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# taz.de -- Debatte Libyenkrieg: Der Nato-Einsatz bleibt falsch
> Anspruch und Realität der Intervention in Libyen klafften weit
> auseinander. Die Berliner Regierung hat mit ihrer skeptischen Haltung
> recht behalten.
Bild: Nato-Kampfflugzeuge bombardieren Anfang Juni Gaddafis Hauptquartier in Tr…
Wenn der Krieg gegen den Despoten von Tripolis ein Erfolg war, kann sich
die Bundesregierung nicht damit schmücken. Sie hat weggehört, als die Nato
zu den Waffen rief. Sie gab sich auch keine besondere Mühe, ihre Gründe zu
erläutern. Am 17. März, dem Tag der Abstimmung im Sicherheitsrat der
Vereinten Nationen, befand die Kanzlerin wortkarg, es handele sich um einen
Einsatz "mit äußerst unsicherem Ende". Und Verteidigungsminister de
Maizière wich noch im September der Interviewfrage nach den Motiven der
deutschen Enthaltung mit der Bemerkung aus: "Wir haben uns politisch anders
entschieden." Also falsch entschieden?
Rückblende. Den Anstoß zum militärischen Eingreifen in den libyschen
Stammes- und Bürgerkrieg hatten Nachrichten gegeben, dass Gaddafis
Luftwaffe friedliche Demonstranten angreife. Was daran zutraf, war unklar.
Weder das UN-Generalsekretariat in New York noch das Pentagon in Washington
noch eine westliche Botschaft in Tripolis noch sonst eine unabhängige
Quelle konnte die Schreckensmeldungen bestätigen.
Zu diesem Zeitpunkt befand sich Bengasi, die zweitgrößte Stadt des Landes,
bereits in den Händen der Aufständischen. Sie war ihnen nicht durch
friedliches Demonstrieren in den Schoß gefallen.
Dazu hat das Völkerrecht eine Meinung. Die Gegenwehr gegen einen
gewaltsamen Umsturz der staatlichen Ordnung fällt weder unter die
Tatbestandsmerkmale von Verbrechen gegen die Menschlichkeit noch unter die
von Kriegsverbrechen. Das Statut des Internationalen Strafgerichtshofs
führt die Handlungen, die nach diesen Kategorien zu ahnden sind, einzeln
auf.
Dann fährt es fort: Der Katalog "berührt nicht die Verantwortung einer
Regierung, die öffentliche Ordnung im Staat aufrechtzuerhalten oder
wiederherzustellen oder die Einheit und territoriale Unversehrtheit des
Staates mit allen rechtmäßigen Mitteln zu verteidigen".
## Die zweite Resolution
Aber welche Mittel sind rechtmäßig, welche nicht? Als unrechtmäßig gelten
Maßnahmen, die in kriegerischen oder kriegsähnlichen Konflikten an
bewaffneten Auseinandersetzungen Unbeteiligte mehr als unvermeidbar in
Mitleidenschaft ziehen. Von diesem Verständnis ging der UN-Sicherheitsrat
aus, als er im März seine zweite Libyenresolution fasste.
Ein Waffenembargo bestand bereits. Jetzt trat ein Flugverbot im libyschen
Luftraum hinzu, verbunden mit der generellen Ermächtigung, "alle
notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um von Angriffen bedrohte Zivilpersonen
und von der Zivilbevölkerung bewohnte Gebiete zu schützen".
Das humanitäre Anliegen war die eine Triebfeder der Intervention, das
strategische Interesse die andere. Sie standen nicht gleichgewichtig
nebeneinander. Erstaunlich freimütig erklärten die Verantwortlichen in den
westlichen Hauptstädten unmittelbar nach Ausweitung des Krieges, wie lange
die Luftschläge andauern würden: bis zum Sturz des libyschen Machthabers
und bis zum politischen Regimewechsel in Tripolis. Darauf stellten die
Einsatzpläne ab.
