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# taz.de -- Das Ende des libyschen Bürgerkriegs: "Gaddafi hat sein Schicksal e…
> Die libyschen Rebellen erobern Sirte, Muammar al-Gaddafis letzte Bastion.
> Unter unklaren Umständen wird der Ex-Diktator dabei gefasst und getötet.
Bild: Bullet in your head: Der echte Gaddafi sah am Ende auch nicht viel besser…
BERLIN taz | Fast genau zwei Monate nach ihrer Eroberung der Hauptstadt
Tripolis haben die libyschen Revolutionäre am Donnerstag Muammar al-Gaddafi
gefasst. Seine Festnahme bei der Einnahme des letzten noch von
Gaddafi-Truppen kontrollierten Viertels der Stadt Sirte hat der ehemalige
Machthaber nicht überlebt.
"Wir haben lange auf diesen Augenblick gewartet: Muammar al-Gaddafi ist
getötet worden", erklärte Libyens Ministerpräsident Mahmud Dschibril am
Nachmittag. Nationalratssprecher Abdel Hafez Ghoga präzisierte auf einer
Pressekonferenz in Tripolis: "Gaddafi ist durch die Revolutionäre zu Tode
gekommen."
Er sei erst bei der Schlacht um Sirte verletzt und dann gefangen genommen
worden. Die Kommandanten vor Ort hätten dann seinen Tod gemeldet. "Es ist
ein historischer Moment", so der Sprecher, während die versammelten
Journalisten in Jubel ausbrachen. "Es ist das Ende von Tyrannei und
Diktatur. Gaddafi hat sein Schicksal ereilt."
Am Donnerstagmorgen hatten libysche Truppen im Sirte zum Sturm auf Gaddafis
letzte Bastion angesetzt. Nach einem Monat intensiver Belagerung war das
noch von Gaddafis Kämpfern gehaltene Gelände in der weitgehend zerstörten
Stadt auf weniger als einen Quadratkilometer geschrumpft, das Quartier
Nummer zwei im Zentrum von Sirte.
## Das Ende im Erdloch
Nachdem die Soldaten am Vortag noch zurückgeschlagen worden waren, dauerte
es jetzt Berichten zufolge lediglich 90 Minuten, das durch
Artilleriebeschuss bereits komplett verwüstete Viertel zu besetzen. Am
späten Vormittag hissten die Revolutionskämpfer die schwarz-rot-grüne
Flagge Libyens im Stadtzentrum. "Sirte ist frei, es gibt keine
Gaddafi-Streitkräfte mehr", jubelte Oberst Yunus al-Abdali, einer der
Befehlshaber.
Es wurde berichtet, eine Fahrzeugkolonne aus fünf Fahrzeugen sei aus Sirte
Richtung Westen entlang der Küstenstraße ausgebrochen und von Kämpfern
gestoppt worden. Eine andere Meldung besagt, die Kolonne sei bereits ein
Gefangenentransport der Rebellen gewesen. In der Kolonne könnten sich
jedenfalls Gaddafis Söhne oder auch der Exdiktator selbst befunden haben,
hieß es in Tripolis.
Offenbar wurde die Wagenkolonne dann von der Nato aus der Luft bombardiert.
Gaddafi sei dabei verletzt worden und habe sich daraufhin in der
Kanalisation versteckt, wo man ihn aufgespürt habe. Eine Quelle behauptete,
Gaddafi sei schließlich in einem Erdloch entdeckt worden, wohl ein
Abwasserabfluss, und habe "Nicht schießen! Nicht schießen!" gerufen. Ein am
Nachmittag verbreitetes Foto zeigte einen offenbar schwer verletzten oder
sogar bereits getöteten, blutüberströmten Gaddafi.
## Hochrangige Gaddafi-Getreue tot oder festgenommen
Der TV-Sender al-Arabija zeigte Bilder von dem Ort, an dem die Kämpfer
Gaddafi angeblich gefunden hatten. Zu sehen sind zwei große Betonröhren,
über die jemand auf eine Betonwand gesprüht hat: "Dies ist der Platz der
verfluchten Ratte al-Gaddafi – Gott ist groß". Vor den Betonröhren liegen
zwei Leichen. Am späten Nachmittag meldete das libysche Fernsehen, die
Leiche Gaddafis sei in Misurata angekommen.
