Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Finanzexperte über die Euro-Krise: "Der politische Wahnsinn unsere…
> Griechenland bleibt Euroland, ist man sich in Deutschland ziemlich einig.
> Finanzexperte Wilhelm Hankel hingegen fordert den Austritt - und preist
> die griechische Rosine.
Bild: Einfache Lösung für Griechenland: Euro weg, Touristen her.
taz: Regierung und Opposition, linke und rechte Ökonomen sind beim Thema
"Euro" überwiegend einer Meinung: Die Krisenländer bleiben drin. Ein
Griechenland-Rausschmiss stieße das Land dauerhaft ins Elend. "Nur der
Ouzo", scherzt ein prominenter Wirtschaftswissenschaftler "wird für
Touristen billiger".
Wilhelm Hankel: Wie kommen Sie dazu? Nur der Austritt aus der Euro-Union
kann Griechenland davor bewahren, entmündigt und ins nackte Elend gestürzt
zu werden. Ob Links oder Rechts: Ich zweifle und verzweifle an den
volkswirtschaftlichen Grundkenntnissen unserer Euro-Retter.
Griechenland ist kein Exportland. Das Land könnte doch gar nicht von einer
Weichwährung, von eine schwachen Drachme profitieren.
Aber ja doch. Es gewönne sein an die Türkei verlorenes Tourismusmonopol
zurück. Sie und ich würden gleich Millionen anderer "das Land der Griechen
mit der Seele Suchender" wieder herrliche Ferien auf dem Peloponnes oder
Mykonos verbringen.
Die Chance wäre also Tourismus?
Nicht nur Tourismus. Das Land verfügt über andere klassische
Exportprodukte: Wein, Öl, Oliven, Rosinen. Es kann Frühobst und -gemüse
anbauen. Es hat eine leistungsfähige Kleinindustrie im Norden. Aber es
braucht wie jedes andere Nachholland seine eigene finanzielle Basis. Es
muss sich bei sich selbst verschulden und einen leistungsfähigen
Finanzsektor aufbauen, statt sich über den Zugriff auf leicht erhältliche
Auslands-Euros ausländischen Banken und Kredithaien auszuliefern.
Das eigentliche Problem liegt in dem Fehlen einer wettbewerbsfähigen
Realökonomie nicht nur in Griechenland, sondern der ganzen EU-Peripherie.
Nein. Griechenlands Hauptproblem ist der selbstverschuldete Verlust seiner
alten Wettbewerbsfähigkeit. Es hat mit Hilfe gepumpter Euros seine Preise,
Kosten und Löhne hemmungslos aufgebläht. Das rächt sich jetzt. Doch die
alte Wettbewerbsstärke lässt sich nur mit unzumutbaren "Kollateralschäden"
durch das rigorose Sparprogramm wieder herstellen.
Dieses bewirkt nur eines: Es wird das Land ruinieren. Wäre Griechenland
jedoch nicht im Euro und hätte es eine eigene Währung, dann könnte es diese
jetzt kräftig abwerten und so seine alte Export- und Wettbewerbsstärke
zurückgewinnen. Es könnte dann die Fronvögte der unseligen "Troika" zum
Teufel jagen.
Sie setzen auf eine Staatspleite?
Ganz im Gegenteil: Diese wird mit der Währungsabwertung vermieden. Ein
Staat mit eigener Währung kann gar nicht pleite gehen. Er hat Kredit bei
seiner Zentralbank. Aber er kann seine Auslandsgläubiger zu einem
Schuldennachlass ("haircut") zwingen. Er muss ihnen nur drohen: Entweder
machen wir dicht und erlassen einen Transferstopp für Auslandszahlungen,
dann bekommt ihr gar nichts.
Oder wir führen Verhandlungen über Haircut und Moratorien. Alle 800 aus der
Geldgeschichte überlieferten Fälle von Staats-Entschuldungen sind so
gelaufen, auch die aus allerjüngster Zeit: Argentinien, Mexiko oder
Russland. Nur: dazu braucht man eine eigene Währung. In einer Währungsunion
lässt sich so etwas nicht machen.
Man kann den Euro weder partiell abwerten: in einem Land ja, in anderen
nicht. Noch kann ein Euroland allein seine Zahlungen in Euro einstellen.
Daher rührt doch dieser ebenso inhumane wie politisch und ökonomisch
explosive Druck auf Griechenland und die anderen Krisenländer. Die "Retter"
fürchten um ihren Euro und stellen dessen Erhalt - und den der
Bankforderungen an Griechenland - über die elementaren Menschen- und
Demokratierechte der zu Rettenden.