## Mindestens 30.000 Tote
Bei jeder Einnahme einer Stadt durch die Aufständischen haben
Nato-Kampfjets ihnen den Weg freigeschossen. Mochte die UNO-Resolution mit
ihrem weiten Auslegungsspielraum auch einer Blankovollmacht gleichen - der
Schutz von Zivilisten und Luftunterstützung für vorrückende Truppen sind
nicht dasselbe.
Man braucht keine Experten, um den Unterschied zu erkennen. Im Kosovokrieg
fungierte die Nato als Luftwaffe der UCK. In Libyen übernahm sie denselben
Part für die Anti-Gaddafi-Opposition. Von einem UNO-Mandat gedeckt war
keine der beiden Operationen.
Als Unified Protector segelte die alliierte Mission sieben Monate unter
falscher Flagge. Ob die 10.000 Luftangriffe mehr zivile Opfer verhüteten
als verursachten, ist fraglich. Nach Angaben des neuen
Gesundheitsministeriums kamen in Libyen mindestens 30.000 Menschen ums
Leben.
Das ist die mit Abstand höchste Zahl von Opfern in einem der von der
arabischen Aufstandswelle erfassten Länder - ausgerechnet in dem Land mit
der kleinsten Bevölkerungszahl. Die rasche Eskalation des Bürgerkriegs zum
internationalen Krieg dürfte ihren Teil dazu beigetragen haben. Initiativen
zur Beilegung des Konflikts, selbst wenn sie aus den eigenen Reihen
stammten, hat die Nato souverän ignoriert.
## Berlin ist nicht isoliert
Aber nicht die Zweifel an den Erfolgsaussichten der Militärintervention
brachten die Bundesregierung in die öffentliche Kritik, sondern der
vermeintliche Mangel an Bündnissolidarität. Wie steht es damit? Die
aktuelle Nato-Strategie determiniert in Krisenlagen weder eine politische
noch eine militärische Reaktion. Damit ist es den Mitgliedstaaten
überlassen, wie sie sich entscheiden.
Keine Bündnispflicht entbindet sie von der eigenen Verantwortung.
Souveränität ist nicht delegierbar. Nicht einmal die Kernbestimmung des
Nato-Vertrags, das kollektive Beistandsgebot, schreibt ihnen die Wahl der
Mittel vor. Um wie viel weniger sind sie dann gehalten, im Gleichschritt zu
marschieren, wenn es um Vorhaben geht, die der Bündnisvertrag gar nicht
vorsieht?
## Bündnispflichten
Natürlich schuldet die Bundesrepublik ihren Alliierten Bündnissolidarität.
Sie schuldet ihnen Beistand zur Abwehr eines bewaffneten Angriffs. Sie
schuldet ihnen nicht Beihilfe zur Führung eines bewaffneten Angriffs.
Ferner schuldet sie ihnen, internationale Streitfälle auf friedlichem Weg
zu regeln und die Androhung oder Anwendung militärischer Gewalt zu
unterlassen. Auch das steht im Nato-Vertrag.
Mit diesen Prinzipien ist die Libyenintervention schwerlich in Einklang zu
bringen. In solch einem Fall kann Bündnissolidarität nur heißen, sich der
Missachtung des Bündnisvertrags zu verweigern.
Nicht mehr und nicht weniger hat die Bundesregierung getan. Dazu musste sie
sich keineswegs von ihren Partnern abwenden. Der Libyenkrieg stellte
allenfalls formal eine Nato-Operation dar. Das Bündnis zählt 28 Mitglieder,
mehr als sechs davon wirkten zu keinem Zeitpunkt an den Luftschlägen mit.
Drei Viertel hingegen folgten dem deutschen Beispiel und blieben passiv.
Politische Isolation sieht anders aus.
25 Oct 2011
## AUTOREN
Reinhard Mutz
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