Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Der Kampf der Rebellen um Sirte: Die letzte Schlacht
> Wenn Sirte fällt, ist der Krieg vorbei, sagen die Rebellen. Zuletzt
> kämpften sie um jedes Haus. Wer den Krieg überlebt hat, blickt jetzt in
> eine friedliche Zukunft.
Bild: Stadt in Trümmern und irgendwo grast ein Pferd: Eine Straße in Sirte.
SIRTE/TRIPOLIS taz | Erst wenn Sirte fällt, werde ganz Libyen für befreit
erklärt, hatten die Rebellen angekündigt. Zwischen Hubschraubern, Lazarett
und Casino stehen auf dem Rebellenstützpunkt 55 Zelte.
Die Flüchtlinge aus Sirte erzählen von einer entbehrungsreichen Zeit ohne
Wasser, Strom und Handynetz. „Als die Rebellen uns befreiten, flogen Kugeln
über unsere Köpfe“, sagt einer der Flüchtlinge, der bei der Flucht von
seiner Mutter und Schwester getrennt wurde. „Ich mache mir große Sorgen um
sie, ich weiß nicht, ob sie noch leben.“
Die Feuerlinie verlief entlang der Rohbauten einer Neubausiedlung. Aus drei
der Hochhäuser schossen Rebellen auf Gaddafis Truppen, von den Wänden
hallten die Schüsse wider. Schwarzer Rauch stieg auf, Brände loderten. Die
Rebellen sind Zivilisten aus allen Landesteilen, Freiwillige ohne Sold,
Studenten, Ingenieure, Arbeitslose, Jugendliche, Väter.
Einer von ihnen heißt Walid. Während Walid auf dem Betonboden kniete und
aus dem Fenster schoss, schlug im rechten Nachbarhaus, zehn Meter entfernt,
eine Rakete ein, deren Explosion noch den Boden erschütterte, auf dem Walid
kniete. Durch das Fenster sah er den Einschlag. Drei Rebellen starben durch
die Rakete, sieben sind schwer verwundet. Die Verletzten wurden hinter das
Haus gebracht, der Sand färbte sich rot. Ein Pick-up rauschte herbei, auf
dessen Ladefläche die Verwundeten an Baukränen vorbei weggefahren werden.
Danach wurden die Toten geborgen und in Decken gehüllt. Einer der Toten war
so zerfetzt, dass seine Körperteile einzeln geborgen und auf die Ladefläche
gelegt werden mussten. Bei der Abfahrt riefen dreißig Rebellen im Chor:
„Gott ist groß!“ Als das Fahrzeug hinter einem Haus verschwunden war,
gingen sie wieder zu ihren Stellungen zurück und feuerten weiter.
„Heute fielen an der Westfront dreizehn Kämpfer“, sagte am Abend Oberarzt
Abdulrahim im Feldlazarett in der Farabischule. In seinen Händen hielt er
das Märtyrerbuch mit den Namen der Gefallenen. Auf den Fluren hockten
erschöpfte Rebellen, in einem Klassenraum lag ein Verwundeter, der zitterte
und dessen Kopf und Hände von Kameraden festgehalten wurden. Immer wenn ein
Kämpfer seinen Verletzungen erlag, schossen die Rebellen minutenlang in die
Luft. Zweimal taten sie das in dieser Stunde. Einer sagte: „Wir bezahlen
einen hohen Preis für die Befreiung unseres Landes.“
## Ein Auge verloren
In Sirte hat auch Hamsa gekämpft, er hat dabei sein rechtes Auge verloren.
„Das war es mir wert, denn ich habe für die Befreiung meines Volkes
gekämpft“, sagt der 23-Jährige, der inzwischen in Tripolis ist. Er steht am
Rande eines Benefizkonzerts, bei dem für Kriegsverwundete gesammelt wird,
und erzählt, dass er 26 Tage lang in Sirte gekämpft habe.
Wenn die Kämpfe vorüber sind, will er weiterstudieren. Doch bevor er sein
Ingenieursstudium fortführen kann, muss er erst wieder seinen Kopf frei
kriegen und „die schrecklichen Bilder von den Kämpfen in Sirte verdrängen�…
Hamsa ist einer von zehntausenden Kämpfern, die seit Beginn des Kriegs
verletzt wurden. Genaue Zahlen über Tote und Verletzte gibt es nicht.
Nadschi Barakat, Gesundheitsminister im libyschen Übergangsrat, sprach im
September von 30.000 Gefallenen und 50.000 Verwundeten.
Entsprechend groß ist der Bedarf an Hilfe. Es fehlt Geld für die ärztliche
Versorgung. Die Spenden, die beim Benefizkonzert gesammelt wurden, kommen
alle der Kriegsopferfürsorge zugute, sagt Mohammed Tresh, Sprecher des
Übergangsrats in Tripolis. Den Erfolg des Benefizkonzerts deutete er als
ein Symbol der „Wiederauferstehung der Zivilgesellschaft“.
20 Oct 2011
## AUTOREN
Martin Lejeune
## ARTIKEL ZUM THEMA
Ermittlungen zu Gaddafis Tod: Bestattung in Sirte verschoben
Gaddafis Beisetzung verzögert sich wegen Ermittlungen zu seinem Tod.
Bestattet werden soll er nach islamischer Tradition in Sirte. Der
UN-Menschenrechtsrat fordert eine Untersuchung.
Zum Tode Gaddafis: Aufstand gegen den Despoten
Nun ist Libyens Machthaber tot. Im Februar begann die Revolte gegen den
Diktator Muammar al-Gaddafi, seit August war er auf der Flucht.
Das Ende des libyschen Bürgerkriegs: "Gaddafi hat sein Schicksal ereilt"
Die libyschen Rebellen erobern Sirte, Muammar al-Gaddafis letzte Bastion.
Unter unklaren Umständen wird der Ex-Diktator dabei gefasst und getötet.
Nachruf Muammar al-Gaddafi: Revolution frisst Revolutionsführer
Beduinensohn, Putschist, schillernder "Revolutionsführer" in
Operettenuniformen, knallharter Despot, mal Freund, mal Feind des Westens –
Muammar al-Gaddafis Leben im Schnelldurchlauf.
Muammar al-Gaddafi ist tot: Das Ende des Diktators
Libyens Ex-Machthaber Gaddafi ist nach Angaben des Nationalen
Übergangsrates tot. Bei der Flucht aus seiner Heimatstadt Sirte wurde er
beschossen und erlag seinen Verletzungen.
Kampf um Sirte und Bani Walid: Libyscher Regimewechsel, letzter Akt
Die letzten von Gaddafi-Getreuen gehaltenen Städte fallen an die
Revolutionäre. Der Blutzoll ist hoch, und je länger gekämpft wird, desto
mehr leidet die Bevölkerung.
Kampf um Sirte: 65 Prozent der Stadt unter Kontrolle
Die Kämpfer des libyschen Übergangsrates bereiten sich nun auf einen
Häuserkampf mit den letzten Anhängern Gaddafis vor. Diese leisten weiter
erbitterten Widerstand.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.