# taz.de -- DDR-Aufarbeitung: Das fast vergessene Gefängnis am Alex | |
> Das ehemalige Polizeigefängnis in der Keibelstraße soll zum Lernort für | |
> Schüler werden. Auch Florian Havemann saß hier ein. | |
Bild: Früher Knast, heute Verwaltung - die Fassade macht da keinen Unterschied. | |
Der weite, freie Himmel leuchtet hell und verlockend hinter den | |
Gitterstäben. Durch das Fenster, ein verstaubtes kleines Viereck oben in | |
der dunkelgrauen Wand, sieht man die Wolken vorbeiziehen. Es ist eng und | |
bedrückend in der kargen Zelle. Eine Pritsche, ein Klo, ein Waschbecken, | |
mehr gibt es hier nicht. Doch wenn man sich ein bisschen streckt, erkennt | |
man in einigen hundert Metern Entfernung sogar die Spitze des Fernsehturms. | |
Wie viele Häftlinge vom DDR-Polizeigefängnis in der Keibelstraße aus auf | |
das Berliner Wahrzeichen blickten, wie viele überhaupt im Laufe der | |
Jahrzehnte hier festgehalten wurden, ist nicht bekannt. Die | |
Senatsverwaltung für Bildung will die Geschichte des Gebäudes nun | |
aufarbeiten. Gemeinsam mit der Robert-Havemann-Gesellschaft soll ein | |
Konzept entwickelt werden, um aus der ehemaligen Untersuchungshaftanstalt | |
einen Lernort für Schüler zu machen. | |
Die Senatsverwaltung war im vergangenen Mai in das ehemalige Präsidium nahe | |
des Alexanderplatzes eingezogen. In direkter Nachbarschaft zu den Büros | |
befindet sich der alte Gefängnistrakt auf sieben Etagen, teils noch im | |
Originalzustand. Wie um einen Schacht verlaufen die mit einem Geländer | |
versehenen Gänge, von denen aus rund 140 Zellen abgehen. "Mir war sofort | |
klar, dass wir hier nicht einziehen können, ohne die Geschichte des Ortes | |
zu erforschen", sagte Staatsekretärin Claudia Zinke am Montag bei der | |
Vorstellung des Projekts. Noch wisse man nicht viel über die Dinge, die | |
sich in dem Gebäude abspielten. | |
Vor allem die Eckdaten sind bekannt: Der Komplex an der | |
Otto-Braun-Straße/Keibelstraße war 1932 Sitz der Hauptverwaltung von | |
Karstadt. 1934 zog das Statistische Reichsamt ein. Nach dem Zweiten | |
Weltkrieg beherbergte das wiederaufgebaute Haus von 1949 bis 1990 das | |
Präsidium der Volkspolizei. | |
Kein Wunder, dass sich die Proteste am 17. Juni 1953 auch gegen das Gebäude | |
am Alex richteten. Nach Aussagen von Zeitzeugen kam es zu einer | |
Straßenschlacht, die Fenster sollen bis in die fünfte Etage hinauf | |
eingeworfen worden sein, berichtete Christian Walther, Sprecher der | |
Bildungsverwaltung. Der Mauerbau ist ebenfalls mit dem Ort verknüpft: Erich | |
Honecker hat Walther zufolge von dem Präsidium aus die Sicherungsmaßnahmen | |
bei der Zementierung der deutschen Teilung organisiert. | |
Auch einige Berichte von ehemaligen Insassen liegen der Bildungsverwaltung | |
bereits vor. Florian Havemann, der Sohn des Regime-Kritikers Robert | |
Havemann, wurde demnach 1966 in die Keibelstraße gebracht, weil er sich mit | |
Zylinder und Frack unter einen Festumzug zum Jahrestag der Republik | |
gemischt hatte. "Wir verbrachten die Nacht in den Fluren des Präsidiums, | |
frei stehend, manche 24 Stunden lang. Hinter uns auf und ab gehend Vopos. | |
Neben mir wurde einer zusammengeschlagen, der nicht mehr stehen konnte", | |
erinnert sich Havemann. Man habe ihm aufgrund seiner Aufmachung | |
vorgeworfen, dass er die DDR zu Grabe habe tragen wollen. Karin Gueffroy, | |
die Mutter des letzten Mauertoten Chris Gueffroy, wurde in dem Gebäude | |
vernommen - und erfuhr hier vom Tod ihres Sohnes. Auch andere namhafte | |
DDR-Bürger wie die Musiker Toni Krahl und Achim Mentzel wurden in der | |
Keibelstraße verhört. | |
Nach der Wende nutzte die Polizei das Gebäude zum Teil noch bis in den 90er | |
Jahre für die Unterbringung von Untersuchungshäftlingen. Danach hielt der | |
Gefängnistrakt vor allem als spektakuläre Kulisse für Filmaufnahmen her. | |
"Männerpension" mit Til Schweiger und eine RTL-Serie seien hier gedreht | |
worden, so Walther. | |
Die historische Bedeutung des Ortes soll nun wieder stärker ins Bewusstsein | |
gerückt werden. Rund 70.000 Euro von der Bundesstiftung Aufarbeitung und | |
der Bildungsverwaltung stehen zur Verfügung, um die Geschichte des | |
Gefängnisses zu erforschen. Das wird nicht leicht, glaubt Tom Sello von der | |
Robert-Havemann-Gesellschaft. "Die Polizei hat 1990 noch viele Unterlagen | |
vernichtet." Er hofft auf weitere Zeitzeugen, Insassen wie ehemalige | |
Mitarbeiter, die ihm von ihren Erlebnissen berichten. | |
Nächsten Spätsommer will die Robert-Havemann-Gesellschaft ein Konzept für | |
den Lernort vorlegen. Dabei müsse die Bedeutung der Polizei in der DDR | |
deutlich werden, so Sello. "Vielleicht kommen wir dann auch etwas von dem | |
bisherigen Stasi-fixiertem Blick weg." Ein öffentliches Museum soll aus dem | |
Gefängnistrakt nicht werden. Zinke sagte: "Das würde viel Geld kosten, das | |
wir nicht haben." | |
## Zeitzeugen können sich unter 030-44710811 melden | |
20 Dec 2010 | |
## AUTOREN | |
Antje Lang-Lendorff | |
Antje Lang-Lendorff | |
## TAGS | |
Alternative für Deutschland (AfD) | |
DDR | |
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