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# taz.de -- Gedenken an den Mauerbau: "Ulbricht war das größte Kriegsrisiko"
> Die Mauer war die Bankrotterklärung der DDR, sagt der Historiker
> Klaus-Dietmar Henke. Doch sie war auch die Voraussetzung für die
> Entspannungspolitik in Europa.
Bild: Letztes Mittel: Die Mauer sollte die Massenflucht aufhalten.
taz: Herr Henke, hat der Mauerbau 1961 einen Krieg verhindert?
Klaus-Dietmar Henke: Nein, es gab im August 1961 keine akute Kriegsgefahr.
Kennedy und Chruschtschow wollten beide einen Atomkrieg unbedingt
verhindern.
Aber Kennedy hat 1961 gesagt: Lieber die Mauer als Krieg …
Die Eskalationsgefahr gab es im Kalten Krieg immer. Aber nicht erst 1961,
sondern spätestens seit der von Chruschtschow inszenierten Berlinkrise
1958. Im Kern ging es um die Frage, ob die UdSSR es wagen würde, die
verbrieften Rechte der Westalliierten anzutasten - nämlich die
Truppenstationierung in Berlin und den Zugang nach Westberlin über die
Transitstrecken durch die DDR. Wäre Chruschtschow da ans Eingemachte
gegangen, wäre es möglicherweise zu einer bewaffneten Kraftprobe gekommen,
mit unabsehbarem Risiko.
In der SED-Lesart war die Mauer nötig, um sich gegen die imperialistische
Aggression zur Wehr zu setzen und einen Krieg zu verhindern. War das nur
Propaganda?
Das ist Schönrednerei des Mauerbaus. Die DDR war im Sommer 1961, genauso
wie am 17. Juni 1953, am Ende. Das ist keine Exposterkenntnis. Das hat
Ulbricht Chruschtschow mehrmals beschwörend vor Augen gehalten, um von ihm
endlich die Erlaubnis für den Mauerbau zu bekommen. Die internen Dokumente
der SED und der Stasi kreisen 1961 um eine einzige Frage: Wie lässt sich
der Massenexodus und das Ausbluten des Landes stoppen? Von einem
bevorstehenden Angriff der Bundeswehr oder faschistischen Aggressoren lesen
Sie da nichts. Erich Honecker hat zwar noch in den 80er Jahren behauptete,
die Bundeswehr habe 1961 "mit klingendem Spiel durch das Brandenburger Tor
ziehen" wollen. Aber es gibt keinen einzigen Hinweis darauf, dass die
Bundeswehr Kriegspläne schmiedete. Es ist sowieso eine laienhafte
Vorstellung, dass ausgerechnet das von sowjetischen Truppen umzingelte
Westberlin Brückenkopf einer militärischen Offensive hätte sein können. Das
größte Kriegsrisiko ging 1961 nicht von der Nato, sondern von Ulbricht aus.
Inwiefern?
Weil Ulbricht von Chruschtschow unbedingt den Friedensvertrag wollte. Der
hätte der DDR dann die Souveränität über die Transitstrecken verschafft,
auf denen die Westalliierten unterwegs waren. Daraus konnte, wie die
Panzerkonfrontation Ende Oktober 1961 am Checkpoint Charlie zeigte, schnell
eine ganz brenzlige Lage entstehen. Kein US-General und keine britische
Panzerkolonne hätten sich von Grenzern eines Staates filzen lassen, der für
sie damals offiziell überhaupt nicht existierte. Auch deshalb kam dieser
Friedensvertrag nie zustande. Der UdSSR war es zu riskant, Ulbricht die
Hoheit über die Berlinverbindungen zu übertragen. Damit hätte Moskau die
Kontrolle verloren - im schlimmsten Falle die Kontrolle über Krieg und
Frieden.
Die Mauer hat den Kalten Krieg in Europa stillgelegt. Die
Systemkonfrontation fand danach in Kuba und Vietnam statt, nicht mehr in
Berlin.
Der Mauerbau war, wie Kerstin Decker es treffend genannt hat, "ein
stabilisierendes Unglück". Die akute Rivalität der Großmächte in Europa und
deren Versuche die Grenzen von 1945 zu verschieben, waren damit beendet.
Moskau und Washington waren im Grunde froh, dass die Deutschlandfrage seit
1961 nicht mehr akut war und ihre Entspannungsversuche nicht mehr störte.
Der 13. August 1961 war auch die Geburtsstunde der neuen Ostpolitik. Willy
Brandt und Egon Bahr, die beiden leidenschaftliche Antikommunisten, haben
im eingemauerten Westberlin gesehen, dass Adenauers Kurs, jeden Kontakt zur
DDR zu blockieren, nicht weiterführte. Deshalb haben sie aus durchaus
patriotischen Motiven versucht, die Mauer durchlässiger zu machen. Das ging
nicht ohne Zugeständnisse an die DDR und eine Abrüstung in der Rhetorik.
Der Preis dafür waren Anerkennungsgewinne für die DDR.
Die Konservativen haben der SPD oft vorgeworfen, der SED damit zu
nahegekommen zu sein …
Mancher Sozi ist etwas zu weit gegangen. Aber auch die Konservativen
mussten ihre Rhetorik nach und nach abschwächen. Am 25. Jahrestag des
Mauerbaus 1986 gab es eine Feierstunde im Reichstag. Da sagte Bundeskanzler
Kohl, dass die DDR gefestigter denn je sei, der Berliner CDU-Bürgermeister
Eberhard Diepgen warnte davor, die DDR zu destabilisieren. Bis zum
Mauerfall 1989 lautete der Konsens sämtlicher Bundesregierungen: Die Mauer
ist ein Armutszeugnis für den SED-Staat und eine Menschenrechtsverletzung -
aber sie ermöglichte die Entspannung.
Als die DDR 1961 die Grenzen schloss, war das als zeitweise Maßnahme
gedacht - nicht für immer. Die DDR war, bis zu Schabowskis Zettelfarce am
9. November 1989, nicht fähig, die Mauer selbst wieder zu öffnen. Warum
nicht?
1961 dachte die SED-Führung, dass die Mauer überflüssig würde, wenn es
endlich den heiß ersehnten Friedensvertrag gäbe. Der kam aber nicht. Eine
Öffnung der Mauer war für die SED immer zu gefährlich. Denn dann hätte sich
drastisch gezeigt, dass ihr Menschenexperiment, das auf sowjetischen
Bajonetten fußte, nicht die Billigung der Bevölkerung hatte. Es gab keine
realistische Alternative zur Abschottung des Staatssozialismus, den das
System überlebt hätte.
Nach dem 13. August 1961 hofften in der DDR viele Intellektuelle, dass
jetzt endlich ein freierer Sozialismus wachsen würde …
Ja, das war eine echte Hoffnung, die von Stephan Hermlin bis zu Eva-Marie
Hagen viele teilten. Das endete 1965, als die SED die Repression gegen
Künstler wieder verschärfte. Man sollte sich aber über solche Irrtümer
nicht aus der Expostperspektive neunmalklug erheben und Leute, die später
umgedacht haben, bis heute verteufeln. Es ist billig, vom glücklichen Ende
her, die damals Lebenden moralisch zu überfordern. So kann man nicht
Geschichte betrachten, so macht man Geschichte nur für gegenwärtige Zwecke
dienstbar.
13 Aug 2011
## AUTOREN
Stefan Reinecke
Stefan Reinecke
## TAGS
DDR
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