| # taz.de -- Fortschritte bei Stromspeicherung: Wie man Sonne und Wind festhält | |
| > Künftig wird Strom nicht mehr produziert, wenn wir ihn brauchen, sondern | |
| > so erzeugt, wie Wind und Wetter es zulassen. Dann muss er gespeichert | |
| > werden. Nur wie? | |
| Bild: Wohl bald kein Zauberwerk mehr: Speichertechnologien. | |
| BERLIN taz | Es sieht aus wie im Keller von Daniel Düsentrieb. "Herzlich | |
| Willkommen, wir sind die Brücke", sagt Ulrich Zuberbühler. Versteckt im | |
| Gewerbegebiet von Stuttgart-Vaihingen befindet sich einer dieser Orte, an | |
| denen die Energiewende real wird: | |
| Zuberbühler, ein freundlicher schwäbischer Tüftler, ist Projektleiter am | |
| Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoffforschung, kurz ZSW. "Damit haben | |
| wir vor kurzem einen Weltrekord erzielt, die effizienteste | |
| Dünnschicht-Solarzelle der Welt", erzählt er nebenbei und biegt eine | |
| Solarzelle, kaum dicker als der Einband eines Taschenbuches, um ein Rohr. | |
| Dann deutet er auf ein schrankgroßen Kasten. Daraus soll einmal das mit | |
| Wasserstoff laufende Minikraftwerk für zu Hause werden. Eine Metalltreppe | |
| runter harrt die nächste Erfindung ihrer Marktreife. Das Ziel: aus Schilf | |
| und Holzresten Biogas herausholen. | |
| Die eigentliche Brücke steht im Innenhof. Zuberbühler schließt zwei graue, | |
| garagengroße Container auf und sagt fast entschuldigend: "So schaut das aus | |
| hier. Ein Haufen Rohre und Zeug." Es sieht gänzlich unspektakulär nach | |
| Heizkeller aus. | |
| ## Ökoenergie kann langfristig gespeichert werden | |
| Doch was im Inneren der in Styropor verpackten Rohre und Zeug passiert, hat | |
| das Zeug dazu, eines der großen Probleme zu lösen, wenn Sonne und Wind | |
| Atomkraft und Kohle ersetzen sollen: die Frage nämlich, wie man Ökoenergie | |
| langfristig speichern kann. Denn in dieser Apparatur wird aus Wasser und | |
| Luft Methan gewonnen, also Strom in reines Erdgas umgewandelt. | |
| Momentan bezieht Deutschland seinen Strom zum großen Teil aus Kohle. Die | |
| kann man stapeln, transportieren und nach Bedarf verbrennen. Künftig | |
| allerdings wird Strom abhängig vom Wetter von Windrädern und Solaranlagen | |
| erzeugt werden. Er muss gespeichert werden, bis er gebraucht wird. Und das | |
| möglichst günstig. Nur wie und wo? | |
| Die heute übliche Technik sind Pumpspeicherkraftwerke, künstliche Seen in | |
| den Mittelgebirgen. Sie bringen heute eine Leistung von 6,7 Gigawatt, das | |
| entspricht etwa sechs bis sieben Atomreaktoren. Das Prinzip ist einfach: | |
| Ist zu viel Strom da, verbrauchen ihn Pumpspeicher, in dem sie Wasser aus | |
| einem Tal in einen höher liegenden See befördern. Wird später Strom | |
| benötigt, rauscht es durch Rohre den Hang hinab und treibt Turbinen an. | |
| Damit können sie Deutschland 30 Minuten versorgen, dann ist die | |
| Bundeswasserbatterie leer. | |
| ## Nicht genug Platz für Speicherseen | |
| "Die Potenziale von Pumpspeichertechnologien in Deutschland reichen nicht | |
| aus, um die fluktuierende Stromerzeugung durch erneuerbare Energien | |
| auszugleichen", schrieb die Bundesregierung kürzlich auf eine kleine | |
| Anfrage der Linksfraktion. Das Fraunhofer Institut für Windenergie- und | |
