endlich haben die anwesenden Assange-Jünger jemanden vor sich, der
all ihren Zorn auf das herrschende System, auf Kapitalismus und Macht in
unterhaltsame Worte fassen kann wie ein intellektueller Alleinunterhalter.
Assange, gut frisiert und im Maßanzug, redet in den zwei Stunden vor allem
über die Rolle seiner Organisation, im Irakkrieg, während des arabischen
Frühlings oder über die lange angekündigten Enthüllungen über die "Bank of
America". Auch nutzt er die Bühne, um wiederholt dazu aufzurufen, das Netz
als großes Werkzeug für freie Information zu nutzen. Einmal lebt er
sichtbar auf, als er ein delikates Detail über die New York Times enthüllt.
"Wusstet ihr, dass die New York Times tausend Seiten der legendären
'Pentagon-Papiere' bereits einen Monat hatte, bevor der amerikanische
Informant Daniel Ellsberg sie der New York Times überhaupt erst gegeben
hat? Aufregend!"
## "Wikileaks bricht die Regeln des zivilen Ungehorsams"
Zizek, der in ausgebeultem T-Shirt mit Lenin-Aufdruck kam, gelingt es
dagegen, für das Publikum den wahren Mehrwert dieses Zusammentreffens zu
kreieren. "Verwechselt Julian und seine Gang nicht mit diesen bourgeoisen,
investigativen Höhenflug-Journalisten", warnt er das jubelnde Publikum.
"Wikileaks agiert nicht innerhalb der Regeln des zivilen Ungehorsams,
sondern sticht heraus, da es selbst die Regeln des zivilen Ungehorsams
bricht." Die Medien führten das Verhalten mächtiger Regierungen zwar vor,
doch an der wahren Wahrheit seien sie nie so konsequent und schmerzhaft
interessiert wie Wikileaks.
Wirkt Assange zurückgenommen und ruhig wie sein eigenes Denkmal, quasselt
sich Zizek, in England weit weniger bekannt als in Deutschland, ohne Punkt
und Komma durch die Politik- und Kulturgeschichte. Um die Wichtigkeit von
Wikileaks zu erklären, Donald Rumsfeld zu verulken oder vor legalisierter
Folter zu warnen, bedient er sich der Marx Brothers, der US-Hit-Serie "24",
Truffauds oder Kants.
Einen saftigen Seitenhieb in Richtung seines berühmten Gegenübers gibt es
schließlich auch noch, als Zizek auf den wegen Hochverrat in Haft sitzenden
US-Soldaten Bradley Manning zu sprechen kommt. Mannings mutige Handlungen
seien ein "ethisches Wunder". "Sie, Herr Assange, hatten Ihre Momente des
Ruhms, keine Frage. Doch dieser arme Bursche hat wahrhaftig etwas absolut
Außergewöhnliches getan. Ich will ihn nicht idealisieren, doch ein derart
normaler Bürger, der so etwas Großes tut, hat einen Nobelpreis verdient."
4 Jul 2011
## AUTOREN
Julia Grosse
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