# taz.de -- Aus „Le Monde diplomatique“: Zwölf Jahre Chavismus in Venezuela | |
> Der Mainstream hält Hugo Chávez für einen autoritären Despoten, linke | |
> Gegenmedien fasziniert dessen „bolivarische Revolution“. Der Versuch | |
> einer realistischen Bilanz. | |
Bild: Ein großer Performer mit vielen Problemen: Hogo Chavez. | |
Auch zwölf Jahre nach dem Amtsantritt von Präsident Hugo Chávez fällt eine | |
Bewertung der „bolivarischen Revolution“ alles andere als leicht. Im | |
November war im venezolanischen Staatsfernsehen ein Auftritt des | |
Präsidenten zu sehen, der die widersprüchliche Lage gut illustriert. Wieder | |
einmal zeigte sich Chávez in Angriffslaune (1): Mit einer Trainingsjacke in | |
Nationalfarben bekleidet, attackierte er die bürgerliche Opposition und | |
bezeichnete sie – obwohl die Rechtskoalition MUD bei den Parlamentswahlen | |
im September 2010 nur 100.000 Stimmen weniger als die Regierungspartei PSUV | |
erhalten hatte (2) – als „Häuflein“. | |
Plötzlich jedoch änderte Chávez den Tonfall und wandte sich an den neben | |
ihm stehenden Vizepräsidenten Elias Jaua, der als bewegungsnaher junger | |
Intellektueller gilt. Chávez erkundigte sich nach der Telefonnummer des | |
Soziologen Javier Biardeau, der die Regierung am selben Tag in einem | |
Zeitungsinterview scharf kritisiert (3) und ihr vorgeworfen hatte, einen | |
„Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ aufbauen zu wollen, ohne sich über das | |
Desaster des alten Staatssozialismus Gedanken zu machen. Man reproduziere | |
vertikale Führungsmodelle, anstatt jene partizipative Demokratisierung | |
voranzutreiben, die doch eigentlich den Kern des bolivarischen Projekts | |
ausmachen sollte. Auf eben diese Aussage nahm Chávez nun Bezug: „Mir | |
gefällt die Kritik … Javier, ich ruf dich an.“ | |
Die Bilder waren irritierend: Sollte man sich über die paternalistische Art | |
des Präsidenten aufregen, der wieder mal mit einem Fingerzeig erklärte, | |
worüber im Land diskutiert werden kann und worüber nicht? Oder sollte man | |
positiv festhalten, dass er nach zwölf Jahren an der Macht | |
radikaldemokratische Kritik immer noch ernst nimmt? | |
In den internationalen Medien fallen die Bewertungen des Chavismus fast | |
immer eindeutig aus. Der Mainstream hält Venezuela für eine autoritäre | |
Despotie; die kleinen linken Gegenmedien glauben, einen Sozialismus neuen | |
Typs zu erkennen. Dass eine realistische Bilanz weniger eindeutig ausfällt, | |
darf kaum überraschen. | |
Bei den Erfolgen der Chávez-Regierung ist an erster Stelle auf die | |
Sozialreformen zu verweisen. Die Verarmung, die Venezuela in den 1990er | |
Jahren erfasst hatte, ist gestoppt. Der lateinamerikanischen | |
Wirtschaftskommission Cepal zufolge ist der Anteil der unterhalb der | |
Armutsgrenze lebenden Bevölkerung seit 1999 von 49 Prozent auf 28 Prozent | |
zurückgegangen. (4) Auch die Einkommensungleichheit hat stark abgenommen: | |
Den Cepal-Daten zufolge sank der Gini-Koeffizient (5) seit der | |
Jahrtausendwende von 0,50 auf 0,41, womit Venezuela heute den niedrigsten | |
Wert in Lateinamerika aufweist. | |
## Der verrückte Chávez und der vernünftige Lula | |
Zurückzuführen sind diese Veränderungen auf die Sozial- und | |
Beschäftigungspolitik der Chávez-Regierung, die hunderttausende feste | |
Beschäftigungsverhältnisse geschaffen und den Zugang zu öffentlichen | |