| Energiesystemtechnik hat berechnet, was für eine Kapazität Pumpspeicher | |
| haben müssten, wenn sich Deutschland komplett mit regenerativem Strom | |
| versorgen will: Das 500-fache der heutigen. So viele Speicherseen sind in | |
| den hiesigen Gebirgen nicht einmal annähernd möglich. | |
| Denn das künftige Energiesystem muss Extremfälle aushalten: Wenn alle paar | |
| Jahre in ganz Deutschland oder sogar ganz Europa Flaute herrscht, stehen | |
| flächendeckend Windräder still. Diese Zeiten müssen aus Vorräten überbrüc… | |
| werden, so wie Kornspeicher, wenn die Ernten schlecht ausfallen. An Tagen, | |
| an denen Wind- und Solaranlagen ihre volle Leistung abgeben, ist wiederum | |
| viel zu viel Strom da, der nicht verbraucht werden kann. Dann können die | |
| Speicher gefüllt werden. | |
| ## Windräder im Norden, Koventionell-Strom im Süden | |
| Bereits ab dem Jahr 2015 stehen hierzulande so viele Windräder, dass sich | |
| das Land immer dann komplett mit Windstrom versorgen kann, wenn eine | |
| entsprechend steife Brise herrscht. Theoretisch. Praktisch drehen sich die | |
| meisten Mühlen im Norden, der Strom wird aber in den Industriezentren | |
| weiter südlich benötigt. Dort stehen konventionelle Kraftwerke, die noch | |
| Jahre am Netz bleiben und die Versorgung übernehmen werden. Für die | |
| Windmühlen heißt das: Sie müssen ihren Strom speichern. Oder sie stehen bei | |
| besten Windverhältnissen still, weil ihr Strom gerade nicht benötigt wird. | |
| In den nächsten Jahren bedeutet das nur ökonomische Verluste. Für die Zeit | |
| ohne konventionelle Kraftwerke, irgendwann nach 2020, sind Energiespeicher | |
| aber existenziell. Sie müssen die Wetterextreme überbrücken und Energie | |
| langfristig, auch über Wochen und Monate, speichern können. Für derart | |
| lange Zeiträume eignet sich keine der herkömmlichen Technologien: Batterien | |
| sind unmöglich in einer solchen Größenordnung zu bauen, zudem viel zu | |
| teuer. | |
| Die Bundesregierung strebt an, die Bergseen Norwegens, Österreichs oder der | |
| Schweiz zu nutzen, um daraus gewaltige Pumpspeicher zu machen, die dann bei | |
| Bedarf genug Strom aus Wasserkraft erzeugen. Die norwegisch-schwedische | |
| Firma NorGer etwa will bis 2015 für 1,4 Milliarden Euro ein 540 Kilometer | |
| langes Kabel mit der Leistung eines Atommeilers von der niedersächsischen | |
| Küste nach Norwegen legen. Doch um das deutsche Speicherproblem zu lösen, | |
| müssten Dutzende verlegt werden. | |
| Zuberbühler fragt sich, warum man nicht die Lösung vor der eigenen Haustüre | |
| suchen soll. Nicht mit Kabeln nach Norden, sondern mit Brücken ins Gasnetz. | |
| In Deutschland befinden sich 47 Erdgas-Kavernen, unterirdische Hohlräume, | |
| in denen das Gas gespeichert wird, eigentlich als Notvorrat gedacht. Genug, | |
| um das Land mehrere Wochen zu versorgen. Sie sind mit 400.000 Kilometern | |
| Leitungen verbunden, die das Land durchziehen. | |
| ## Riesige Batterie | |
| Zuberbühler sieht darin eine riesige Batterie, die von überall geladen und | |
| entladen werden kann. Man muss nur den überschüssigen Ökostrom verwenden, | |
| um Gas herzustellen. Das kann fast beliebig lang gespeichert werden - und | |
| je nach Bedarf wieder zur Stromerzeugung, zum Heizen oder auch im Tank von | |