Die Menschen dort sollen so lange sparen, bis das Land zusammenbricht und
nordafrikanische Verhältnisse ausbrechen! Nein: Nicht die "bösen"
Finanzmärkte und die dort ihr Unwesen treibenden "üblen Spekulanten"
stürzen Griechenland und die anderen Schuldenstaaten immer tiefer in die
Krise.
Es sind die Fronvögte der Troika mit ihren unsinnigen Forderungen. Für die
EU ist der Erhalt "ihrer" Währungsunion und die Vermeidung von
Bankverlusten wichtiger als der Erhalt der Demokratie und von Millionen
Arbeitsplätzen in ihren Mitgliedsstaaten. Und ganz Europa sieht zu!
Was heißt hier guter Erfolg. Beispielsweise Argentinien kriegte ein
Jahrzehnt nach dem Staatsbankrott immer noch kein frisches Geld auf den
Finanzmärkten. IWF-Kredite halten das Land zahlungsfähig.
Alles Märchen. Ob Argentinien, Mexiko oder Russland - der Boykott der
Finanzmärkte war stets von kurzer Dauer. Heute sind die Pleitiers von
gestern wieder ihre guten Kunden. An den Finanzmärkten reißt man sich heute
wieder um sie.
Das sind aus meiner Sicht Ramschanleihen für Hasardeure. Doch wie dem auch
sei, wie finanzierte Griechenland dann drei Jahre lang sein Staatsdefizit?
Oder anders herum, Athen müsste noch weit mehr Staatsbedienstete entlassen
und Renten kürzen als ohnehin schon geplant.
Auch Ramschanleihen haben ihren Markt. Gegen deren Wertverlust und Risiko
kann man sich zudem versichern. Leute, die so etwas tun, sind keineswegs
immer Spekulanten. Vorsichtigen Investoren und Anlegern bleibt gar nichts
anderes übrig. Wenn ihnen diese Risiken zu groß oder unheimlich werden,
verkaufen sie sie an Dritte. Deswegen ist es töricht, diese Märkte der
Risiko-Absicherung in Bausch und Bogen zu verketzern oder zu verbieten.
Griechenland hat einen schweren Fehler begangen, als es nach der
Euro-Einführung dazu überging, seine Staatsausgaben aufzublähen und statt
aus Steuern aus Krediten zu finanzieren. Aus Krediten aus dem Ausland. Mit
der Verschuldung kam die Inflation, denn sie wurde über das mit diesen
Krediten importierte Geld finanziert. Doch der Fehler lässt sich
korrigieren wie jeder, dessen Ursachen man einsieht und beseitigt.
Der griechische Euro ist hoffnungslos überbewertet, also muss man ihn
abwerten. Die Frage ist nur wie: intern über drakonische Einkommens- und
Kostensenkung und die damit einhergehende Vernichtung von Arbeitsplätzen
oder extern über den Wechselkurs.
Es ist die Entscheidung zwischen "neoliberaler" Marktlogik und
"aufgeklärtem Keynesianismus". Denn die Währungsabwertung ist die
Voraussetzung und Grundlage für ein keynesianisch inspiriertes Struktur-
und Reformprogramm. Die Euro-Retter haben sich aus durchsichtigen Gründen
für die neo-liberale Lösung entschieden.
Warum ihnen Linke, Gewerkschaften und Grüne auf diesem Wege folgen, ist mir
unbegreiflich. An seinem Ende steht nicht die Rettung des Euro, sondern das
Auseinanderbrechen der EU.
Das gilt dann auch für andere Länder.
Es ist der politische Wahnsinn unserer Tage. Man glaubt in Europa, das
Sparen sei vordringlicher als das Investieren, das Abtragen von
Staatsschulden kreiere "von selber" wirtschaftliches Wachstum. Das gerade
tut es nicht. Wie auch, wenn das Geld für Nachfrage und Aufschwung fehlt?
Die Lehre der Geschichte lässt keinen Zweifel: Staaten tilgen ihre Schulden
niemals in der Krise, einzig und allein in Zeiten und Phasen gesicherter
Prosperität und stetiger Aufwärtsentwicklung. Diese gilt es wieder
herzustellen. Dem steht nicht nur in Griechenland der Euro im Wege.
Der Euro könnte nach einem Griechenland-Konkurs zusammenbrechen.
Warum denn? Eher wird er stärker, wenn die Zahl seiner problematischen
Mitgliedsländer abnimmt. Eine Währungsunion muss nicht aus 17 Ländern
bestehen muss. Sie funktioniert auch mit weniger Teilnehmern. Sogar besser,
wenn sie dadurch homogener und konfliktfreier wird.
