| # taz.de -- Krieg in Libyen: Die schönste Krise, die es je gab | |
| > Tripolis ist frei, die größte Aufgabe ist jetzt die Versorgung der Stadt. | |
| > Obwohl sie nicht wissen, wie sie das Ende des Ramadans feiern sollen, | |
| > bleiben die Libyer optimistisch. | |
| Bild: Kostbares und seltenes Gut: Wasser in Tripolis. | |
| TRIPOLIS taz | Stolz hat jemand "Libyen ist frei" auf den | |
| Stromverteilerkasten im Zentrum von Tripolis geschrieben. Das war wohl kurz | |
| nach der Eroberung der Stadt durch die Rebellen, da wussten sie noch nicht, | |
| dass das mit der Elektrizität eine ihrer ersten großen Herausforderungen | |
| werden wird. Oder besser gesagt – die eigentliche Herausforderung ist der | |
| Nachschub mit Dieseltreibstoff, denn ohne den geht in Tripolis so ziemlich | |
| gar nichts. Die E-Werke versorgen die Stadt nur sporadisch mit Strom, die | |
| Dieselpumpen der Wasserwerke stehen still. | |
| Überall in der Innenstadt kann man kleine Bulldozer sehen, die versuchen, | |
| den Müll, der seit Tagen nicht abgeholt wurde, wenigstens an einigen | |
| wenigen Stellen zusammenzuschieben. Es ist ein großes Problem für die | |
| Einwohner der Stadt, an Geld zu kommen. Die Löhne wurden zum Teil seit zwei | |
| Monaten nicht ausgezahlt. Vor einigen Bankfilialen haben sich Beamte und | |
| Angestellte in den Schatten gesetzt, in der Hoffnung, am Monatsende doch | |
| noch irgendwie einen Teil des ihnen zustehenden Lohns zu bekommen. Doch die | |
| Türen der Banken bleiben geschlossen. Die Geldautomaten spucken die Karten | |
| unverrichteter Dinge wieder aus. | |
| Auch vor den Bäckereien stehen sie Schlange. Es gibt nicht genug Gas, um | |
| den Backofen zu befeuern. Das ist für die 1,5 Millionen Menschen von | |
| Tripolis besonders tragisch, denn am Dienstag beginnt das kleine | |
| Beiramfest, an dem das Ende des Fastenmonats Ramadan gefeiert wird. Nun | |
| werden die ersten Tage nach dem Ende des Fastens eher karg ausfallen. | |
| Ein Kleinlaster, beladen mit Obst und Gemüse, hält an einer Straßenecke. Er | |
| ist aus einem der ländlichen Bezirke in der Nachbarschaft nach Tripolis | |
| gekommen. Innerhalb weniger Minuten bildet sich um ihn eine Menschentraube. | |
| "Unser Hauptproblem ist Wasser und Strom, Gemüse und Obst können wir | |
| kaufen, wenngleich zu oft sehr hohen Preisen", sagt einer der Käufer. Seine | |
| Frau ruft nur eine kurzes "Alles wird gut – so Gott will!" | |
| ## Ein fröhlicher Rentner | |
| Auffällig ist, wie gelassen die Einwohner der Stadt die Versorgungskrise | |
| nehmen. Nicht weit vom Grünen Platz entfernt, den die Rebellen nun in Platz | |
| der Märtyrer umbenannt haben, schiebt Rentner Abdel Hazif al-Jabali eine | |
| Schubkarre mit unterschiedlichen Behältern vor einer geschlossenen | |
| Ladenzeile entlang, vor der die für Tripolis so typischen weiß | |
| angestrichenen Arkaden Schatten spenden. Die Behälter sind voller Wasser. | |
| Er hat das Wasser zum Waschen von einem der Brunnen der Stadt geholt. | |
| "Der Strom kommt und geht und das Wasser ist abgestellt", beschreibt der | |
| 70-jährige einstige Militäroffizier das Grundproblem. Schnell fügt er | |
| hinzu, dass der Strom immer gerade rechtzeitig wiederkomme, wenn die Dinge | |
| im Gefrierfach aufzutauen beginnen. "Das ist die schönste Krise meines | |
| Lebens. Wir sind Gaddafi los, bekommen eine Demokratie und können alle vier | |