Gütern, Gesundheits- und Bildungswesen mithilfe von Sozialprogrammen | |
erleichtert hat. Kritiker weisen in diesem Zusammenhang zwar oft darauf | |
hin, dass es für ein Erdölland ein Leichtes sei, kostspielige | |
Sozialprogramme zu finanzieren. Doch genau das war Venezuela vor Chávez | |
nicht mehr gelungen: Die Öleinnahmen verblieben damals im Staatsunternehmen | |
PDVSA, das vom Management der politischen Kontrolle entzogen wurde. (6) | |
Zweitens hat die Chávez-Regierung nicht unerheblich dazu beigetragen, | |
internationale Kräfteverhältnisse zu verschieben. Als der venezolanische | |
Präsident Ende der 1990er Jahre von einer „multipolaren Weltordnung“ | |
sprach, hörte sich das weltfremd, fast ein wenig verrückt an. Zehn Jahre | |
später scheint die US-Vorherrschaft tatsächlich am Ende. Venezuela ist zwar | |
sicher nicht Ursache dieser Kräfteverschiebung, hat aber immerhin wichtige | |
Akzente gesetzt. Unmittelbar nach ihrem Amtsantritt startete die | |
Chávez-Regierung eine Initiative zur Neuformierung der Opec. | |
Deren Rückkehr zur Förderdisziplin trug 1999 bis 2000 wesentlich zum | |
Anstieg des Ölpreises von 10 auf knapp 30 US-Dollar bei. Im Gegenzug | |
eröffnete Venezuela lateinamerikanischen Staaten die Möglichkeit, Öl zu | |
Vorzugspreisen zu beziehen. So erhalten heute viele Länder im Rahmen des | |
Ölverbands Petrocaribe venezolanisches Öl deutlich unterhalb der | |
Weltmarktpreise. (7) | |
Als indirekter außenpolitischer Erfolg kann auch die Gründung der | |
südamerikanischen Staatengemeinschaft Unasur gelten. Venezuela schlug | |
bereits 2001 vor, die Freihandelspläne Washingtons mit einer eigenständigen | |
lateinamerikanischen Integration zu beantworten. Die 2004 gegründete Alba | |
blieb in der Folge zwar auf die links regierten Länder beschränkt. Doch die | |
Initiative wurde insofern aufgegriffen, als 2008 unter brasilianischer | |
Führung die Unasur entstand. Dass die USA hier nicht vertreten sind, trug | |
maßgeblich dazu bei, dass sich Unasur bei den Umsturzversuchen in Bolivien | |
und Ecuador 2008 und 2010 klar hinter die US-kritischen Präsidenten Evo | |
Morales und Rafael Correa stellte. | |
Die Darstellung westlicher Medien, die häufig zwischen dem „vernünftigen“ | |
Lula und dem „verrückten“ Hugo Chávez differenzieren, geht in diesem Sinne | |
an der Realität vorbei. In der Praxis herrschte zwischen den beiden | |
Präsidenten eher eine Art Arbeitsteilung: Lula machte sich die Räume, die | |
der polternde Antiimperialist Chávez eröffnete, systematisch zunutze. | |
Dabei steht allerdings außer Frage, dass die neue Autonomie Lateinamerikas | |
nicht nur positive Seiten hat: Die Anbiederung an das theokratische Regime | |
im Iran oder die Verbrüderung Chávez’ mit dem Gaddafi-Regime in Libyen kann | |
man nur als abstoßend bezeichnen. Doch das neue lateinamerikanische | |
Selbstbewusstsein besitzt eben auch eine wichtige sozialpolitische | |
Dimension. In den vergangenen Jahrzehnten zwangen die westlichen | |
Industriestaaten – vermittelt über den IWF – Lateinamerika immer wieder | |
eine neoliberale Politik auf. Ergebnis war eine neokoloniale Enteignung | |
durch die Privatisierung öffentlicher Güter, der durch die neue | |
lateinamerikanische Autonomie Grenzen gesetzt wurden. | |
Ein dritter Erfolg der Regierung Chávez ist die Verabschiedung der neuen | |
Verfassung. Die Konstitution von 1999 ist gleich in mehrerer Hinsicht | |
