# taz.de -- Diskussion um CO2-Endlager: Bremsen oder Gas geben | |
> Manche Umweltschützer halten die CO2-Speicherung für gefährlich, andere | |
> sehen sie als Notbremse gegen die Klimakatastrophe. Die Kohleindustrie | |
> hofft jedenfalls. | |
Bild: BUND und Greenpeace schlagen Alarm, doch in der Bevölkerung rührt sich … | |
Rundherum grüne Wiese und Landstraße, am Horizont ein Windrad. Zwei große | |
weiße Tanks, eine Gewirr aus silbernen Rohren und Pipelines, die auch im | |
Sommer mit Eis verkrustet sind. Ein Container, eine Baracke und ein | |
Bohrkopf. Mehr sieht man nicht von einem Experiment, das die Welt retten | |
soll. Oder den nächsten Öko-GAU vorbereitet. Je nach Standpunkt. | |
Ketzin, ein Nest 30 Kilometer westlich von Berlin, ist weltberühmt. Oder | |
besser: Berühmt ist sein Untergrund. Denn was hier das Geoforschungszentrum | |
Potsdam (GFZ) mit seinem Projekt CO2SINK seit drei Jahren mit deutscher | |
Sorgfalt und Ingenieurskunst weltweit zum ersten Mal untersucht - Carbon | |
Capture and Storage (CCS), das Abtrennen und Speichern von CO2 unter der | |
Erde -, kann die deutsche und internationale Klimapolitik revolutionieren: | |
Ist es möglich, das Klimagas Kohlendioxid unter der Erde sicher zu lagern | |
und so den Klimawandel zu beherrschen? | |
Oder schafft man damit neue Risiken? Noch befindet sich kaum CO2 unter der | |
Erde, doch die Stimmung in Deutschland kocht bereits hoch: Ganze Regionen | |
sind in Aufruhr, Wissenschaftler bringen sich in Stellung, Energiekonzerne | |
feiern das Verfahren. Und die Umweltschützer sind gespalten: Ist CCS | |
Teufelszeug oder Notbremse? | |
CCS ist das Eingeständnis, dass die bisherige Klimapolitik gescheitert ist: | |
Mit herkömmlichen Mitteln sind die Treibhausgasemissionen nicht schnell | |
genug zu begrenzen, um einen gefährlichen Klimawandel jenseits von zwei | |
Grad zu vermeiden. Das Tückische am Klimaproblem: die Gefahr für die | |
Atmosphäre weder zu sehen noch zu hören oder zu riechen. Aber auch die | |
potenzielle Gefahr durch das Kohlendioxid in 650 Meter Tiefe bleibt | |
abstrakt, oberirdisch ist in Ketzin wenig zu sehen. Und trotzdem muss der | |
Bundesrat morgen entscheiden: Soll CCS in Deutschland im industriellen | |
Maßstab ausprobiert werden? | |
Ja, meint die Bundesregierung. Sie hat im zweiten Anlauf ein Gesetz | |
beschlossen, das der Technik den Weg ebnen soll. Nein, sagt eine lautstarke | |
Front von Umweltverbänden und lokalen Bürgerinitiativen. "CCS ist nur ein | |
grünes Mäntelchen für den Weiterbetrieb der Kohlekraftwerke", kritisiert | |
Tina Löffelsend, die für den BUND die Anti-CCS-Politik koordiniert. Das | |
Versprechen von "clean coal" verhindere den Ausstieg aus dem Klimakiller | |
Kohle. | |
## "Für Klimaschutz zu spät" | |
Für die Gegner ist die Technik der Tanz auf dem Treibhausvulkan: Ihre | |
Gutachten bezweifeln, dass die Endlager über tausende von Jahren sicher | |
sind; sie prangern die hohen Kosten an, die besser in neue Energien fließen | |
sollten; sie sagen, CCS käme für den Klimaschutz eh zu spät; sie monieren, | |
dass die Abscheidung des Gases zusätzliche Energie kostet und | |
CCS-Kraftwerke deswegen bis zu 30 Prozent mehr CO2 ausstoßen. | |
Das Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt, Energie warnt, dass ein schneller | |
Ausbau von erneuerbarer Energie die Preise für CCS in den Himmel treibe; | |
die Experten vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) fragen, | |