| Jahren jemand neuen wählen", sagt er. | |
| Ein paar hundert Meter weiter in der Nähe des Kleidermarkts haben sich die | |
| Menschen bei einem Tanklastwagen angestellt. Gebracht haben ihn die | |
| Rebellen aus Tajouru, einem ländlichen Bezirk außerhalb der Stadt. "Das ist | |
| schon die dritte Lieferung", sagt der Kämpfer Ajoub Salim, der das Wasser | |
| ausgibt und eine Kalaschnikow auf den Rücken geschnallt hat. "Vor ein paar | |
| Tagen haben wir noch mit unseren Waffen gegen die Gaddafi-Truppen gekämpft, | |
| jetzt kämpfen wir darum, die Bevölkerung von Tripolis mit Trinkwasser zu | |
| versorgen", beschreibt er seine neue Mission. | |
| "Wir Libyer haben Geduld, halten viel aus und haben unseren Glauben an | |
| Gott", sagt Mamdouh Amir, der hier um Wasser ansteht. "Ihr im Westen | |
| berichtet immer nur darüber, wie wir Libyer uns gegenseitig die Köpfe | |
| einschlagen", tadelt sein Nachbar Moez Osman. "Jetzt könnt ihr sehen, wie | |
| wir uns gegenseitig helfen". | |
| 29 Aug 2011 | |
| ## AUTOREN | |
| Karim Gawhary | |
| Karim El-Gawhary | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Angst vor libyschen Waffen: Kriegstrommeln in der Sahara | |
| Mit der Aufnahme von Gaddafi-Angehörigen stellt sich Algeriens Regierung | |
| gegen die libyschen Rebellen. In der Region wächst die Sorge um den | |
| Verbleib von Gaddafis Waffen. | |
| Menschenrechtsverletzungen in Libyen: Dokumente der Gewalt | |
| Internationale Organisationen erheben schwere Vorwürfe gegen Gaddafi - aber | |
| auch gegen die Rebellen. Gefordert wird, dass die in Libyen lebenden | |
| Afrikaner geschützt werden. | |
| Völkerrechtler über UN-Resolution 1973: "Die Nato darf Gaddafi festnehmen" | |
| Die UN-Resolution 1973 gibt der Nato weitreichende Befugnisse, selbst | |
| Bodentruppen sind möglich, sagt der Völkerrechtler Andreas Zimmermann. Nur | |
| eine Besatzung nicht. | |
| Asyl für Gaddafi-Familie in Algerien: Rebellen verlangen Auslieferung | |
| Die Frau von Muammar al-Gaddafi und drei seiner Kinder sind nach Algerien | |
| geflohen. Die Rebellen sind empört und verlangen ihre Auslieferung. | |
| Gaddafis Aufenthaltsort ist weiter unbekannt. | |
| Kommentar Gaddafi: Zeugnisse der Grausamkeit | |
| Ein Diktator, der dazu aufruft, eine Millionenstadt Haus für Haus von | |
| "Ratten" zu säubern, ist nichts anderes als ein Anstifter zum Völkermord. | |
| Krieg in Libyen: 50.000 Häftlinge spurlos verschwunden | |
| Den Gaddafi-Truppen werden schwere Kriegsgreuel vorgeworfen. Sie sollen in | |
| Tripolis Gefangene und Klinikpersonal ermordet haben. Derweil versuchen die | |
| Rebellen die Stadt Sirte zu erobern. | |
| Krieg in Libyen: Nationalrat zieht nach Tripolis | |
| Die Aufständischen wollen jetzt in der Hauptstadt regieren, wo Kämpfe | |
| nachlassen. Der UN-Sicherheitsrat gibt erste Gaddafi-Gelder frei und | |
| Amnesty wirft beiden Seiten Folter vor. | |
| Kommentar Aufbauhilfe für Libyen: Libyer, passt auf! | |
| Die Libyer sollten aufpassen und ihre Berater selbst gut aussuchen. Denn | |
| die drohende Invasion der "Selbstgerechten" ist erst in Afghanistan | |
| erfolgreich gescheitert. | |
| Krieg in Libyen: Kampfjets schießen auf Gaddafi-Bunker | |
| Britische Kampfjets schießen auf den Gaddafi-Bunker. Amnesty International | |
| beschuldigt beide Seiten der Folter und die Bundesregierung schließt den | |
| Einsatz der Bundeswehr nicht aus. |