interessant: Anders als die EU-Verfassung wurde sie nicht von Technokraten | |
und hinter verschlossenen Türen entwickelt, sondern ging aus einer | |
gesellschaftlichen Debatte hervor. Zudem trägt sie klar progressive Züge: | |
Soziale Rechte, öffentliches Eigentum und plebiszitäre Elemente wurden | |
gestärkt, Venezuela als partizipative Demokratie definiert. Am wichtigsten | |
ist jedoch, dass der Verfassungsprozess neue Wege der Veränderung aufzeigt | |
und das Verhältnis von Kontinuität, Transformation und Bruch neu bestimmt | |
hat. In Venezuela – Ähnliches gilt für Ecuador und Bolivien – fand der | |
politische Wandel innerhalb bestehender Institutionen statt. Dennoch | |
bedeutete die Verabschiedung der neuen Verfassung einen Bruch, durch den | |
radikalere Veränderungen möglich geworden sind. | |
Viertens schließlich hat die Chávez-Regierung das neoliberale „Tina“-Credo | |
(“There is no alternative“) außer Kraft gesetzt. Ausgerechnet ein | |
traditionell ineffizienter, klientelistischer Staat Lateinamerikas hat den | |
Beweis erbracht, dass eine alternative Fiskal- und Sozialpolitik jederzeit | |
möglich wäre. Dieser Politikwechsel war allerdings alles andere als | |
einfach. Seit 2002 hat die rechte venezolanische Opposition immer wieder | |
versucht, die Regierung Chávez mit Gewalt zu stürzen. Offensichtlich ist | |
eine soziale Reformpolitik, anders als die europäischen Sozialdemokratien | |
behaupten, also durchaus möglich. Es erfordert nur eben große | |
Entschlossenheit, sie gegen herrschende Interessen durchzusetzen. | |
So weit die Erfolge: Doch was ist mit der Behauptung, in Venezuela entstehe | |
ein „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“? Die am häufigsten zu hörende | |
Kritik, dass nämlich die Chávez-Regierung unabhängige Medien verfolge, hat | |
mehr mit Propaganda als mit der Wirklichkeit zu tun. Anders als im | |
Nachbarland Kolumbien müssen oppositionelle Journalisten in Venezuela nicht | |
um ihr Leben fürchten, wenn sie sich mit dem Präsidenten anlegen. Und es | |
ist auch nicht wahr, dass die venezolanische Regierung die „Simpsons“ oder | |
ganze Oppositionssender verboten hätte. Die Situation ist auch hier | |
komplexer: Gegen die bürgerlichen Medienkonzerne, die über Jahre | |
unverhohlen zum Aufstand gegen den – immerhin demokratisch gewählten – | |
Präsidenten aufgerufen haben, hat die Regierung ein spezielles Mediengesetz | |
in Stellung gebracht. | |
Dieses Gesetz, das offiziell dazu dient, Kinder vor der Darstellung von | |
Gewalt und Sex zu schützen, lässt sich bestens im Kleinkrieg mit den Medien | |
instrumentalisieren. Dass der Fernsehsender Televen 2008 gezwungen wurde, | |
die „Simpsons“ aus dem Kinderprogramm zu nehmen (woraufhin der Sender die | |
pädagogisch wertvolle „Baywatch“-Serie ansetzte), war vermutlich der | |
Ignoranz einiger Bürokraten geschuldet. Eindeutig politisch motiviert war | |
hingegen das Urteil, mit dem ein Gericht in Caracas der Tageszeitung El | |
Nacional im Wahlkampf 2010 die Abbildung von Leichen verbot. Mehrere | |
Zeitungen hatten versucht, mit schockierenden Titelbildern auf die hohe | |
Kriminalitätsrate im Land hinzuweisen. | |
Außer Frage steht, dass die Chávez-Regierung die Privatmedien mit allen | |
Mitteln zu schwächen versucht. So wurde die Lizenz des Senders RCTV 2007 | |
nicht mehr verlängert, und die oppositionellen Privatmedien erhalten kaum | |