Britische Militärkreise bestätigten einen Angriff von Nato-Flugzeugen auf
einen Fahrzeugkonvoi aus Sirte Richtung Misurata am Donnerstagmorgen. Ob
dieser Konvoi fliehende oder bereits festgenommene Gaddafi-Anhänger
enthielt, blieb unklar. "Da wir keine Soldaten auf libyschem Boden haben,
können wir nicht sagen, wer möglicherweise bei diesem Angriff getötet
worden ist", erklärte eine Nato-Sprecherin in Brüssel.
Gaddafis Sohn Motassim soll in Sirte festgenommen worden sein, meldete der
TV-Sender al-Dschasira, ebenso Gaddafis ehemaliger Sprecher Moussa Ibrahim.
Der andere Sohn Seif al-Islam sei wohl noch auf der Flucht im Süden
Libyens. Gaddafis einstiger Verteidigungsminister Abu Bakr Yunis Jaber
wurde nach Angaben von Ärzten in Sirte getötet, ebenso Gaddafis ehemaliger
Sicherheitschef Mansur Dau. Beide Leichen seien eindeutig identifiziert
worden, meldete AFP unter Berufung auf Feldärzte und Kämpfer in Sirte. Das
wäre eine kuriose Entwicklung, denn Dau war im September aus Libyen nach
Niger geflohen.
Mit dem endgültigen Fall von Sirte und der Ausschaltung Gaddafis ist der
Krieg in Libyen vorbei. Es sei "ein großer Tag für das libysche Volk",
sagte Informationsminister Mahmud Shammam. Seit ihrer Einnahme von Tripolis
am 23. August hatten die Revolutionäre im Nationalen Übergangsrat immer
wieder gesagt, eine neue Regierung würden sie erst bilden, wenn das Land
vollständig befreit sei – wenn also keine Ortschaften mehr unter Kontrolle
von Gaddafi-Anhängern seien.
Nach der Einnahme von Bani Walid Anfang dieser Woche markiert die Einnahme
von Sirte jetzt den erfolgreichen Abschluss dieses Feldzugs.
Rebellenkommandanten weisen jedoch darauf hin, dass versprengte Kämpfer der
Gaddafi-Armee durchaus noch in der Wüste oder auch verborgen unter der
Zivilbevölkerung ausharren können.
## Weg frei für Regierungsbildung
Nun steht der Weg frei für Libyens Revolutionäre, endlich mit der
Regierungsbildung zu beginnen. Bestehende Spannungen zwischen den
verschiedenen Fraktionen während des Krieges - der Nationalrat in Bengasi,
die einstigen Eingekesselten in Misurata, die Berber im Westen des Landes -
haben sich in den letzten Wochen verschärft.
Ausgerechnet gestern früh hatte Dschibril in einem Interview mit dem
US-Nachrichtenmagazin Time mit seinem Rücktritt gedroht. Je länger der
Krieg andauere, desto schwieriger werde das Regieren, so Dschibril: "Wir
befinden uns in einem politischen Kampf ohne Grenze. Der braucht Geld,
Organisation, Waffen und Ideologie; das habe ich alles nicht", so
Dschibril.
International wurden die Berichte über Gaddafis Tod begrüßt.
UN-Generalsekretär Ban Ki Moon sprach von einem "historischen Übergang für
Libyen" und rief zu "Heilung, nicht Rache" auf. EU-Ratspräsident Herman Van
Rompuy und EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso begrüßten "ein Ende
der Ära von Gewaltherrschaft und Unterdrückung, unter der das libysche Volk
zu lange gelitten hat. Heute kann Libyen eine neue Seite in seiner
Geschichte aufschlagen und eine neue demokratische Zukunft beginnen."
20 Oct 2011
## AUTOREN
Dominic Johnson
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