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# taz.de -- Resozialisierte Sexualstraftäter: Entlassen, aber gefährlich
> Als Musterbeispiel gehandelt, entlassen - und erneut straffällig
> geworden: Die Geschichte eines ehemals sicherungsverwahrten Mannes aus
> Dortmund ist kein Einzelfall.
Bild: Aus der Zelle in die Freiheit? Sicherungsverwahrter in der Justizvollzugs…
BERLIN taz | Mehrere Fälle von Kindesmissbrauch haben die Debatte über die
Zukunft der Sicherungsverwahrung erneut provoziert. Die Täter waren nämlich
jeweils frisch entlassene Sicherungsverwahrte.
Am dramatischsten ist der Fall aus Dortmund. Am Donnerstag wurde ein
49-jähriger Mann unter dringendem Missbrauchsverdacht festgenommen. Laut
Polizei hat er bereits im Januar "sexuelle Handlungen" an einem
siebenjährigen Mädchen vorgenommen, das er in eine Tiefgarage gelockt
hatte. DNA-Spuren überführten ihn.
Er war erst im September 2010 aus der Sicherungsverwahrung entlassen
worden. Im Dezember stellte die Polizei die Rund-um-die Uhr-Überwachung
ein. Der Mann hatte eine Freundin, ging freiwillig in Therapie, er galt als
Musterbeispiel einer Resozialisierung.
Ebenfalls am Donnerstag wurde am Landgericht Münster ein 69-jähriger
Rentner wegen schweren Kindesmissbrauchs verurteilt. Er hatte sich im Hebst
an einem fünfjährigen Mädchen vergangen. Auch er war erst kurz zuvor, im
Mai 2010, aus der Sicherungsverwahrung entlassen worden. Das Landgericht
verurteilte ihn nun zu fünfeinhalb Jahren Haft und erneuter
Sicherungsverwahrung.
## Rund 500 Männer sind in Sicherungsverwahrung
Schon im November letzten Jahres war ein dritter ähnlicher Fall bekannt
geworden. In Duisburg hatte ein 47-Jähriger auf der Straße ein zehnjähriges
Mädchen gepackt und gewürgt. Das Mädchen konnte sich allerdings losreißen.
Der Täter war erst zwei Wochen zuvor aus der Sicherungsverwahrung entlassen
worden. Sicherungsverwahrung ist das schärfste Schwert des Strafrechts. Sie
bedeutet, dass ein Straftäter auch nach vollständiger Verbüßung seiner
Strafe nicht aus dem Gefängnis entlassen wird, weil er noch als gefährlich
gilt. Derzeit betroffen sind in Deutschland rund 500 Männer.
Nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR)
wurden in den letzten Monaten jedoch einige dutzend Verwahrte entlassen,
obwohl sie noch als gefährlich galten. Der Gerichtshof akzeptiert die
Sicherungsverwahrung nur, wenn sie direkt mit dem Strafurteil angeordnet
wird. Eine nachträgliche Anordnung (in der Haft) sei ebenso unzulässig wie
eine rückwirkende Verlängerung der Maßnahme. Das Bundesverfassungsgericht
bestätigte im Mai diese Linie.
Nicht alle der drei Rückfälle gehen aber auf das EGMR-Urteil zurück. Der
Duisburger war zum Beispiel entlassen worden, weil er laut Gutachten als
nicht mehr gefährlich galt. Kritische Kriminologen wie Thomas Feltes gehen
allerdings davon aus, dass Gutachten eher übervorsichtig sind. Es würden
viel mehr Straftäter in die Sicherungsverwahrung gesteckt, als nötig sei.
Die Deutsche Polizeigewerkschaft forderte nun, die Politik müsse
"schnellstens eine Lösung finden". Die Kinderhilfe verlangte eine
"außerordentliche Innenministerkonferenz".
Aber auch nach den Urteilen von Straßburg und Karlsruhe haben Justiz und
Polizei viele Möglichkeiten, für Sicherheit zu sorgen. Nach einem Rückfall
kann ein Gericht erneut Haft und Sicherungsverwahrung verhängen. Und selbst
ohne erneute Tat können entlassene Verwahrte in "Therapie-Unterbringung"
gesteckt werden - wenn sie als besonders gefährlich und psychisch gestört
gelten. Ansonsten kann die Polizei die Männer rund um die Uhr bewachen oder
zumindest mit einer elektronischen Fußfessel versehen.
Neue Gesetze sind erst bis Mai 2013 erforderlich. Bis dahin müssen Bund und
Länder Vorgaben des Verfassungsgerichts umsetzen. Karlsruhe fordert, die
Sicherungsverwahrung müsse sich deutlich vom Strafvollzug abheben.
17 Jul 2011
## AUTOREN
Christian Rath
## TAGS
Schwerpunkt Überwachung
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