noch Werbeaufträge von der Regierung. Ob dadurch allerdings die Demokratie | |
untergraben wird, muss man sehr infrage stellen. Immerhin sind die großen | |
Medienkonzerne in der Regel alles andere als Garanten partizipativer | |
Meinungsbildung. Außerdem muss man berücksichtigen, dass in Venezuela dank | |
der neuen Mediengesetze seit 2000 mehr als 100 unabhängige Bürger- und | |
Community-Radios entstanden sind, die zu einer demokratischen | |
Meinungsäußerung sicher mehr beitragen als Kommerzsender. | |
Nicht diskutieren lässt sich hingegen darüber, dass die Entwicklung der | |
Kriminalität einen Misserfolg für die Regierung Chávez darstellt. Obwohl | |
die Sozialversorgung in den Armenviertel deutlich besser geworden ist, | |
gehört Caracas weiter zu den gefährlichsten Städten der Welt. Das hat zwar | |
auch mit den Aktivitäten kolumbianischer Narco-Paramilitärs (8) zu tun, die | |
ihren Wirkungsbereich in den letzten Jahren nach Venezuela ausgedehnt und | |
die organisierte Kriminalität dort massiv gestärkt haben. Doch | |
entscheidender ist, dass der venezolanische Polizeiapparat offensichtlich | |
selbst für einen beträchtlichen Teil der Verbrechen verantwortlich ist. | |
Obwohl die Regierung Chávez seit Jahren an einer grundlegenden | |
Polizeireform arbeitet (9), ist die Lage nach wie vor dramatisch. Selbst | |
die Leiterin des Reformprojekts, die renommierte Menschenrechtsaktivistin | |
Soraya El Achkar, ist der Ansicht, dass man der venezolanischen Polizei in | |
der heutigen Form nicht trauen könne. | |
Das gravierendste Problem Venezuelas ist jedoch, dass man bei den | |
Hauptanliegen nicht vorangekommen ist: beim Aufbau einer partizipatorischen | |
Demokratie und beim ökonomischen Umbau. Andrés Antillano, langjähriger | |
Aktivist der Stadtteilbewegungen von Caracas, merkt kritisch an: „Die | |
Sozialprogramme, die 2003 und 2004 Orte der Beteiligung waren, sind | |
institutionalisiert worden. Viele Aktive sind Staatsangestellte geworden | |
oder beziehen Regierungsstipendien. Auf diese Weise ist die politische | |
Mobilisierung durch materielle Leistungen ersetzt worden. Und das führt | |
wiederum dazu, dass in vielen Fällen Gehorsam belohnt und abweichende | |
Meinungen bestraft werden.“ | |
## Der zweite Apparat der Chavisten | |
Ähnliche Einwände äußert auch der Gewerkschafter Santiago Arconada.10 Er | |
verweist auf die Oberflächlichkeit vieler Reformen. Im Bundesstaat Sucre | |
sei der Polizei das Adjektiv „sozialistisch“ verliehen worden, ohne dass es | |
irgendeine strukturelle Reform gegeben hätte. Kaum besser sei die Situation | |
bei den Consejos Comunales: Nur fünf Jahre nach der Einführung der | |
Bürgerräte seien diese von der Bevölkerung ähnlich weit entfernt wie | |
traditionelle Gemeindeverwaltungen. Anstelle einer kommunalen | |
Selbstverwaltung ist ein zweiter Repräsentationsapparat entstanden. | |
Anhänger des Chavismus erklären diese Entwicklung oft mit Überläufern aus | |
dem alten Apparat. Doch nach zwölf Jahren lassen sich Probleme nicht mehr | |
einfach mit vererbten Strukturen erklären. Edgardo Lander, einer der | |
wenigen venezolanischen Intellektuellen, die die Regierung unterstützen, | |
ohne die Kritik an ihr aufzugeben, präsentiert eine andere Erklärung: Der | |
Chavismus begreife nicht, so Lander nach den für den Chavismus enttäuschend | |
verlaufenen Parlamentswahlen (11) im September 2010, dass | |