| Erdgasfahrzeugen genutzt werden. | |
| Und was sagt die Industrie zu der Idee? Die Politik? Das versucht derzeit | |
| Gregor Waldstein auszuloten, Gründer des Start-Ups "Solar Fuel". Er hat die | |
| Versuchsanlage in Stuttgart finanziert. Zwei Kunden hat er bereits | |
| gewonnen. Die Firma Juwi, einer der führenden Projektentwickler für | |
| regenerative Energien in Deutschland, ist von der Technik begeistert. Zudem | |
| steigt Audi ein. Audi will ab 2013 ein Erdgas-Fahrzeug auf den Markt | |
| bringen, das gegen einen Aufpreis klimaneutral fahren soll. Die gleiche | |
| Menge fossiles Erdgas, die getankt wird, erzeugt Audi in einer Anlage von | |
| Waldsteins Firma mithilfe von Ökostrom und speist es wieder ins Netz ein. | |
| Seit der Ausstieg aus der Atomenergie beschlossen ist, bekommt Waldstein | |
| Einladung zu Konferenzen, auf denen die Großen der Energiebranche zuhören. | |
| Und Erdgas aus Ökostrom wird künftig genauso gefördert wie Biogas vom | |
| Acker. | |
| ## Eon, RWE, Vattenfall und EnBW | |
| Waldstein klickt in einer Berliner Hotellobby gerade die letzten Folien für | |
| einen Vortrag zusammen, über den er nur sagt: "Unglaublich, wer uns auf | |
| einmal alles zuhört." Er ist zu einer Tagung der Zeitschrift Focus über | |
| Energiespeicher geladen. Die Regenerativ-Branche ist da, Wissenschaftler, | |
| Politiker, aber auch Eon, RWE, Vattenfall und EnBW. Die vier Konzerne, die | |
| auf einmal lernen müssen, auf Menschen mit Ideen wie Zuberbühler und | |
| Waldstein zuzugehen. | |
| Die Einstellung hat sich grundlegend geändert, heute wollen auch die großen | |
| Energiekonzerne Gas als Energiespeicher nutzen. Erste Windparks werden | |
| derzeit entsprechend ausgerüstet, Eon und RWE arbeiten ebenfalls daran. | |
| Auch Greenpeace Energy wird bald "Windgas" für Privatkunden anbieten. | |
| Allerdings nutzt man da Wasserstoff, das in der Anlage von Solar Fuel als | |
| Vorprodukt von Methan anfällt. Das Ergebnis bleibt gleich: Strom wird im | |
| deutschen Erdgasnetz gespeichert. | |
| ## Vattenfall-Geschäftsführer: "großartige Idee | |
| Bei der Deutschen Energie-Agentur sitzen derzeit Experten zusammen, die | |
| untersuchen, ob die Quote erhöht werden kann. Im Gespräch sind bis zu 15 | |
| Prozent, allerdings müssten Gasherde oder Kraftwerke damit umgehen können. | |
| Eine "großartige Idee" sei das, findet beispielsweise Oliver Weinmann, | |
| Geschäftsführer der Vattenfall Europa Innovation. | |
| Noch stehen sämtliche Techniken der Stromspeicherung als Gas am Anfang | |
| ihrer Entwicklung. Ob und wie schnell sie sich durchsetzen? Das wird vor | |
| allem eine Geldfrage sein. "Die entscheidende Größe ist der Preis pro | |
| Kilowattstunde gespeichertem Strom", sagt Dirk Uwe Sauer von der | |
| Technischen Hochschule Aachen. Sollte der Preis zu hoch sein, muss die | |
| Politik Energiespeicher zusätzlich fördern. Ansonsten wäre es vielleicht | |
| günstiger, überschüssigen Wind- und Sonnenstrom einfach wegzuwerfen und bei | |
| Bedarf Strom zu importieren. In Frankreich stehen noch genug | |
| Atomkraftwerke. | |
| 18 Aug 2011 | |
| ## AUTOREN | |
| Ingo Arzt | |
| ## TAGS | |
| Solarenergie | |
| Schwerpunkt Atomkraft | |
| Schwerpunkt Atomkraft | |
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