# taz.de -- Occupy-Bewegung: Die Verstärker in der Massenkommunikation | |
> 300 Menschen sitzen vor dem Reichstag und debattieren. Dabei lernt selbst | |
> die Polizei noch etwas dazu. | |
Bild: Das Ende des Kapitalismus soll ganz ohne Megaphone funktionieren. | |
Es beginnt mit der Iso-Matte. Bis dahin ist alles ruhig am | |
Sonntagnachmittag. Rund 300 Leute sitzen auf der Wiese vor dem Reichstag in | |
der Sonne. Mittendrin die junge Frau mit der Iso-Matte. Eine Handvoll | |
Polizisten kommt heran, es wird diskutiert. "Mic check! Mic check!", ruft | |
ein Mann neben der Iso-Matten-Frau. "MIC CHECK!", schallt es zurück aus der | |
Menge. | |
"Es gibt hier ein Problem", fährt der Mann fort. "ES GIBT HIER EIN | |
PROBLEM", sprechen ihm die Umstehenden nach. "Die Polizei hat offenbar die | |
Anweisung", sagt der Mann. "DIE POLIZEI HAT OFFENBAR DIE ANWEISUNG", echot | |
die Menge. "Alle Gegenstände, die an Camping erinnern, zu beschlagnahmen", | |
beendet der Sprecher seinen Satz. "ALLE GEGENSTÄNDE, DIE AN CAMPING | |
ERINNERN", der Rest geht etwas unter. Der Satz war zu lang. Erst als der | |
Mann in der Mitte ruft, "das lassen wir uns nicht gefallen!", sind die | |
Nachsprecher wieder textfest. Zugleich halten sie ihre Hände wedelnd über | |
die Köpfe. Es ist ihr Zeichen der Zustimmung. | |
Die Polizei versteht diese neuen Kommunikationsformen noch nicht so ganz. | |
Oder ignoriert sie. Die Iso-Matte wird beschlagnahmt. Ihre Besitzerin | |
vorübergehend festgenommen. Die Menge buht - ganz klassisch. Dabei hätte | |
sie auch dafür einen Code: überkreuzte Unterarme, hochgehalten vorm | |
Gesicht. | |
Diese Formen der Massenkommunikation machen den Charme der Occupy-Bewegung | |
aus. Sie werden per Internet global weiter gegeben - und nun auch auf der | |
Reichstagswiese adaptiert. Per "Mic check", also per Mikrofontest, meldet | |
man sich zu Wort. Die Umsitzenden verstärken dann das Gesagte durch | |
gemeinsames Nachsprechen. Das ist zeitaufwendig. Aber es schult das | |
Zuhören. Kaum jemand fällt anderen ins Wort. Jedes gesprochene Wort wirkt | |
bedacht. | |
Die Menge auf der Wiese debattiert mittlerweile darüber, ob sie, wie von | |
der Polizei gefordert, einen Versammlungsleiter benennen soll. Da tritt ein | |
Polizist in die Mitte. Blaue Uniform, blaues Käppi, blaugetönte | |
Sonnenbrille. "Guten Tag, mein Name ist Manske, ich bin der …", beginnt der | |
Beamte. "GUTEN TAG, MEIN NAME IST MANSKE", fällt ihm die Menge ins Wort. | |
Manske lächelt irritiert. Einer der Demonstranten springt ihm zur Seite: | |
"Das ist hier kein Gebet", erklärt er. Vielmehr werde alles nachgesprochen, | |
damit auch der letzte Schwerhörige am Rand alles verstehen könne. Deshalb | |
solle er kurze Sätze bilden. Oder lange in kurze Wortfolgen unterteilen. | |
Manske nickt. "Ich bin der Einsatzleiter der Polizei", ruft er dann. "ICH | |
BIN DER EINSATZLEITER DER POLIZEI", verstärkt die Menge und trägt dann auch | |
jede seiner Erklärung zum Demonstrationsrecht weiter. Inhaltlich aber folgt | |
sie ihm nicht. "Wir brauchen keine Anführer", heißt es. Nach langer Debatte | |
wird beschlossen, dass jeder seine eigene Spontandemo anmelden soll. Jetzt | |
ist Manske wieder irritiert. Er muss nachhorchen, ob das geht und greift | |
zum Handy. | |
Zeit für die Menge, weiter zu debattieren. Jedes Wort, jede Intonation, | |
selbst ein grammatikalischer Fehler wird exakt wiederholt. Ganz gerecht ist | |
das System nicht. Frauen kommen nicht ganz so einfach zu Wort. Und wer | |
gegen die Mehrheitsmeinung spricht, erkennt das schon daran, dass das Echo | |
leiser ausfällt. Auch dreht sich die Debatte manchmal im Kreis. Aber dafür | |
gibt es ein einfaches Symbol: dann kurbeln die Umstehende die Hände | |
umeinander. | |
17 Oct 2011 | |
## AUTOREN | |
Gereon Asmuth | |
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