Selbstverwaltungsstrukturen eigenständig sein müssten. „Ist eine | |
Demokratisierung ohne den Aufbau autonomer sozialer Organisationen denkbar? | |
Ist sie denkbar, wenn gleichzeitig Gewerkschafts- und Volkskomitees durch | |
Staats- und Parteistrukturen kolonisiert werden? Sind die Consejos | |
Comunales der demokratische Organisationskern der gesamten Gesellschaft | |
beim Aufbau neuer sozialer Beziehungen […] oder sollen [sie] der Ort sein, | |
an dem sich Anhänger des Chavismus organisieren, auch wenn dadurch die | |
Hälfte der Bevölkerung ausgeschlossen wird?“ | |
Nicht minder beunruhigend ist die Entwicklung der ökonomischen Reformen. An | |
den strukturellen Problemen Venezuelas hat sich seit 1999 nichts | |
Wesentliches geändert. Rohstoffe machen nach wie vor 90 Prozent der Exporte | |
aus, die Auslandsschulden sind seit 2002 von 35 Milliarden auf 66 | |
Milliarden US-Dollar gestiegen. (12) Zudem muss Venezuela, obwohl man sich | |
die Nahrungsmittelsouveränität groß auf die Fahnen geschrieben hat, | |
weiterhin den Großteil seiner Lebensmittel importieren. (13) | |
Um die wirtschaftliche Abhängigkeit von den Öleinnahmen zu verringern, | |
startete die Chávez-Regierung 2005 eine groß angelegte | |
Genossenschaftskampagne. Zehntausende Menschen wurden im Rahmen der Mission | |
„¡Vuelvan Caras!“ (etwa: „Wendet den Blick!“) ausgebildet, um | |
selbstverwaltete Betriebe und Kooperativen aufzubauen. 2007 musste das | |
regierungsnahe Onlinemagazin [1][Venezuelanalysis.com] jedoch vermelden, | |
dass von den registrierten 181.000 Kooperativen selbst nach offiziellen | |
Statistiken mehr als 60 Prozent nur auf dem Papier existieren. (14) Die | |
realen Zahlen dürften noch weit darunter liegen. Obwohl – oder gerade weil | |
– der Staat großzügig Subventionen verteilt hat, ist kein tragfähiger | |
Genossenschaftssektor entstanden. | |
Irritierend an diesen Beobachtungen ist letztlich nicht, dass Venezuela die | |
schwierige politische und ökonomische Transformation bislang nicht gelungen | |
ist. Warum sollte Venezuela die großen Fragen beantworten können, an denen | |
der Sozialismus im 20. Jahrhundert überall gescheitert ist. Bedenklich ist, | |
dass über die Schwierigkeiten bei der gesellschaftlichen Transformation | |
nicht gesprochen wird. Unter großer Aufmerksamkeit der chavistischen Medien | |
eröffnete das venezolanisch-iranische Joint Venture Venirauto 2007 bei | |
Maracay eine Automobilfabrik. (15) Darüber, dass das Unternehmen in den | |
vergangenen Jahren kaum Fahrzeuge hergestellt hat, und warum das so ist, | |
hat man jedoch nichts mehr gehört und gelesen. Ähnlich auch der Fall der | |
staatlichen Aluminiumwerke von Alcasa: Im Jahr 2005 feierlich in | |
„revolutionäre Mitverwaltung“ übergeben, wird der Betrieb heute wieder | |
konventionell geleitet – ohne dass die Öffentlichkeit wüsste, was geschehen | |
ist. | |
Verloren ist die venezolanische Sache dennoch nicht. Verglichen mit den | |
staatssozialistischen Regimes des 20. Jahrhunderts ist Venezuela auch nach | |
zwölf Jahren „bolivarischer Revolution“ noch erstaunlich offen. Eine | |
Demokratisierung von unten, wie sie in der Verfassung angelegt ist, ist | |
immer noch möglich. Allerdings müssten dafür viele Dinge infrage gestellt | |
werden: Die Fixierung auf Chávez müsste verringert, die klientelistischen | |
Praktiken des Staatsapparats müssten bekämpft, politische Macht müsste an | |