ob CCS nicht eine "Energiebrücke ins Nichts" sei, und der | |
Sachverständigenrat der Bundesregierung für Umweltfragen moniert, die | |
"Anwendung von CCS im großen Maßstab kann derzeit nicht befriedigend | |
geregelt werden". | |
Genügend Gründe für Protest also. Und so stehen etwa 100 Öko-Aktivisten am | |
Samstag vor der Berlin-Wahl mit ihren großen Transparenten und Slogans wie | |
"Kohle nur noch zum Grillen!" und "Kohlestrom hat keine Zukunft - Endlager | |
stoppen!" vor dem Roten Rathaus in Berlin. Ihre T-Shirts und Plakate | |
leuchten in der Antiatomkraftfarbe Grellgelb, und das ist kein Zufall. Denn | |
BUND und Greenpeace haben mit Bürgerinitiativen aus potenziell betroffenen | |
Gebieten eine Kampagne wie gegen Atomkraft oder Gentech gestartet. | |
Lieblingsgegner: Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck, der mit | |
Vampirzähnen und Teufelshörnern als "Brunnenvergifter" dargestellt wird. | |
Denn Brandenburg wäre gern CCS-Vorreiter. Dicke weiße Wolken hängen über | |
den neun riesigen Kühltürmen des Kraftwerks Jänschwalde, zwischen Spreewald | |
und polnischer Grenze. Gleich nebenan baggert der schwedische | |
Energiekonzern Vattenfall die extrem klimaschädliche Braunkohle aus dem | |
Lausitzer Boden, weite Teile der Gegend sind entweder Mondlandschaft oder | |
bereits große Teichanlagen. | |
## Vattenfall investiert | |
Jänschwalde ist mit 3.000 Megawatt eines der größten Kohlekraftwerke der | |
Welt und stößt so viel CO2 aus wie ganz Kroatien. CO2 sei in der Atmosphäre | |
"ein größeres Risiko als seine unterirdische Speicherung", sagt die | |
Kohlelobby. Und deshalb will Vattenfall bis 2016 auch in Jänschwalde | |
zeigen, dass CCS die Lösung ist: Ein großes Demonstrationskraftwerk soll | |
das Gas abscheiden und über eine Pipeline zum Verpressen schicken. | |
Über eine Milliarde Euro wolle Vattenfall investieren, sagt Sprecherin | |
Katharina Bloemer, "damit wir 2021 die Technik zur Verfügung stellen | |
können". Sie kritisiert, das aktuelle Gesetz biete "keine langfristige | |
Planungssicherheit über 2016 hinaus", es sei schärfer als die | |
EU-Verordnung. | |
Vattenfall und Brandenburg sitzen in der Klemme. Denn ohne eine Lösung für | |
das CO2-Problem hat die ostdeutsche Braunkohle auf dem EU-Energiemarkt | |
keine Zukunft. Und Vattenfall Deutschland liefert einen Großteil der | |
Gewinne des schwedischen Staatskonzerns. Da nimmt man schon mal eine | |
Milliarde in die Hand, ohne zu wissen, ob sich das nach fünf Jahren noch | |
rechnet. Ohnehin ist niemandem klar, ob CCS irgendwann wenigstens | |
ökonomisch vernünftig ist: Bisher kalkulieren Experten wie der | |
UN-Weltklimarat IPCC damit, dass eine verpresste Tonne CO2 etwa 50 Euro | |
kosten wird. | |
Für ein Viertel dieses Preises bekommt man derzeit eine Tonne im | |
EU-Emissionshandel. Vattenfall hofft auf einen massiven Preisanstieg: "Wir | |
rechnen damit, dass CCS etwa ab 2020 unter den Preisen für die | |
CO2-Zertifikate liegen wird", sagt Bloemer. Die Kosten würden sinken, weil | |
überall auf der Welt an CCS geforscht werde. Allerdings gibt es bisher | |
nirgendwo auf der Welt ein Kohlekraftwerk, das sicher, ökonomisch und | |
ökologisch vernünftig CCS betreibt. In Norwegen, Algerien und Kanada wird | |
teilweise seit Jahren CO2 verpresst, aber unter anderen Rahmenbedingungen. | |
## Wenig Ablehnung | |
Nicht erprobt, zu spät, teuer, potenziell gefährlich: Eigentlich gibt es | |
genügend Gründe, um CCS lebendig zu begraben. Aber die Ablehnung ist längst | |
