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# taz.de -- Die WM-Reportertournee: Die Fifa rief, und die Fans folgten
> Drei Wochen lief die Willkommensmaschine hochtourig – das
> Goodwill-Unternehmen namens Frauenfußball. Szenen eines perfekten
> Turniers.
Bild: Sie waren bestellt und sind gekommen: Fans vorm Spiel Deutschland-Japan
SINSHEIM taz | Angefangen hat alles mit einer ganz langen Ansage. Die
Deutsche Bahn begrüßt die Fans in der S-Bahn auf dem Weg nach Sinsheim in
allen Sprachen der teilnehmenden Länder. Minutenlang wurden die wenigen
Fahrgäste, die sich drei Stunden vor dem ersten Anpfiff dieser WM auf dem
Weg zum Stadion gemacht hatten, willkommen geheißen. Es waren nicht allzu
viele. Die Rhein-Neckar-Arena ist eher ein Autofahrerstadion. Parkplätze
vor Kornfeldern vor Autobahn. So sieht die deutsche Fußballmoderne aus. In
den nächsten drei Wochen sollen die Frauen sie erobern.
Heiß ist es an diesem ersten Spieltag. Die Polizisten tränken ihre Rösser
an einem Löschteich unweit des Stadions. Sie hätten die Pferde auch in
ihrem Stall lassen können. Die Stimmung ist entspannt, ausverkauft das
Spiel. Über 25.000 Menschen wollen Nigerias Frauen gegen Frankreich kicken
sehen. Väter mit ihren Kindern, junge und weniger junge Paare. Ein paar
junge Frauen mit kurzen Haaren und ganz weiten Hosen. „Schau, da sind sie“,
sagt ein Mann im kurpfälzischen Singsang zu seiner Freundin. Wer sehen
will, dass Frauenfußball ein Lesbensport ist, der sucht nach Indizien und
findet welche. Wer nicht sucht, für den ist Frauenfußball einfach – Sport.
Deutschland, Deutschland, Adidas. Auch wenn die Deutschen nicht spielen,
dominieren die Farbkombinationen Weiß-Schwarz und Schwarz-Rot-Gelb in den
Stadien. Die einen führen aus, was sie sich im letzten Jahr zur Männer-WM
gekauft haben: teure Trikots, billigere Schals oder die ganz billigen
Filzhüte in Schwarz-Rot-Gelb. Andere kleiden sich vor dem Stadion ein – in
den „Official Fanshops“. Auch hier gehen vor allem Dresses und T-Shirts,
versehen mit DFB-Symbolen.
Die Shirts kosten über 30 Euro, sie tragen die drei Streifen. Billigere
sind für 15 Euro zu haben. „Official lisenced product“ steht auf dem
Etikett. Wer ein solches Leibchen übergestreift hat, kann zeigen, dass er
dazugehört. Vor allem in Sinsheim und Augsburg bilden sich lange Schlangen
vor den Fanshops. Da können und wollen sich die Menschen etwas leisten.
Kassen für das Geld gibt es nicht in allen Verkaufszelten. Die Scheine
stapeln sich in Pappkartons. Die Fifa hat zur WM gerufen, das Fanvolk
folgt.
## Gekaufter Jubel
Aber nicht überall brummt es. Man hört es am lauten Kinderkreischen, dass
etwas anders ist am ersten Montag des Turniers. Nach dem ausverkauften
Sinsheimer Turnierauftakt und dem Stimmungswahnsinn beim offiziellen
Eröffnungsspiel in Berlin zwischen Deutschland und Kanada wird schnell
klar, dass nicht alles begeistert, was Frauenfußball ist.
Am Nachmittag spielt Japan gegen Neuseeland in Bochum. Über 12.000
Zuschauer sollen da sein. Viele Kinder sind darunter. Die deutschen
WM-Sponsoren, vor allem die Telekom, haben in großem Stil Karten gekauft
und sie vor allem an junge Fußballerinnen verschenkt. Gekaufter Jubel. Auch
das Schulministerium spielt mit und gibt den Kindern unterrichtsfrei, damit
sie rechtzeitig in der Arena sein können. Die Kleinen bedanken sich mit
hochfrequentem Geschrei. „Drei, zwei, eins, heeey!“ Sie schickten eine La
Ola nach der anderen durchs Stadion.
Die Welle. Sie wogt durch jedes WM-Stadion. Mit ihr feiern sich die
Zuschauer selbst als Frauenfußballförderer. Was auf dem Spielfeld passiert,
reißt die Menschen nur selten mit. Ausrufe des Erstaunens sind zu
vernehmen, wenn zwei Frauen nach einem Wettlauf um den Ball
aufeinanderprallen. Auch bei Kopfbällen nach weiten Abschlägen vom Tor geht
ein Raunen durch die Stadien. Viele wundern sich, dass das, was sie sehen,
Fußball ist. Die meisten Zuschauer sind interessierte Beobachter in
Stimmungslaune. Und für die Stimmung sorgen sie selbst. Gepfiffen wird
meist nur, wenn die Herrschaften auf den teuren Plätzen nicht mitmachen
wollen beim großen Auf und Nieder. Pfui!
