| # taz.de -- Linkspartei zur DDR-Geschichte: Nur Feinde und Verräter | |
| > Viele in der Linkspartei haben ein differenziertes Bild vom Mauerbau. | |
| > Doch so manche Altgenossen sehen es schlichter: In Ostberlin feiern sie | |
| > Mauer-Apologeten. | |
| Bild: "Die Alternative zur Mauer wäre Krieg gewesen" - der Buchtitel. | |
| BERLIN taz | Heinz Keßler ist 91 Jahre alt, trägt einen hellen Anzug und | |
| sagt mit fester Stimme "Ich war Kommunist und werde immer Kommunist | |
| bleiben." Das Publikum im Redaktionshaus des Neuen Deutschland (ND) | |
| applaudiert. Keßler war früher General und Verteidigungsminister der DDR. | |
| Jetzt hat er mit dem Ex-NVA-Militär Fritz Streletz, 84, ein Buch | |
| geschrieben: "Die Alternative zur Mauer wäre Krieg gewesen". | |
| Das Neue Deutschland hat die Veranstaltung organisiert, rund 200 Genossen | |
| sind da, Durchschnittsalter über 70. Das letzte Aufgebot des | |
| Realsozialismus kommt mit Rollator. Keßler agitiert gegen die "gewaltige | |
| Hetzkampagne in den Medien". Dagegen müsse man "aus der Sicht der Deutschen | |
| Demokratischen Republik die Gründe für die Grenzsicherungsmaßnahmen am 13. | |
| August 1961 darlegen". Keßler redet druckreife Sätze, so wie sie bis 1990 | |
| im ND standen: endlose Substantivierungsketten und formelhafte | |
| Passivkonstruktionen. Streletz sagt, dass man 1961 gegen "Spione und | |
| frühere SS-Leute in Westberlin grenzschützende Maßnahmen ergreifen musste". | |
| Die beiden Militärs kennen sich seit Jahrzehnten. Streletz nennt Keßler, | |
| wenn er ihn anspricht, "Minister außer Dienst", Keßler Streletz "Genosse | |
| Generaloberst". Man weiß nicht, ist das eher gruselig oder skurril. | |
| Keßler und Streletz waren wegen der Mauertoten vier Jahre im Gefängnis und | |
| sehen sich als "Opfer der BRD-Justiz". Es gibt in der Weltsicht der beiden | |
| viele Feinde, "das Monopolkapital und seine Handlanger, die Faschisten". | |
| Und obwohl "die DDR immer termingerecht alle militärpolitischen Aufgaben im | |
| Rahmen des Warschauer Vertrages erfüllte, hat Gorbatschow die DDR | |
| hinterhältig verraten und verkauft", sagt Keßler. | |
| Es folgt donnernder Applaus. Überall Verräter. War es ein Wunder, dass man | |
| da eine Mauer brauchte? Streletz zitiert John F. Kennedy, der 1961 gesagt | |
| hat, dass die Mauer nicht schön, aber ein Krieg schlimmer sei. | |
| ## Die Stunde der Heimatvertriebenen | |
| Dieser Satz wird von Mauerbefürwortern gern bemüht, er beweist ja, dass | |
| sogar der Klassenfeind die eigenen Argumente stützt. Einige im Saal murmeln | |
| diesen Satz mit, als würden sie das Vaterunser in einer Kirche mitsprechen. | |
| "Der Kampf der BRD gegen die DDR", sagt Heinz Keßler nach knapp zwei | |
| Stunden, "ist noch immer der gleiche wie damals". Ein Unterschied könnte | |
| sein, dass es die DDR nicht mehr gibt. Doch hier, am 10. August 2011, | |
| existiert die DDR noch. Es ist die Stunde der Heimatvertriebenen, in der | |
| mit marmorner Selbstgewissheit verlorene Schlachten geschlagen werden. | |
| Keßler spricht nicht für die Linkspartei. Er wurde 1990 aus der SED/PDS | |
| ausgeschlossen und kandidiert nun für die DKP. Doch auch im ND wurde das | |
| Buch positiv rezensiert. Es räume mit "Lügen über den 13. August 1961 auf". | |
| Die Linkspartei hat sich stets gescheut, klar mit der DDR-Nostalgie zu | |
| brechen. | |
| Deshalb ist die Mauer noch immer ein Problem für die Linkspartei. Sie hat | |
| sich zwar 2001 eindeutig vom Mauerbau distanziert, doch eine Umfrage hat | |
| kürzlich gezeigt, dass Linkspartei-Anhänger in Berlin die Mauer 2011 nicht | |
| so richtig schrecklich finden. Ein Drittel der Berliner fand die Mauer | |
| nötig, bei der Links-Klientel zwei Drittel. | |
| ## Repression aus Schwäche | |
| Jürgen Hofmann rührt beim Italiener im Kaffee, er redet leise, mit leicht | |
| sächsischem Akzent. Der 68-Jährige war 1989 Historiker an der | |
| SED-Kaderschmiede Akademie für Gesellschaftswissenschaften. Hofmann hat | |
| eine typische Biografie: in der DDR aus Arbeitermilieu zum Akademiker | |
| aufgestiegen, nach 1990 als DDR-Elite abgewickelt. | |
| Hofmann ist seit 1990 in der Historischen Kommission der Linkspartei bzw | |
| PDS. "Die Mauer war das Eingeständnis, dass die DDR im offenen Wettbewerb | |
| gegen den Westen keine Chance hatte. Das war Repression aus Schwäche", sagt | |
| er. Im Juni hat die Kommission eine Kritik des Mauerbaus veröffentlicht. Im | |
| ND gab es dazu böse Leserbriefe. | |
| 1988 hat Hofmann mit Joachim Heise das Buch "Fragen an die Geschichte der | |
| DDR" geschrieben. Zum Mauerbau heißt es darin, dass 1961 Schluss mit "dem | |
| subversiven Treiben des Imperialismus" war. Der Text erwähnt auch, dass es | |
| "Unverständnis" gab, weil man "Verwandte und Freunde nicht mehr besuchen | |
| konnte". Doch im Ganzen ist es ein Propagandatext, vielleicht nicht ganz so | |
| gehässig wie üblich. Schreiben musste man so etwas 1988 nicht mehr. | |
| Hofmann ist der Text peinlich. "Es war das, was damals möglich war", sagt | |
| er. Er habe eben "nie an der DDR als Ganzem, sondern nur an einzelnen | |
| Maßnahmen gezweifelt". Seine Folgerung aus der Geschichte ist, dass sich | |
| die Linkspartei der Zugluft der öffentlichen Debatte aussetzen muss. Die | |
| Historische Kommission, sagt Hofmann, ist eine Möglichkeit, auch | |
| individuelle Verantwortung für die DDR "abzutragen". In | |
| Berlin-Friedrichsfelde hat er sich für einen Gedenkstein engagiert: für | |
| Opfer des Stalinismus. | |
| 11 Aug 2011 | |
| ## AUTOREN | |
| Stefan Reinecke | |
| Stefan Reinecke | |
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