# taz.de -- Kolumbianische Justiz wird terrorisiert: Risikoberuf Richter | |
> Morddrohungen und Attentate - die Ausübung des Richteramts in Kolumbien | |
> ist lebensbedrohlich. Auch unter dem neuen Präsidenten werden | |
> Justizangehörige ermordet. | |
Bild: Auch unter Juan Manuel Santos' Regierung verschwinden in Kolumbien Richte… | |
BOGOTA taz | Mit langen Schritten eilt María Jara Gutiérrez den langen Flur | |
entlang. Links und rechts von ihr halten drei, nein, vier Männer mühsam | |
Schritt mit der zielstrebigen Frau. Die hat es eilig in ihr Büro im | |
Justizkomplex Paloquemao im Zentrum Bogotás zu kommen. Dort arbeitet sie | |
seit sieben Monaten - seit ihrer Rückkehr aus Deutschland. | |
Rund um die Uhr sind die auffällig-unauffälligen Bodyguards präsent. Keinen | |
Schritt kann María Jara Gutiérrez in ihrem Heimatland allein machen. Große | |
Geländewagen mit getönten Scheiben verfolgen sie, es wurde versucht in ihre | |
Wohnung einzudringen, und zweimal sah sie sich von Unbekannten umringt, die | |
ihr und ihren Leibwächtern den Weg abschneiden wollten. "Das zweite Mal war | |
ich mit meinem Sohn in einem Einkaufszentrum, und in letzter Minuten wurden | |
wir von den Beamten in Sicherheit gebracht", erinnert sich die Richterin | |
und streicht sich eine dunkle Haarsträhne aus der Stirn. | |
Das war am 8. Juni 2010, einen Tag vor der Urteilsverkündigung in ihrem | |
bisher brisantesten Prozess. Monatelang hatte sich die Juristin durch die | |
45.000 Schriftstücke, durch 109 CDs mit Videos, Tonaufnahmen, Fotos und | |
Dokumenten gekämpft, um das Verschwinden von elf Zivilisten bei der | |
Erstürmung des Justizpalastes im November 1985 aufzuklären. | |
Der im Zentrum der kolumbianischen Hauptstadt liegende Palast war damals | |
von einem Kommando der Guerillaorganisation M-19 im Handstreich genommen | |
worden. Bei der folgenden Erstürmung kam es zu dutzenden von Toten und auch | |
zu den elf Verschwundenen aus der Gerichtskantine. Die gehen, so das Urteil | |
von María Jara Gutiérrez, auf das Konto von Alfonso Plazas Vega - ein | |
mittlerweile pensionierter Armeeoberst. | |
Den Tag nach der Urteilsverkündigung wird María Jara Gutiérrez nie | |
vergessen: Erst gingen zwei Todesanzeigen per Post ein - ihre eigenen -, | |
dann verkündete der damalige Präsident Álvaro Uribe Vélez zur besten | |
Sendezeit, dass er Schritte einleiten werde, um die Uniformierten künftig | |
vor dem Zugriff der Justiz zu schützen. Daraufhin fasste die Richterin den | |
Entschluss zu fliehen. | |
## Sieben ermordete Richter in einem Jahr | |
Dank der Unterstützung von Fasol, einer Hilfsorganisation für | |
kolumbianische Richter und Justizangestellte, verließ sie am 21. Juni ihr | |
Land in Richtung Deutschland. "Dort befinden sich unsere wichtigsten | |
Unterstützer", erklärt Blanca Lidia Abaya. Sie ist die Direktorin der 1990 | |
gegründeten Organisation, die vom Deutschen Richterbund und dem | |
katholischen Hilfswerk Misereor seit ihrer Gründung unterstützt wird. Fasol | |
holt Richter aus der Schusslinie, bringt sie innerhalb oder außerhalb | |
Kolumbiens ins Sicherheit, kümmert sich um die Familien von ermordeten | |
Richtern, Staatsanwälten und Justizmitarbeitern und hilft beim Neuanfang. | |
Sieben Morde an Richtern registrierte Fasol 2010. | |
María Jara Gutiérrez weiß nicht genau, wer hinter den Morddrohungen und den | |
Attentatsplänen gegen sie steckt. Aber sie weiß, dass sie ihre Arbeit | |
gewissenhaft gemacht hat und dass sie gerade deshalb fliehen musste. Ein | |
knappes halbes Jahr hat sie in Aachen gelebt. Dann musste sie zurück nach | |
Bogotá, um sich behandeln zu lassen. Nach den ersten Wochen in Sicherheit | |
hatten sich massive posttraumatische Depressionen eingestellt. Mit denen | |
kämpft sie bis heute. | |
Christoph Frank, der Vorsitzende des Deutschen Richterbunds, war zuletzt in | |
Februar in Kolumbien. Die Lage der Kollegen "ist unbefriedigend", sagt er, | |
"denn trotz aller positiven Meldungen seit dem Amtsantritt des neuen | |
Präsidenten Juan Manuel Santos gehen die Repressalien und Morde an | |
Justizangehörigen und Menschenrechtsaktivisten weiter." | |
15 Jul 2011 | |
## AUTOREN | |
Knut Henkel | |
## TAGS | |
Kolumbien | |
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