# taz.de -- Angst vor libyschen Waffen: Kriegstrommeln in der Sahara | |
> Mit der Aufnahme von Gaddafi-Angehörigen stellt sich Algeriens Regierung | |
> gegen die libyschen Rebellen. In der Region wächst die Sorge um den | |
> Verbleib von Gaddafis Waffen. | |
Bild: Bis vor kurzem undenkbar: Karikaturisten suchen auf ihre Art nach Gaddafi. | |
BERLIN taz | Die libysche Revolution hat ihren ersten äußeren Feind. | |
Erzürnt haben Libyens Rebellen auf die Aufnahme enger Familienangehöriger | |
des gestürzten Diktators Muammar al-Gaddafi durch Algerien reagiert. Das | |
nach offiziellen algerischen Angaben aus "humanitären Gründen" gewährte | |
Asyl für Gaddafis Ehefrau Safia, Tochter Aisha und die Söhne Muhammad und | |
Hannibal sei ein "aggressiver Akt gegen das libysche Volk", erklärte ein | |
Sprecher des Übergangsrats im libyschen Bengasi. | |
Am Montag früh, so das algerische Außenministerium, überquerte ein | |
Autokonvoi mit den vier Gaddafi-Größen die Grenze. Schon am Wochenende | |
hatten Gerüchte die Runde gemacht, Gaddafi höchstpersönlich habe in einer | |
Autokolonne aus gepanzerten Mercedes-Limousinen die Grenze nach Algerien | |
überquert. | |
Dies hatte Algerien dementiert. Nach einem britischen TV-Bericht unter | |
Berufung auf ehemalige Gaddafi-Leibwächter in Tripolis war die | |
Gaddafi-Familie samt Gaddafi am vergangenen Freitag aus Tripolis ins | |
südlibysche Sabha gereist. | |
Von Sabha wären es über 500 Kilometer unbewachte Sandpiste bis nach | |
Algerien. Die algerisch-libysche Grenze ist fast 1.000 Kilometer lang und | |
führt durch einige der unwegsamsten Wüstengebiete der Sahara. Algerien | |
verkündete am Montag die Schließung der Grenze – ein eher symbolischer Akt. | |
Algerien sieht Libyens Machtwechsel skeptisch. Algier traut Libyens | |
Rebellen nicht, denn die lassen sich von Frankreich helfen, unter dessen | |
Gewaltherrschaft kein Land in der Region mehr gelitten hat als Algerien. | |
Die in Algerien regierende ehemalige Befreiungsbewegung FLN (Nationale | |
Befreiungsfront) steht Gaddafi ideologisch nahe, wenngleich sie mit ihm nie | |
wirklich verbündet war. Die Regierungen in Algier und Tripolis kämpften | |
beide in den neunziger Jahren mit großer Brutalität gegen Islamisten. | |
## Islamisten im Widerstand | |
Die bewaffneten Islamisten Algeriens haben sich mittlerweile in "Al-Qaida | |
im islamischen Maghreb" (AQMI) umbenannt und sind vor allem in Mali, Niger | |
und Mauretanien aktiv, aber auch in Algerien selbst. | |
Die ehemaligen Islamisten Libyens gehören inzwischen zu den libyschen | |
Rebellen. Daraus zieht das offizielle Algerien den Schluss, Libyens | |
Revolution sei von al-Qaida unterwandert, und es drohten jetzt an Algeriens | |
Grenzen somalische oder afghanische Zustände, gefördert vom Westen. | |
Algeriens prominenteste Linkspolitikerin Louisa Hanioune hat daher den | |
Umsturz in Libyen verurteilt, die Islamisten der zugelassenen Partei Islah | |
haben ihn begrüßt. Die Analysen zeugen jedoch von einer gewissen | |
Ratlosigkeit. | |
## "Israel besetzt Libyen" | |
"Tripolis fällt, al-Qaida siegt", betitelte die algerische Zeitung | |
LExpression, die dem Militär nahe steht, am 23. August die Libyen-Analyse | |
ihres Chefkolumnisten. Zwei Tage später stand über seinem nächsten Artikel | |
"Israel besetzt Libyen". | |
Mehr Substanz hat die Befürchtung, der libysche Konflikt könne die Region | |
destabilisieren. Libyen klirrt vor Waffen, aber wo diese jetzt genau sind, | |
weiß niemand. | |
Zu Beginn des Aufstands öffneten die Rebellen die von ihnen eroberten | |
Militärbasen, um das Volk zu bewaffnen. Viele Waffen aber verschwanden. Am | |
12. April griff die Armee des südlichen Nachbarlandes Niger in der Wüste | |
einen Schmuggelkonvoi mit großen Mengen Sprengstoff und Zündern aus Libyen | |
auf. Im Mai berichteten die Geheimdienste Malis und Algeriens, AQMI habe in | |
Libyen Boden-Luft-Raketen des Typs SAM-7 erworben. | |
## Dienstwagen geklaut | |
Malis Außenminister Boubeye Maiga sprach im Mai in einem Interview von | |
einem "Zustrom schwerer Waffen, die aus libyschen Arsenalen gestohlen | |
wurden". Mitte Mai wurde der nagelneue Dienstwagen des Gardekommandanten | |
der nordmalischen Stadt Kidal von Bewaffneten gestohlen und, so Malis | |
Regierung, von AQMI nach Libyen verkauft – allerdings vermutlich an das | |
Gaddafi-Lager. | |
Denn je schwächer Gaddafi wurde, desto mehr suchte er Hilfe bei alten | |
Freunden unter ehemaligen Rebellen der Sahelstaaten. In den neunziger | |
Jahren hatte Libyen in Mali und Niger Tuareg-Kämpfer ausgerüstet, die gegen | |
ihre Regierungen in den Krieg zogen. | |
Schätzungsweise 2.000 gut ausgebildete Tuareg-Söldner sollen dieses Jahr | |
auf Gaddafis Seite in Libyen gekämpft haben. Sie sind jetzt auf dem Rückweg | |
in ihre Heimatländer Niger und Mali, was gehörig Angst schürt. Im Norden | |
Malis meldeten lokale Quellen Anfang dieser Woche die Ankunft von bis zu 50 | |
Panzerfahrzeugen unter Kommando eines Tuareg-Oberstleutnants der | |
Gaddafi-Armee, ähnliche Nachrichten kommen aus Niger. | |
## Bollwerk Algerien | |
Algerien sieht sich jetzt als Bollwerk gegen den islamistischen Terror – | |
und Libyen als derzeit größten Motor der Instabilität. Deutlich zugenommen | |
haben seit dem Beginn des Libyenkrieges die AQMI-Angriffe in Algerien | |
selbst. | |
Keine Woche vergeht mehr ohne Scharmützel, Anschläge und Tote vor allem in | |
den Bergwäldern der Kabylei. Ihren blutigsten Anschlag des Jahres verübten | |
die Islamisten am vergangenen Freitag, als sie bei einem Selbstmordanschlag | |
auf die Militärakademie von Cherchell 18 Soldaten töteten. | |
Zum zehnten Jahrestag der Anschläge vom 11. September werden nächste Woche | |
Vertreter von über 25 Ländern unter der Ägide des US-Afrikakommandos | |
"Africom" in Algier zu einem Antiterrorgipfel erwartet. Man darf gespannt | |
sein, ob Libyens neue Herren dazustoßen. | |
30 Aug 2011 | |
## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
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