Da der Eurobund halten wird, sehen sie für die Zukunft der deutschen
Wirtschaft schwarz?
Die deutsche Wirtschaft ist in ihrem Kern gesund. Sie kann und wird jede
künftige Aufwertung des Euro verkraften, wie zuvor auch bei der D-Mark.
Denn jede Aufwertung verbilligt den Einkauf. Die deutsche Wirtschaft muss
viel einkaufen: fast alle Rohstoffe, nicht nur Mineralöl und viele
Vor-Produkte. Jede Aufwertung macht sie konkurrenzstärker.
Lediglich der Mittelstand hat ein Problem: Er ist von teuren Bankkrediten
abhängig. Doch ein Flächenbrand im deutschen Bankensystem ist nach dem
Ausfall von Forderungen an Griechenland und Co nicht zu befürchten.
Meine Botschaft bleibt unverändert: Die Eurokrise ist vorüber, wenn die
Problemländer die Eurozone verlassen und sich wie unsere osteuropäischen
Freunde und Nachbarn mit eigener Währung und Sanierungsanstrengungen am
eigenen Schopf aus dem Sumpf der Krise ziehen.
Das Vorbild von Polen, Ungarn, Lettland, der Tschechei und anderen
EU-Ländern ohne Euro gilt auch für Griechen, Italiener, Spanier und die
anderen. Man muss sie nur lassen. Nur so können der Euro und die EU
überleben.
28 Sep 2011
## AUTOREN
Hermannus Pfeiffer
## ARTIKEL ZUM THEMA
IG-Metall Vize Wetzel über die Eurokrise: "Der Bankensektor schwankt"
Der Staat hat in der Krise versagt, sagt Detlef Wetzel, Vize der IG Metall.
Er fordert einen Marshallplan für Griechenland und eine Verlängerung der
Kurzarbeiterregelung.
Merkel und die Eurokrise: Demonstrative Gesten
Bundeskanzlerin Angela Merkel versucht in Brüssel Stärke und Gelassenheit
zu zeigen. Doch im EU-Parlament war man nicht so angetan von ihrem Besuch.
Finanzkirise in Italien: Moody's stuft Bonität herab
Die Ratingagentur Moody's stuft lang laufende italienische Staatsanleihen
herab. Gründe sind: Die hohe Staatsverschuldung, die schwache
Weltwirtschaft und die politische Uneinigkeit.
Entscheidung über Notkredite verschoben: Zitterpartie in Athen und Brüssel
Griechenland muss auf frisches Geld warten. Eurofinanzminister verschieben
Entscheidung über Notkredite. Wegen der Schuldenkrise wackelt die Großbank
Dexia.
Deutsche Einnahmen aus der Eurokrise: Der anderen Leid ist Deutschlands Freud
Schäuble spart beim Schuldenmachen. Griechenland zahlt ihm Strafzinsen, die
Bundesbank wird wohl Gewinn einfahren und Anleger gieren nach
Bundesanleihen.
Barrosos Rede im EU-Parlament: Aus der Schockstarre aufgewacht
Der Präsident der EU-Kommission gibt sich vor dem EU Parlament kämpferisch,
fordert mehr Kompetenzen und schiebt die Schuld an der Euro-Krise den
Regierungen zu.
Vor der Abstimmung über Rettungsfonds: Viel Nebel um Hebel
Die Debatte über eine Ausweitung des Rettungsfonds versetzt die Koalition
vor der entscheidenden Abstimmung in Aufruhr - doch die Mehrheit steht
wohl.
Kanzlerin zu Griechenland-Hilfen: Leisten, was geleistet werden kann
Respekt für Athen: Angela Merkel hat Griechenland erneut Unterstützung
zugesagt. Ein neues Konjukturpaket, wie es die USA fordert, lehnt sie ab.
Appell der Gewerkschaften: Rettet den Euro!
Die Gewerkschaften mischen sich ein. Sie rufen die Parlamentarier per
Zeitungsanzeige dazu auf, dem erweiterten Rettungsschirm am Donnerstag
zuzustimmen.
Papandreou spricht in Berlin: "Yes, we can"
Kurz vor der Abstimmung des Bundestags über den EFSF-Rettungsschirm
versichert Griechenlands Ministerpräsident Papandreou in Berlin: Athen hält
alle seine Verpflichtungen ein.
Globalisierte Wirtschaft: Die Eurokrise wird zur Weltkrise
Außerhalb Europas sinkt das Vertrauen in die Fähigkeit der EU, die Krise zu
meistern. Die Staaten der Welt bekommen nun Angst, dass sie auch von ihr
erfasst werden.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.