nicht so groß, wie es BUND, Greenpeace und die Bürgerinitiativen glauben | |
machen. Vor allem die Klimaschutzgemeinde hofft auf CCS als Notbremse gegen | |
den Klimawandel. | |
Zur Sicherheitsfrage hat etwa das IPCC angemerkt, "gut ausgewählte, gebaute | |
und gewartete" Lagerstätten könnten das CO2 für "Millionen von Jahren" | |
einschließen. Andere Klimaschützer sehen einen Bedarf für die | |
"Prozessemissionen" der Industrie: Das sind Treibhausgase, die bei der | |
Herstellung von Zement oder Aluminium als chemische Abfallprodukte | |
anfallen. | |
"Das sind etwa 10 Prozent der deutschen Emissionen", sagt Manfred Treber, | |
CCS-Experte der Umweltorganisation Germanwatch. Die Speicherung brauche man | |
auch für die Idee von Biomassekraftwerken mit "negativer CO2-Bilanz", die | |
klimaneutralen Brennstoff einsetzen und per CCS anderes CO2 der Atmosphäre | |
entziehen. "Die Pilotprojekte müssen gebaut werden", sagt auch Martin | |
Jännicke, der als emeritierter Professor für Umweltpolitik nun die | |
chinesische Regierung berät. Der deutsche Kohleausstieg sei wichtig, "aber | |
andere Länder wie China werden nicht von ihrer Kohle abrücken. Die | |
vertrauen darauf, dass auch mit unserer Hilfe CCS ab 2020 bezahlbar wird." | |
Der Grat ist schmal, auf dem Klimaschützer gleichzeitig gegen die Kohle und | |
für eine Erforschung der CCS-Technik sind. Wie plädiert man für ernsthafte | |
Forschung, ohne sich zum nützlichen Idioten der Kohleindustrie zu machen? | |
Einerseits seien die Anlagen bisher oft nur "Powerpoint-Präsentationen mit | |
dem Businessplan, Steuergelder einzuwerben", heißt es aus dem | |
Umweltbundesamt. Andererseits "können wir diese Fragen nicht auf dem Papier | |
lösen". | |
## Ein schmaler Grat | |
Die erhofften CCS-Biomassekraftwerke gibt es bisher nicht einmal als | |
Planung. Und die Industrie versuche gar nicht, ihre Prozessemissionen zu | |
reduzieren, meint auch der traditionell wirtschaftsfreundliche WWF: "Es | |
gibt in Deutschland kein einziges Pilotvorhaben", sagt WWF-Klimaexpertin | |
Regine Günther, "nicht mal die Ankündigung davon." | |
Wer nichts sehen, hören oder fühlen kann, der muss vertrauen. Zum Beispiel | |
jemandem wie Axel Liebscher vom GFZ in Ketzin. Er steht vor seiner Anlage | |
und erklärt: "Wir können das CO2 in der Tiefe sehr gut orten und sehen, wie | |
es sich bewegt." In einer Blase von 250 mal 400 Metern breitet es sich | |
planmäßig in einer 10 bis 20 Meter dicken Sandsteinformation aus, | |
abgeschlossen von einer Tondecke. | |
Liebscher trägt kariertes Hemd, Sicherheitsschuhe und einen weißen | |
Sicherheitshelm. Er macht seine drei Botschaften klar: Erstens: Wir haben | |
hier alles im Griff. Zweitens: Für verlässliche Daten brauchen wir eine | |
Versuchsanlage, die zehnmal so groß ist wie Ketzin. Drittens: Ihr könnt uns | |
vertrauen. | |
In Ketzin selbst hat das schon gefruchtet. Anders als in vielen anderen | |
Orten Brandenburgs gibt es keinen organisierten Widerstand. Dabei hätten | |
gerade hier die Menschen allen Grund zum Misstrauen. Denn unter ihren Füßen | |
lag zu DDR-Zeiten ein riesiger Erdgasspeicher. Der wurde undicht, das Gas | |
kroch an die Oberfläche und war nicht zu stoppen. 1966 wurde das Dorf | |
Knoblauch umgesiedelt. Daran erinnert heute nur noch die Knoblaucher | |
Chaussee. Sie führt zur Bohrstelle des GFZ. | |
22 Sep 2011 | |
## AUTOREN | |
Bernhard Pötter | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
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