Consejos Comunales und andere Basisorganisationen übergeben und die | |
Vergesellschaftung der Ökonomie langsamer, aber nachhaltiger und vor allem | |
basisdemokratischer organisiert werden. Die Herausforderungen für Venezuela | |
sind nicht eben klein. Es kann sein, dass der Karibikstaat an seinen Zielen | |
scheitert. Das Bemerkenswerte aber ist, dass man dort überhaupt das Ziel | |
formuliert, Demokratie und Wirtschaft grundlegend anders zu gestalten. | |
Fußnoten: | |
(1) Der Ausschnitt ist online zu sehen unter: | |
[2][www.youtube.com/watch?v=FfkoV_ONZlw]. | |
(2) Die PSUV erhielt etwa 5,4 Millionen Stimmen, der Oppositionsblock MUD | |
5,3 Millionen und die bis vor kurzem in der Regierung vertretene | |
Mitte-links-Partei PPT weitere 350 000 Stimmen; vgl. Edgardo Lander, | |
„¿Quién ganó las elecciones parlamentarias en Venezuela?“, Caracas 2010, | |
[3][www.tni.org/sites/www.tni.org/files/Quién ganó las elecciones | |
parlamentarias en Venezuela.pdf]. | |
(3) Das ganze Interview unter: | |
[4][www.rosalux.org.ec/index.php?option=com_rubberdoc&view=doc&id=28&format | |
=raw]. | |
(4) Die Armut ist zwar auch im lateinamerikanischen Durchschnitt | |
zurückgegangen, aber dort ist der Rückgang deutlich geringer ausgefallen: | |
Die Vergleichszahlen liegen bei 44 Prozent und 33 Prozent. Vgl. | |
Cepal-Bericht 2010: „Panorama social de América Latina 2010“. Der | |
statistische Annex online unter: | |
[5][www.eclac.org/publicaciones/xml/9/41799/PSE2010_AnexoEstadistico-Prelim | |
inar.xls]. | |
(5) Der Der Gini-Koeffizient gibt das Ausmaß ungleicher | |
Einkommensverteilung an: 0 entspricht der perfekten Gleichheit (alle haben | |
das gleiche Einkommen), 1 der völligen Ungleichheit (das gesamte | |
Volkseinkommen gehört einer einzigen Person). | |
(6) Vgl. Bernard Mommer, „Subversive Oil“, in: Steve Ellner und Daniel | |
Hellinger (Hg), „Venezuelan Politics in the Chávez Era“, Boulder (Lynne | |
Rienner) 2003, S. 131–146. | |
(7) Sozialpolitik mit Erdöl hat Venezuela auch in den USA und | |
Großbritannien betrieben. Das PDVSA-Tochterunternehmen Citgo versorgt seit | |
2006 mehr als 100 000 US-Haushalte, die über ein geringes Einkommen | |
verfügen, mit bis zu 60 Prozent verbilligtem Heizöl; vgl. die Berichte | |
unter: [6][venezuelanalysis.com/tag/citgo]. Mit der Labour-Stadtverwaltung | |
von London vereinbarte die Chávez-Regierung 2007 zudem einen Tausch. | |
Finanziert durch venezolanische Öllieferungen, senkten die Londoner | |
Verkehrsbetriebe die Ticketpreise für Geringverdiener. Im Gegenzug | |
entsandte der Labour-Bürgermeister Ken Livingstone Stadtplanungsexperten | |
nach Venezuela (BBC News, 20. Februar 2007). | |
(8) Der Begriff „Narco-Paramilitärs“ verweist auf die amalgamische | |
Verbindung von organisiertem Drogenhandel und politischer Gewalt. Die | |
jüngsten Aussagen ehemaliger Paramilitärkommandanten belegen den seit | |
langem gehegten Verdacht, dass der Dachverband der Paramilitärs (AUC) von | |
der kolumbianischen Geheimpolizei DAS und den Streitkräften geführt wurde. | |
Es scheint, dass auch die Verlagerung des Narco-Paramilitarismus nach | |
Venezuela zumindest Anfang der 2000er Jahre von Teilen des kolumbianischen | |
Staatsapparats gedeckt wurden. | |
(9) Über den Reformprozess berichtet die Website | |
[7][www.consejopolicia.gob.ve/]. | |
(10) Santiago Arconada, „El otro diálogo“, 2. Februar 2011, | |
[8][www.aporrea.org/ideologia/a116888.html]. | |