Wenn die Deutschen nicht spielen, ist den meisten in den Stadien eh egal,
wer gewinnt. Fans aus dem Ausland sind nur wenige unterwegs. Es sind
Familien meist mit Töchtern. Nach dem 0:4 gegen Frankreich steht ein Paar
mit seinen drei Kindern am Bahnsteig in Bochum.
Alle sind sie rot-weiß bemalt. Besonders traurig wirken die fünf aus
Toronto nicht. Sie haben die WM zum Anlass für eine Deutschlandreise
genommen. Sie waren in Köln und haben sich Münster angesehen, woher die
Familie des Vaters stammt. Fußball ist für sie lediglich Nebensache auf
ihrer Tour nach Europa. Dass die nächste WM in Kanada stattfinden wird,
wissen sie nicht. „Nicht schlecht“, sagt der kanadische Papa.
## Entsetzen in Maßen
Zur Hauptsache wird der Sport nur, wenn Deutschland spielt. Wenn sie
verlieren, was sich vor dem Turnier keiner vorstellen konnte, dann kommt
sogar Hass auf – ein bisschen zumindest. „Neid, her uff!“ Beim Spiel um
Platz drei hält ein aufgebrachter Fan eine Tafel mit diesen drei Wörtern in
die Höhe. Auch wegen der Mundart wirkt der Protest gegen die
Bundestrainerin eher niedlich.
Das Entsetzen nach dem Viertelfinal-Aus der Deutschen gegen Japan hält sich
in Grenzen, auch wenn die Fußballoberen danach sprechen, als befinde sich
das Land in Staatstrauer. Steffi Jones, die Chefin des
Organisationskomitees, vergießt noch am Tag nach der Niederlage öffentlich
Tränen. „Aber es muss weitergehen“, ruft sie Fußballdeutschland zu.
Doch das Volk muss gar nicht aufgeheitert werden. Beim öffentlichen
Fernsehschauen in Köln herrscht große Wurschtigkeit nach dem Schlusspfiff
des deutschen Viertelfinales. Manche sind froh, dass es kein
Elfmeterschießen gegeben hat, so schaffen sie es noch rechtzeitig ans
Rheinufer, um das große Feuerwerk der „Kölner Lichter“ zu bewundern. Wem …
da zu voll ist, bleibt in der Kneipe. Der WDR überträgt das Feuerwerk. „Ist
wieder so schön diesmal“, sagt eine ältere Dame mit deutschem Fanhütchen
auf dem Kopf und fotografiert das Fernsehbild mit der Pyroshow.
Deutschlands Niederlage hat sie offenbar schnell verdaut.
## Diese WM riecht anders
Am nächsten Morgen klebt und knirscht die Kölner Innenstadt. Die
Freilufttrinker haben viele Flaschen in die Brüche gehen lassen. Bierdunst
liegt in der Luft. Für Fußballreisende kein unbekannter Duft. Das
Frauenturnier indes hat einen einen anderen Geschmack. Diese WM klebt
nicht. Keine Alkohol schwitzenden Männerkörper in überfüllten S-Bahnen.
Keine Horden grölender Trinker. Keine Urinpfützen in
Fußgängerunterführungen. Kein Radau. Auch in den Stadien nicht.
Die Spiele wogen hin und her. Doch den Reaktionen des Publikums ist meist
nicht zu entnehmen, ob gerade etwas los ist auf dem Feld. Nur wenn die
beste Fußballerin der Welt spielt, ist die Masse aufgebracht. Die Pfiffe
gegen Brasiliens Marta in Dresden stören die Kirchentagsstimmung. Sonst ist
eigentlich alles schön. Irgendwie finden alle gut, was sie erleben,
begeistert ist kaum einer, im Rausch ist niemand. Gut möglich, dass Papst
Benedikt, wenn er im September nach Deutschland kommt, mehr rockt.
Er ist ein Superstar. Eine Berührung von ihm – und seine Fans fühlen sich
selig. So etwas gibt es im Frauenfußball nicht. Nach den Spielen warten
eine Handvoll Kinder am Spielerinnenausgang und betteln um Autogramme. Sie
kennen die Namen derer nicht, um deren Autogramme sie nachsuchen. „Hier,
hier, hier!“, schreien sie in Dresden nach dem spektakulären Sieg der USA
gegen Brasilien. Nicht einmal Abby Wambach, die wuchtige US-Stürmerin,
erkennen sie.
Auf der Heimfahrt im Zug betrachtet das kleine Mädchen Wambachs
Unterschrift auf ihrer Eintrittskarte, für die ihre Mutter 30 Euro gezahlt
hat. Die Kleine ist stolz. „Die hänge ich in meinem Zimmer auf“, sagt sie.
Dann vertieft sie sich in den Bundesligaplaner der Sport Bild für die
kommende Saison, den Männerbundesligaplaner.
18 Jul 2011
## AUTOREN
Andreas Rüttenauer
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