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# taz.de -- Debatte Energiewende: Die Zukunft beginnt jetzt
> Welche Energiewende wollen wir? Die vier entscheidenden Streitfragen
> müssen schleunigst diskutiert werden. Sonst drohen Preisanstiege und
> Stromausfälle.
Bild: "Sun Valley" bei der Shanghai World Expo 2010.
Streitfrage 1: Zentral oder dezentral? Über 80 Prozent der
Erzeugungskapazitäten in konventionellen Großkraftwerken sind in der Hand
von vier großen Energiekonzernen. Das Geschäft mit der Erzeugung
erneuerbarer Energie in dezentralen Anlagen beherrschen sie nicht. Hier
liegt ihr Marktanteil unter 20 Prozent. Die Konzerne haben Interesse, auch
die erneuerbaren Energien künftig in Großkraftwerken zu transformieren.
Dieses Interesse ist die beste Erklärung für die immer wiederkehrenden
Versuche, die Stromerzeugung durch Sonne und Wind in Kleinanlagen zu
begrenzen und Offshore-Großprojekte stärker zu fördern. Ökonomisch gibt es
dafür keinen Grund.
Strom aus Fotovoltaik ist mit Erzeugungskosten von rund 20 Cent pro kWh
etwa gleich teuer wie Strom von der Hochsee, wenn man die Kosten der
Tiefseekabel für den Stromtransport einrechnet. Und Strom aus
Windkraftanlagen an Land ist heute und in Zukunft nur halb so teuer wie
Strom aus Hochseewindparks.
Wenn die Bundesregierung dennoch die Förderung der Fotovoltaik und der
Windkraft an Land drastisch kürzt, um gleichzeitig die Vergütung für
Offshore-Windparks deutlich zu erhöhen, ist das volkswirtschaftlich
unvernünftig. Die Profiteure sind allein die großen Konzerne, denn einzelne
Stadtwerke oder Bürgerenergiegesellschaften können Investitionen von bis zu
2 Milliarden Euro für einen Hochseewindpark nicht stemmen.
Streitfrage 2: Welche Speicher? Im Wesentlichen stehen drei Optionen zur
Wahl: Pumpspeicherkraftwerke, Batteriespeicher und Erdgasspeicher.
Pumpspeicherkraftwerke sind besonders im Alpenraum seit mehr als 100 Jahren
etabliert, aber in der Kapazität sehr begrenzt. Benötigt wird
voraussichtlich eine Speicherkapazität für mehrere Wochen des deutschen
Stromverbrauchs. Pumpspeicher decken davon nur einige Stunden ab. In
Skandinavien steht schon heute ein Speichervolumen in Stauseen zur
Verfügung, das einen Großteil des kurzfristigen europäischen
Speicherenergiebedarfs decken könnte. Allerdings fehlt in der Regel das
Unterbecken und für den Transport der Energie bräuchte es gigantische
Netze.
Batteriespeicher sind derzeit wegen des Aufschwungs der Elektromobilität in
aller Munde. Die Batterien für Elektroautos sind aber noch sehr teuer, und
für den Einsatz als Speicher müsste das gesamte Mittelspannungsnetz neu
aufgebaut werden, weil die Leistungsfähigkeit von Transformatoren und
Leitungen für derartige Belastungen bei weitem nicht ausreicht.
Der jüngste Vorschlag mit Aussicht auf zügige Realisierung setzt auf die
vorhandenen Erdgaskavernenspeicher in Deutschland. Deren Fassungsvermögen
ist so groß, dass tatsächlich der gesamte Speicherenergiebedarf des
deutschen Stromnetzes abgedeckt werden könnte. Zur Stromerzeugung können
hocheffiziente Gaskraftwerke und kleine Blockheizkraftwerke eingesetzt
werden.
Um überschüssige erneuerbare Energie einzuspeichern, steht grundsätzlich
der Prozess der Wasserstoff-Elektrolyse zur Verfügung. Der Wasserstoff
kann, ohne eine gesonderte Infrastruktur zu erfordern, bis zu einem Anteil
von 10 Prozent direkt dem Erdgas beigemischt werden, erst darüber hinaus
wird es erforderlich sein, zur Methanisierungstechnologie zu greifen, bei
der mit Strom CO2 und Wasser in Erdgas (Methan) umgewandelt wird. Im
großtechnischen Maßstab muss dies allerdings noch realisiert werden. Zu
prüfen ist jedoch auch, ob nicht mit bekannten Verfahren wie der
kombinierten Nutzung von Kraft-Wärme-Kopplung, Wärmespeichern und
Wärmepumpen kosteneffiziente Speichertechnologien entwickelt werden können.
Die Lösung der Speicherfrage ist dringend. Einen Königsweg gibt es nicht.
Pumpspeicherwerke wie im Schwarzwald sind leichter durchsetzbar, wenn die
Alternativen in Skandinavien oder im Erdgasnetz geprüft und als nicht
ausreichend oder als derzeit unwirtschaftlich erkannt sind.
Streitfrage 3: Welche Brücken? Da die Vollversorgung mit erneuerbaren
Energien noch Zeit braucht, benötigen wir Brückentechnologien. Relevante
Kräfte in Union und SPD setzen wieder verstärkt auf Kohlekraftwerke. Diese
können den Regelenergiebedarf jedoch nur eingeschränkt abdecken und sind
zudem teurer als Gaskraftwerke.
Für die Grünen sind hocheffiziente Erdgaskraftwerke derzeit die einzige
akzeptable fossile Brücke zu den erneuerbaren Energien. Allerdings ist
selbst deren Bau wirtschaftlich kaum attraktiv, weil sie nicht genügend
Jahresbetriebsstunden erreichen.
Streitfrage 4: Welche Leitungen? Der sinnvolle Ausbau der Stromnetze setzt
Entscheidungen über die Technik und die Standorte von Brückenkraftwerken
und Speichern voraus. Wenn skandinavische Speicher und Strom aus der
afrikanischen Wüste eine großtechnische Lösung im interkontinentalen
Maßstab liefern sollen, dann werden Hochspannungsübertragungsleitungen quer
durch Europa und Deutschland erforderlich. Wenn dezentrale
Erzeugungsstrukturen und dezentrale Speicher in Verbindung mit dem
Erdgasnetz zur Bereitstellung von Regelenergie die Zukunft sind, spielen
derartige Investitionen eine zumindest geringere Rolle. Wer in Deutschland
Leitungen bauen will, muss Bürgerinitiativen erklären können, welche
Struktur der zukunftsweisenden Energieversorgung diese erforderlich macht.
Das Stuttgarter Umweltministerium wird im Herbst Regionalkonferenzen zur
Energiewende und zu der Frage durchführen, wie man mehr Windenergie mit
regionaler Wertschöpfung verknüpfen kann.
Erstaunlicherweise ist diese Debatte aus der Fachwelt gerade erst dabei,
die Politik und die Öffentlichkeit zu erreichen. Dabei steht viel auf dem
Spiel! Wird die Energiewende falsch angepackt, drohen längere Stromausfälle
oder extreme Preisanstiege. Verfolgen wir hingegen eine finanziell und
ökologisch optimierte Umbaustrategie für eine Vollversorgung mit
erneuerbaren Energien, können wir Deutschland große wirtschaftliche
Vorteile sichern: Unabhängigkeit von Energieimporten, günstige Strompreise
und einen Vorsprung für die Industrie, die neue Technologien für die
erneuerbare Vollversorgung entwickelt.
22 Aug 2011
## AUTOREN
B. Palmer
F. Untersteller
## TAGS
Schwerpunkt Atomkraft
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