(11) Siehe Anmerkung 2, Edgardo Lander. | |
(12) Siehe Anmerkung 4, Cepal-Bericht 2010, S. 105 und S. 164. | |
(13) Nach Angaben der Wirtschaftszeitung América Economía beliefen sich die | |
Importe 2010 auf mehr als 5 Milliarden US-Dollar: | |
[9][www.americaeconomia.com/negocios-industrias/importaciones-de-alimentos- | |
en-venezuela-ascenderan-us6500m-en-2011]. | |
(14) Michael Fox, „Venezuela’s Co-op Boom“: | |
[10][www.venezuelanalysis.com/analysis/2393], 5. Dezember 2007. | |
(15) Hier stellte sich zudem die Frage, warum ein Land, das alternative | |
Entwicklungskonzepte verteidigt, eine nationale Automobilindustrie braucht. | |
© [11][Le Monde diplomatique, Berlin] | |
Le Monde diplomatique Nr. 9494 vom 13.5.2011 | |
22 May 2011 | |
## LINKS | |
[1] http://venezuelanalysis.com/ | |
[2] http://www.youtube.com/watch%3Fv=FfkoV_ONZlw | |
[3] http://www.tni.org/sites/www.tni.org/files/Qui%C3%A9n+gan%C3%B3+las+eleccio… | |
[4] http://www.rosalux.org.ec/index.php%3Foption=com_rubberdoc&view=doc&… | |
[5] http://www.eclac.org/publicaciones/xml/9/41799/PSE2010_AnexoEstadistico-Pre… | |
[6] http://venezuelanalysis.com/tag/citgo | |
[7] http://www.consejopolicia.gob.ve/ | |
[8] http://www.aporrea.org/ideologia/a116888.html | |
[9] http://www.americaeconomia.com/negocios-industrias/importaciones-de-aliment… | |
[10] http://www.venezuelanalysis.com/analysis/2393 | |
[11] http://www.monde-diplomatique.de | |
## AUTOREN | |
Raul Zelik | |
## TAGS | |
Kolumbien | |
Ecuador | |
Venezuela | |
Bolivien | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Venezuela und Kolumbien: Ausnahmezustand an der Grenze | |
Nach einem Grenzzwischenfall verhängt Venezuela den Ausnahmezustand. | |
Staatschef Maduro macht rechte Banden aus Kolumbien verantwortlich. | |
Generalstreik in Ecuador: Verletzte bei Zusammenstößen | |
Gewerkschaften und indigene Organisationen rufen zum Streik gegen eine | |
Verfassungsreform auf. Sie wollen die Wiederwahl von Staatschef Correa | |
verhindern. | |
Inflation in Venezuela: Preise steigen um über 100 Prozent | |
Der größte Geldschein ist 100 Bolivar wert – das sind derzeit weniger als | |
20 US-Cent. Und ein Ende der Inflation in Venezuela ist nicht abzusehen. | |
Bolivien opfert Naturschutz: Morales will NGOs rausschmeißen | |
Die Öl- und Gasförderung wird in Bolivien weiter vorangetrieben. Nun droht | |
der Präsident NGOs, denn er will das Wachstum nicht gefährden. | |
Kolumbianische Justiz wird terrorisiert: Risikoberuf Richter | |
Morddrohungen und Attentate - die Ausübung des Richteramts in Kolumbien ist | |
lebensbedrohlich. Auch unter dem neuen Präsidenten werden Justizangehörige | |
ermordet. | |
Hohe Haftstrafe für Militär: Umdeklarierte Leichen in Kolumbien | |
Er ließ Zivilisten ermorden und gab sie als Guerilleros aus. Dafür wurde in | |
Kolumbien erstmals ein Offizier verurteilt. Die Staatsanwaltschaft | |
ermittelt in 2.000 Fällen. | |
Hugo Chávez bestätigt Krebserkrankung: Der Staatschef gibt sich kämpferisch | |
Seit drei Wochen schon ist Venezuelas Präsident Hugo Chávez außer Landes in | |
einer Klinik in Havanna. Jetzt bestätigt er in einer Fernsehansprache, dass | |
er Krebs hat. | |
Gefängnisrevolte in Venezuela: Bandenkriege und Geiselnahmen | |
Tausende Polizisten und Soldaten versuchen seit Tagen einen | |
Gefangenenaufstand im Norden Venezuelas zu beenden. Über die Zahl der Toten | |
gibt es widersprüchliche Angaben. |